Israels Armee in Dschenin Besorgnis wegen Westjordanland-Einsatz
"Eiserne Mauer" nennt Israel den Militäreinsatz, der seit Dienstag im Westjordanland läuft. Er solle verhindern, dass eine "neue Terrorfront" entstehe. Palästinenser befürchten eine Annexion - und auch UN-Generalsekretär Guterres warnt.
Den zweiten Tag in Folge hat die israelische Armee einen Großeinsatz in Dschenin durchgeführt, einer Stadt im Norden des von Israel besetzten Westjordanlands. Israelische Vertreter erklärten, es handele sich um eine breit angelegte Aktion gegen militante Palästinenser. Seit dem Beginn des Gaza-Krieges im Oktober 2023 habe es "mehr als 2.000 versuchte Terroranschläge" gegeben, die vom Westjordanland aus geplant worden seien.
"Die Situation ist sehr schwierig", sagte der Gouverneur der Stadt, Kamal Abu al-Rub. "Die Besatzungsarmee hat mit Bulldozern alle Straßen, die zum Lager Dschenin und zum Krankenhaus führen, zerstört", fügte er hinzu. Israelische Soldaten hätten in Dörfern rund um Dschenin 20 Menschen festgenommen. Bei dem am Dienstag gestarteten Einsatz der israelischen Armee wurden nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums mindestens zehn Menschen getötet.
Mehrere Palästinenser wurden bei dem Einsatz festgenommen.
Katz: Entscheidend für die "Eliminierung von Terroristen"
Die israelische Armee bestätigte den Tod von "zehn Terroristen" und kündigte eine Fortsetzung des Einsatzes an. Sie habe Luftangriffe auf "terroristische Infrastruktur" ausgeführt, zudem seien "zahlreiche Sprengkörper" entschärft worden, die von militanten Palästinensern an Straßen platziert worden seien. Durch einen derartigen Sprengsatz sei kürzlich ein Soldat getötet worden. Unabhängig überprüfen lassen sich die Angaben des Militärs nicht.
Israels Verteidigungsminister Israel Katz erklärte, der Einsatz sei "entscheidend" für die "Eliminierung von Terroristen". Die israelischen Streitkräfte würden die Entstehung einer neuen "Terrorfront" dort nicht zulassen. Dies sei "eine der wichtigsten Lektionen von Gaza". Israels Premier Benjamin Netanjahu stellte den Armeeeinsatz in Zusammenhang mit einer breiteren, gegen den Iran gerichteten Strategie - "wo auch immer er Waffen hinschickt, im Gazastreifen, im Libanon, in Syrien, Jemen" und dem Westjordanland.
UN-Generalsekretär warnt vor Annexion
Das Außenministerium der Palästinenserbehörde warf Israel eine "kollektive Bestrafung" der Menschen im Westjordanland vor und bezeichnete den Armeeeinsatz als Teil eines israelischen Plans, der die "schrittweise Annexion des besetzten Westjordanlandes" zum Ziel habe.
Auch UN-Generalsekretär António Guterres zeigt sich besorgt, dass Israel angesichts des Erfolges im Kampf gegen die Hamas im Gazastreifen das besetzte Westjordanland annektieren könnte. "Es besteht die Möglichkeit, dass Israel sich durch die militärischen Erfolge ermutigt fühlt und denkt, dies sei der richtige Zeitpunkt für die Annexion des Westjordanlands und den Verbleib des Gazastreifens in einer Art Schwebezustand", sagte Guterres. "Das wäre ein vollständiger Verstoß gegen das Völkerrecht. Und würde bedeuten, dass es im Nahen Osten niemals Frieden geben wird."
Im Gazastreifen gilt seit Sonntag eine Waffenruhe. Dort regiert - anders als im Westjordanland - die Hamas. Die palästinensische Terrororganisation hatte Israel im Oktober 2023 überfallen, in der Folge begann der Gaza-Krieg.
Bundesregierung ruft zur Zurückhaltung auf
Die Bundesregierung äußerte sich besorgt und rief alle Seiten zur Zurückhaltung auf. Der israelische Einsatz im Westjordanland müsse im Einklang mit dem Völkerrecht stehen, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin. Positiv sehe die Bundesregierung dagegen die Entwicklung im Gazastreifen nach Eintreten der Waffenruhe. Es seien die ersten Geiseln freigelassen und etwa 2.000 Lkw-Hilfslieferungen in das Gebiet gelangt. Der Sprecher warnte davor, dass es mit Blick auf die Ereignisse im Westjordanland zu Wechselwirkungen und Auswirkungen auf den Gazastreifen kommen könne.
Die israelische Armee und der israelische Inlandsgeheimdienst Schin Bet hatten gestern mitgeteilt, dass sie in Abstimmung mit der Grenzpolizei den Einsatz "Iron Wall" ("Eiserne Mauer") gestartet hätten. Das Vorgehen sei Teil einer Strategie gegen den Iran. Das dortige Regime unterstützt bewaffnete Gruppen im gesamten Nahen Osten, darunter die militant-islamistische Terrororganisation Hamas im Gazastreifen.
Israel wirft dem Iran vor, auch militante Palästinensergruppen im Westjordanland finanziell und mit Waffenlieferungen unterstützen zu wollen. Dschenin und das dort liegende Flüchtlingslager gelten als Hochburg militanter Palästinensergruppen.