
Kritik an geplanter Entlassung Warum Netanjahu den Geheimdienstchef loswerden will
Israels Premier Netanjahu will den Chef des Geheimdienstes Shin Bet entlassen. In der Öffentlichkeit ist der Widerstand dagegen groß. Kritiker haben für die kommenden Tage zu Protesten aufgerufen.
Wer trägt in Israel die Verantwortung, dass der Terrorangriff der Hamas überhaupt möglich wurde? Diese Frage ist bis heute nur zum Teil beantwortet worden. Das israelische Militär und auch die Geheimdienste haben bereits öffentlich ihr Versagen eingestanden. Von der Politik fehlt bisher dieses Bekenntnis.
Premier Benjamin Netanjahu selbst weigert sich beharrlich, eine unabhängige Untersuchungskommission einzurichten, was ihm viel Kritik einbringt. Stattdessen geht er in die Offensive und versucht, den Schwarzen Peter anderen zuzuschieben - vor allem Ronen Bar, dem Chef des Inlandsgeheimdienstes Shin Bet.
Netanjahu: "Ich habe dieses Vertrauen nicht"
In einer Videobotschaft an die Nation wurde Netanjahu deutlich. Er will den Geheimdienstchef entlassen: "Zu jeder Zeit, aber vor allem in existenziellen Kriegszeiten, muss der Premierminister volles Vertrauen in den Direktor des Inlandsgeheimdienstes haben. Leider ist es nicht so: Ich habe dieses Vertrauen nicht. Ich bin überzeugt, dass dieser Schritt entscheidend ist, um die Organisation wiederherzustellen, um alle unsere Kriegsziele zu erreichen und um die nächste Tragödie zu verhindern."
Prompt reagierte Geheimdienstchef Ronen Bar und wies Netanjahus Ansinnen als - so wörtlich - inakzeptabel zurück. Eine solche Entlassung widerspreche dem Geheimdienstgesetz, das den Shin Bet als überparteiliche Institution einstufe.
Laufende Ermittlungen im Umfeld Netanjahus
Schon seit längerem gilt das Verhältnis zwischen dem Premierminister und seinem Geheimdienstchef als zerrüttet. Derzeit ermittelt der Shin Bet zu mutmaßlichen illegalen Beziehungen von Vertrauten Netanjahus zu Katar. Das Land gilt als enger Verbündeter der Hamas und vermittelt im Gaza-Krieg.
Dass Ronen Bar gerade jetzt - während dieser laufenden Ermittlungen - abgezogen werden soll, macht Oppositionsführer Jair Lapid wütend: "Weil Ronen Bar diese Ermittlungen betreibt, hat sich Netanjahu entschieden, ihn von heute auf morgen zu entlassen. Sobald Ronen Bar geht, wird Netanjahu einen neuen Geheimdienstchef ernennen können. Und das wird eine Puppe sein, die dann diese Ermittlungen einstellt."
Generalstaatsanwältin: Mögliche Interessenkonflikte
Unterstützung bekommt Lapid von der Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara. Sie erklärte, Netanjahu könne Bar nicht vor einer gründlichen juristischen Untersuchung der Umstände entlassen. Auch sie verwies auf mögliche Interessenkonflikte.
Deutlicher wurde die frühere Präsidentin des Obersten Gerichtes, Dorit Beinish. Sie sieht Israel auf dem Weg zu einem autoritären Staat. "Eine Herrschaft, in der nur der Premierminister aufgrund von politischen und persönlichen Überlegungen all unsere Staatsfundamente ändern oder zerstören kann, beschreibt den Weg zur Diktatur. Diesen Weg können wir an anderen Beispielen sehen. Etwa in Ungarn und Polen ist man diesen Weg gegangen."
Proteste angekündigt
Am Mittwoch will Netanjahu die Zustimmung des Kabinetts zu seiner Entscheidung einholen. Es könnten in Israel heiße Tage werden. Denn in der Öffentlichkeit ist der Widerstand gegen die Ablösung von Ronen Bar als Shin Bet-Chef groß. Kritiker haben für die nächsten Tage zu Protestkundgebungen aufgerufen.
Yair Golan, der neue Chef der oppositionellen Arbeitspartei, hofft auf viele Menschen auf den Straßen. "Wir müssen jetzt intensiv von unseren Rechten Gebrauch machen, die uns laut Gesetz zustehen - etwa das Recht zu streiken und zu demonstrieren. Wir müssen Netanjahu erklären, dass die israelische Demokratie stark ist, dass die israelischen Bürger stark sind und dass wir unser Schicksal nicht in die Hände derjenigen legen werden, die uns am 07. Oktober in Stich gelassen haben."