EU, X, Facebook & Co. Zensiert die EU die Internet-Plattformen?
In der Debatte um EU-Gesetze für digitale Plattformen steht ein Vorwurf im Raum: Die EU zensiere mit ihren Regeln X, Facebook und andere Unternehmen. Ist das begründet? Und wie verteidigt sich die EU?
Gerade noch hatte sich Milan Uhrik im EU-Parlament als Kämpfer für die Meinungsfreiheit präsentiert. Indem man Internet-Plattformen "Zensur" verordne, verteidige man nicht die Demokratie, befand der slowakische Abgeordnete von der Fraktion Europa Souveräner Nationen, der auch die AfD angehört. Auf einen Zwischenruf reagierte er dann mit: "Halten Sie die Klappe, bitte!"
Parlamentspräsidentin Roberta Metsola beendete seinen Auftritt in Straßburg. Eine Randnotiz vielleicht. Aber die Szene aus dieser Woche zeigt, wie schwierig es manchmal mit dem politischen Austausch ist. Und doch kommt der Eindruck auf, Milan Uhrik habe selbst gewisse Probleme, andere Meinungen auszuhalten.
In der Debatte um EU-Gesetze für digitale Plattformen steht ein Vorwurf im Raum: Die EU zensiere mit ihren Regeln X, Facebook und andere Unternehmen. Ist das begründet? Und wie verteidigt sich die EU?
Viele Diskussionen über den DSA
Die Debatte in Straßburg war lang und hitzig. Einen Tag nach der Amtseinführung von Donald Trump diskutierte das EU-Parlament über die "Notwendigkeit, den Digital Services Act durchzusetzen, um die Demokratie auf Social Media Plattformen zu schützen".
Der Digital Services Act (DSA, auf Deutsch: Gesetz über digitale Dienste) steht im Zentrum vieler Debatten, seit Mark Zuckerberg angekündigt hat, bei Facebook und Instagram in den USA das Faktenprüfen zu streichen.
Die Lesarten, welche Absicht und Folgen das EU-Gesetz hat, gehen weit auseinander. Es soll seit Februar 2024 in der gesamten Europäischen Union, ein "sicheres, vorhersehbares und vertrauenswürdiges Online-Umfeld" schaffen und gleichzeitig Innovation und Grundrechte schützen.
Was ist am Zensur-Vorwurf dran?
Die Regulierung aus Europa betrifft vor allem große Plattformen, die in den USA ihre Heimat haben. US-Präsident Trump lehnt den DSA ab, sein Berater Elon Musk auch. Ihm gehört X.
Für ihre Sichtweise gibt es aber auch in der EU Unterstützung, wie am Dienstag in Straßburg zu erleben war. Immer wieder fällt dabei der Vorwurf, das Digitalgesetz DSA habe "Zensur" eingeführt. Es gehe der EU-Kommission darum, die freie Meinungsäußerung einzuschränken, was die zuständige Kommissarin wiederholt zurückwies.
Zensur? Eine systematische Unterdrückung von unliebsamen Meinungen? "Im Gegenteil", sagt Felix Kartte von der Stiftung Mercator. Er hat sich intensiv mit dem DSA-Gesetz, aber auch grundsätzlich mit der Regulierung digitaler Plattformen beschäftigt.
Das Gesetz schränke die "unternehmerische Willkür" ein, ungestraft Inhalte zu löschen, die eigentlich nicht bedenklich gewesen seien: "Da haben wir eigentlich eine neue Ebene der Rechenschaft, die wir vorher so nicht hatten, wo sich Nutzer selbst auch gegen Löschentscheidungen wehren können."
Die Hausordnung der Plattformen
Wer legt fest, was wir auf den großen Plattformen lesen können? Was ist erlaubt? Was ist eine Meinung, was schon eine Beleidigung? Schwierige Fragen, für die jedoch primär nicht der Digital Services Act zuständig ist. Es sind die Plattformen selbst, die entscheiden, was online bleibt, was gelöscht wird.
Grundlage sind dabei die eigenen Regeln, quasi die Hausordnung, die sich jedes der privaten Unternehmen geben kann. Die sind häufig geprägt von der US-amerikanischen Auffassung von Redefreiheit.
Die Rechtsprofessorin Amu Bradford beschreibt das in ihrem Buch "Digital Empires" so: Die USA verteidigten die freie Meinungsäußerung auch dort, wo die EU bereit ist, sie einzuschränken. Das schütze "sogar Hassreden oder abstoßende Ideen, die nach dem europäischen Regelungsmodell als Beeinträchtigung der Würde des Einzelnen und als sozialer Schaden" angesehen würden.
Allerdings müssen die Plattformen auch das nationale Recht der jeweiligen EU-Staaten berücksichtigen. Was in einem EU-Land noch durchgeht, verstößt in einem anderen vielleicht schon gegen das Gesetz. Eine Vorgabe des DSA: Nutzerinnen und Nutzer müssen eine Möglichkeit haben, illegale also strafrechtlich relevante Inhalte zu melden. Die Plattformen haben die Pflicht, darauf zu reagieren.
Transparenz gefordert
Was das EU-Gesetz ebenfalls regelt: Die Plattformen müssen Transparenz schaffen, wie sie arbeiten. Wie wird entschieden, was Nutzer angezeigt bekommen? Außerdem sind die Unternehmen verpflichtet, regelmäßig zu überprüfen, ob von ihnen ein grundsätzliches, ein "systemisches" Risiko ausgeht.
Was tun sie gegen die übermäßige Verbreitung von problematischen Inhalten? Die Vorgaben sind umfangreich, und doch lassen manche Formulierungen im Gesetz auch Spielraum für Interpretation. So sollen die Plattformen "alle tatsächlichen oder absehbaren nachteiligen Auswirkungen auf die gesellschaftliche Debatte und auf Wahlprozesse und die öffentliche Sicherheit" bewerten.
Frage nach den Algorithmen
Felix Kartte von der Stiftung Mercator hält Transparenz und Aufsicht für wichtig, weil die Plattformen für die öffentliche Meinungsbildung so wichtig geworden seien: "Bislang hatten wir als Öffentlichkeit gar keine Einsicht darin, wie genau die Algorithmen funktionieren, was die Kriterien sind, nach denen sie Inhalte verbreiten."
Die EU-Kommission hat auf der Basis des DSA bereits mehrere Verfahren eröffnet. Im Fall von X geht sie jetzt den nächsten Schritt und fordert beim Unternehmen interne Unterlagen über Algorithmen an. Mit einem kurzfristigen Ende der Prüfung durch die EU-Kommission ist jedoch nicht zu rechnen. Dem Vernehmen nach beschäftigen die Tech-Firmen sehr viele Anwaltskanzleien, um die Vorwürfe zurückzuweisen.
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