Türkische Regierung Wohin führen die Gespräche mit der PKK?
Seit mehr als vier Jahrzehnten tobt ein Kampf zwischen türkischem Staat und der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. Nun gibt es Hoffnung auf einen neuen Friedensprozess. Doch die Hürden dafür sind hoch.
Im Oktober vergangenen Jahres sorgte ausgerechnet der Ultranationalist Devlet Bahceli, dessen Partei MHP eine Koalition mit der AKP von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogans bildet, mit einer Aussage über PKK-Führer Abdullah Öcalan für Aufsehen. Er schlug vor, Öcalan solle im Parlament reden und seine PKK auffordern, die Waffen niederzulegen.
So mancher musste sich die Aussage zweimal anhören, schließlich waren es Bahceli und seine rechtsnationalistische MHP, die sich seit jeher gegen Friedensverhandlungen mit der PKK gestellt hatten.
Erdogan und Bahceli sind Koalitionspartner. Spielen sie in der Frage des Verhältnisses mit der PKK über Bande?
Geht es um Erdogan?
Welches Kalkül dahinter steckt, fragen sich fortan nicht nur Journalisten, sondern die meisten Menschen in der Türkei. Die häufigste Erklärung: Die Regierung um Erdogan arbeite an einer Verfassungsänderung. Damit Erdogan erneut kandidieren könne, bräuchte man die Stimmen der pro-kurdische DEM-Partei.
Erdogan verhielt sich bisher auffällig still, überlässt zunächst scheinbar alles seinem Koalitionspartner - zumindest öffentlich. Schon einmal scheiterte ein Friedensprozess, den Erdogan damals selbst initiiert hatte.
Konflikt mit zehntausenden Toten
Seit den 1980er-Jahren schwelt der Konflikt zwischen dem türkischen Staat und der PKK, die nicht nur in der Türkei, sondern auch in der EU als Terrororganisation eingestuft ist. Schätzungsweise mehr als 40.000 Menschen kamen durch den Konflikt bereits ums Leben: Türkische Soldaten und Polizisten, sowie Zivilisten, vor allem Kurdinnen und Kurden.
In den 1990er-Jahren brannte das türkische Militär ganze kurdische Dörfer nieder, als Reaktion auf PKK-Anschläge. Es kam zu Festnahmen und zahlreichen Fällen von Folter in türkischen Gefängnissen.
Ein Friedensprozess im Jahr 2013 scheiterte zwei Jahre später, es folgte ein brutaler Häuserkampf in verschiedenen Städten im Südosten der Türkei. Kämpfer der PKK wurden dabei fast vollständig aus der Türkei zurückgedrängt und zogen sich in bestehende Gebiete in Nordost-Syrien und Nordirak zurück.
Bahceli verblüfft Beobachter
Gibt es nun einen neuen Versuch? Schon kurz nach Bahcelis Aussage, Öcalan solle im Parlament reden, scheint ein neuer Friedensprozess zunächst wieder in weite Ferne zu rücken. Denn in Ankara griffen Ende Oktober zwei PKK-Mitglieder eine Rüstungsfirma an und töteten fünf Menschen.
Das türkische Militär fliegt daraufhin massive Luftangriffe auf mutmaßliche Stellungen der PKK im Irak und in Syrien, wo zu dem Zeitpunkt noch Baschar al Assad an der Macht ist. Kurdische NGOs berichten damals von zahlreichen zivilen Opfern.
Doch zur Verwunderung vieler erneuerte Bahceli seinen Vorschlag. Ende Dezember erhält PKK-Führer Öcalan schließlich Besuch im Gefängnis. Seit 1999 sitzt er in Haft, erst zum Tode verurteilt, nach der Abschaffung der Todesstrafe zu lebenslanger Haft. Als Staatsfeind Nummer Eins ist er nicht in irgendeinem Gefängnis inhaftiert, sondern auf der Gefängnisinsel Imrali im Marmarameer vor Istanbul. Nach wie vor gilt sein Einfluss auf die PKK als sehr groß.
Öcalan zeigt sich gesprächsbereit
Die beiden Besucher, die Öcalan kurz vor dem Jahreswechsel empfangen darf, sind zwei Abgeordnete der pro-kurdischen DEM, ehemals HDP. Diese setzt sich für einen politischen Weg in der Kurdenfrage ein, dennoch sehen sich DEM-Abgeordnete und -Mitglieder immer wieder Repressalien und dem Vorwurf der Terrorpropaganda ausgesetzt.
Ihr ehemaliger Parteichef Selahattin Demirtas sitzt seit November 2016 in Haft. Bereits 2020 urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte: zu Unrecht. Das daraufhin erlasse Urteil zur Freilassung setzte die Türkei nie um, obwohl sie als Mitglied des Europarats dazu verpflichtet ist.
