
Großdemo in Belgrad Mehr als 100.000 Menschen fordern "besseres Serbien"
Es sind längst nicht mehr nur die Studierenden, die demonstrieren. Der Protest gegen Serbiens Regierung zieht sich durch alle Generationen und trieb mehr als 100.000 Menschen auf die Straßen von Belgrad.
Laut dem serbischen Innenministerium waren es mehr als 100.000 Menschen, die im warmen Nieselregen dieses Samstagnachmittags die Straßen der Belgrader Innenstadt geflutet haben. Viele kamen gar nicht mehr über die Save-Brücke in die Stadt, alles dicht, voller Menschen aus ganz Serbien.
Belgrads Studierende haben das große Aufbegehren organisiert: "Wir wünschen uns Gerechtigkeit im Staat. Wir wollen uns alle sicher fühlen. Das ist das Wichtigste für uns", sagt eine Studentin. Schluss mit Korruption, Schluss mit Behördenschlamperei, die sollen ihren Job anständig machen, für ein besseres Serbien, so die Studierenden.
Hoffen auf einen "D-Day"
Darum geht es ihnen, nicht um den Rücktritt des Staatspräsidenten Aleksandar Vucic. Den fordern die Studentinnen und Studenten ausdrücklich nicht und machen sich so weniger angreifbar. Aber natürlich geht es um ein Ende des "Systems Vucic". Biljana Stojkovic, Professorin für Evolutionsbiologie und fest an der Seite ihrer Studierenden, fasst das so zusammen:
"Allen ist klar, dass dieses Regime nicht fähig ist, auch nur eine einzige dieser Forderungen zu erfüllen." Hauptziel der Proteste sei also doch der Sturz des Regimes, so Stojkovic. "Denn anders werden wir die Ideale 'Recht, Gerechtigkeit, Freiheit' nicht erreichen."
Das aber sei ein Marathon, kein Sprint, sagt eine Studentin, die das Ganze mitorganisiert. Die Professorin ist etwas ungeduldiger. "Ich erwarte, dass dieses Regime bald in seinen Fundamenten erschüttert sein wird. Natürlich hoffen wir alle, dass dieser Tag ein D-Day sein wird." Ein D-Day, also der Tag, an dem es kippt.
Vucic warnt vor Ausschreitungen
Präsident Vucic ließ am Tag davor wissen, er werde dem Druck der Straße nicht weichen. Ruhig im Ton, aber sichtbar nervös, warnte er vor Gewalt, ausgeübt von möglichen Trittbrettfahrern der Opposition. Die letzten Tage waren ein Nervenkrieg, es gab Gerüchte über angebliche Bombendrohungen, die Züge nach Belgrad standen still.
Vucics Anhänger - möglicherweise seien auch militante, kriminelle darunter, heißt es - campen vor dem Präsidentenpalast. Sie sind geschützt und umzingelt von mitgebrachten alten Traktoren aus uralten Jugoslawien-Zeiten.
Es herrscht angespannte Stimmung nach dem fröhlichen nächtlichen Volksfest, mit dem die Demonstranten aus ganz Serbien am Freitag in Belgrad begrüßt worden waren.

Anhänger Vucics campieren vor dem Präsidialgebäude in Belgrad.
Fallschirmjäger wollen Demonstration schützen
"Keine Gewalt, nicht provozieren lassen", das haben die Studierenden ausgegeben. Das haben alle verstanden. Vor der Chemie-Fakultät ist ein Trupp mittelalter Männer angetreten, alle mit rotem Barrett. Kriegserfahrene Veteranen der 63. Fallschirmspringer-Brigade.
"Stillgestanden", ruft der Anführer. Sie bekreuzigen sich nach einem kurzen Gebet mit einem Theologiestudenten. Danach ruft ihr Frontmann: "Mir nach" - es geht zum Demonstrationszug. Die ehemaligen Fallschirmjäger sind nach Belgrad gekommen, um die Demonstrierenden zu beschützen, falls jemand Ärger machen will.
Ein Protest aller Generationen
Deutlich sichtbar ist: Es sind Alte und Junge, bei weitem nicht nur Studierende, die da durch Belgrad ziehen, die sich auf dem Slavija-Platz versammeln, dem neuen Kundgebungsort, und vor dem Parlament, dem ursprünglichen Ziel. Das ist längst kein Jugendprotest mehr.
"Mir laufen die Tränen übers Gesicht", sagt ein älterer Mann. "Ich möchte mich zutiefst entschuldigen, weil ich bis vor ein paar Monaten gedacht habe, dass Serbiens Jugend eine verlorene Generation ist, Produkt dieses Staates und der Krawallmedien hier. Ich entschuldige mich von Herzen, dass ich mich so geirrt habe."
Unklare Zukunft
Egal, wie viele es diesmal in Belgrad waren - die Drohnen-Aufnahmen zeigen es: Das ist wohl wirklich die größte Demonstration, die Serbiens Hauptstadt bisher erlebt hat.
Noch ist die Versammlung nicht zu Ende. Eine lange Nacht liegt noch vor Belgrad und Tage und Wochen, über die noch niemand sagen kann, wie es weitergehen wird. Die Demonstrierenden bleiben erstmal bei ihrem Solgan: "Pumpaj, Pumpaj" - erhöht den Druck!