Vom Treffen zwischen der DEM-Delegation und Öcalan gibt es keine Aufnahmen, nicht mal ein Foto drang bisher an die Öffentlichkeit, dafür aber eine Nachricht des PKK-Führers. Er sei bereit, die notwendigen positiven Schritte zu unternehmen. In anderen Worten: die PKK zur Niederlegung der Waffen aufzurufen.
Diese Nachricht überbringt die Delegation Anfang Januar verschiedenen Parteien. Zunächst treffen sie Bahceli selbst. Begleitet von Kameras, gibt der Ultranationalist kurdischen Politikern freundlich die Hand, unter ihnen Ahmet Türk, ein altgedienter Parteifunktionär und Bürgermeister von Mardin, der kurze Zeit vorher aus dem Amt geworfen und durch einen Zwangsverwalter ersetzt worden war, wie so viele Bürgermeister der DEM.
In Syrien ändern sich die Verhältnisse
Es folgt ein mehrtägiger Austausch innerhalb des politischen Establishments und die Ankündigung eines erneuten Besuchs bei Öcalan. Doch die Lage wird noch komplizierter: Im Nachbarland Syrien wird Machthaber Assad Anfang Dezember überraschend durch islamistische Rebellen und pro-türkische Milizen gestürzt. Ankara soll für die Offensive grünes Licht gegeben haben.
Während die Weltöffentlichkeit sich in der Folge mit Assads Foltergefängnissen beschäftigt und der Frage, welche Ziele die neuen Machthaber verfolgen, nimmt die Türkei ihre Ziele längst in Angriff. Im Norden Syriens rund um den Fluß Euphrat greift das türkische Militär, unterstützt von syrischen Milizen, immer wieder Truppen der sogenannten SDF an, die von der kurdischen YPG geführt wird. Zivilisten in den betroffenen Gebieten fürchten fortan um ihre Sicherheit.
Der Faktor USA
Der Chef der SDF, Mazlum Abdi, gilt als Ziehsohn Öcalans. Ankara sieht in der YPG nicht nur den syrischen Ableger der PKK, sie geht auch davon aus, dass sich PKK-Kämpfer in den Reihen der SDF befinden.
Die SDF allerdings wird von den USA unterstützt, vor allem als Partner im Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat. 2015 befreiten ihre Kämpfer, darunter viele Frauen, die syrische Stadt Kobane aus den Händen der Islamisten.
Doch die zukünftige Unterstützung der USA ist nicht sicher. Zwar erklärte Marco Rubio, der designierter Außenminister diese Woche, die USA sollten ihre Unterstützung für die SDF aufrechterhalten, um ein Wiederaufleben des "Islamischen Staates" in Syrien zu verhindern.
Donald Trump hatte allerdings in der Vergangenheit bereits mehrmals angekündigt, die rund 2.000 US-Soldaten aus Syrien zurückziehen zu wollen.
Türkische Regierung droht der SDF
Der türkische Außenminister Haken Fidan, einst Chef des türkischen Geheimdienstes, drohte der SDF vor kurzem und stellte ein Ultimatum - allerdings ohne Datum. Er forderte, ausländische Kämpfer innerhalb der SDF müssten ausreisen, die SDF sich den neuen Machthabern im Land, der HTS angliedern.
Genau davor dürften viele Bewohner im von der SDF kontrolliertem Gebiet Sorge haben, schließlich ist die Ideologie der HTS der des "Islamischen Staates" nahe - auch wenn sich HTS-Chef Ahmed al Scharaa aktuell gemäßigter präsentiert, etwa indem er religiösen und ethischen Minderheiten Schutz verspricht.
Bislang nur "ein Vorgang"
Die Türkei erhöht daher nun den Druck auf die neuen Machthaber in Syrien, gegen die SDF vorzugehen. Immerhin sind die Beziehungen ausgezeichnet. Mitte der Woche kam Syriens Interims-Außenminister Assad al Shibani nach Ankara, traf dort nicht nur seinen Amtspartner Fidan, sondern auch Staatspräsident Erdogan persönlich.
"Wir werden nicht akzeptieren, dass eine Region, auch nur ein Stückchen Syriens außerhalb der Kontrolle des Zentralstaates bleibt", äußerte sich Al Shibani nach den Treffen vor der Presse.
In der Türkei gehen die Gespräche rund um die sogenannte Kurdenfrage dennoch weiter. Von Friedensprozess ist bisher allerdings nicht die Rede, in der Presse spricht man vom "Vorgang". Die pro-kurdische DEM will kommende Woche erneut Öcalan im Gefängnis besuchen, vermutlich auch mit einer Botschaft der Regierung im Gepäck.
Vorab äußerte sich nun Erdogan selbst auf der Fraktionssitzung - mit einer Drohung. Wenn die PKK nicht einlenke, werde die Türkei ihre Ziele mit anderen Methoden erreichen.