Pflegekräfte machen Gymnastik mit Heimbewohnern.

Britische Migrationspolitik Ohne ausländische Pflegekräfte aufgeschmissen

Stand: 08.06.2025 11:43 Uhr

Die britische Labour-Regierung hat neue, strenge Einwanderungsgesetze angekündigt. So sollen etwa Pflegekräfte künftig nicht mehr aus dem Ausland rekrutiert werden, obwohl sie für die Gesundheitsbranche unverzichtbar sind.

"One, two, three - und jetzt mit den Armen kreisen." Im Victoria Care Center, einem Pflegeheim im Westen Londons, hat gerade die sogenannte Activity Time begonnen.

Etwa ein Dutzend Bewohnerinnen und Bewohner sind im Gemeinschaftsraum versammelt. Die meisten sitzen im Rollstuhl und werden wegen Demenz oder anderer neurologischer Erkrankungen betreut.

Zunächst sollen sie mit den Armen rudern, dann - so fest es geht - in die Handflächen ihrer Pflegerinnen und Pfleger boxen. Die kommen von den Philippinen, aus Indien oder Zimbabwe.

Einheimische Pfleger ziehen oft weiter

"Ohne ausländische Pflegekräfte würde hier alles zusammenbrechen", sagt Rachel, eine Frau Mitte vierzig, die seit zwei Jahren im Heim lebt.

Wir brauchen sie für alles, vom Moment des Aufstehens bis zum Schlafengehen. Natürlich hatten wir auch schon Pfleger aus England, aber die bleiben meist nicht lang und sind oft weniger engagiert. Die warten nur auf einen besser bezahlten Job.
Anwohner eines Pflegeheims machen Gymnastik.

Rachel lebt im Pflegeheim Victoria Care Center im Westen Londons. Sie fürchtet, dass Angebote wie die Activity Time künftig ausfallen, sollte es bald keine ausländischen Pflegekräfte mehr geben.

Keine speziellen Visa mehr

In Pflege- und Sozialeinrichtungen im ganzen Vereinigten Königreich spielen Pflegekräfte aus asiatischen und afrikanischen Ländern eine zentrale Rolle. Seit dem Brexit haben sie vielerorts die Pflegekräfte aus EU-Ländern ersetzt - unterstützt und gefördert von Politik und Behörden durch spezielle Visa.

Doch damit soll nun Schluss sein, wie Premierminister Keir Starmer angekündigt hat. Die Rekrutierung ausländischer Pflegekräfte werde eingestellt.

"Erst kam der Brexit, da mussten wir Lösungen finden und hatten uns gerade dran gewöhnt. Und jetzt das", sagt die Direktorin Sadya Bhattarai. "Diese erneuten Änderungen könnten für das gesamte Gesundheitswesen noch schädlicher sein. Vielleicht müssen Pflegeeinrichtungen sogar schließen."

Eine Pflegekraft macht Gymnastik mit Heimbewohnern.

Eine Pflegekraft im Victoria Care Center, einem Pflegeheim im Westen Londons, macht Gymnastik mit Heimbewohnern. Ohne die Pflegenden aus dem Ausland fürchten sie hier große Personallücken.

Premier Starmer: "Kontrolle über Grenzen zurückgewinnen"

Die Abschaffung der Care-Worker-Visa, die Pflegekräften bislang den Zugang ins Land und zum britischen Arbeitsmarkt erleichtert haben, sind ein zentraler Baustein der Maßnahmen, die Starmer im Mai angekündigt hat. Seither werden sie heftig diskutiert. Ziel der Regierung ist es, die Nettozuwanderung zu senken: Im Jahr 2023 erreichte sie mit rund 860.000 Menschen ein Rekordhoch - trotz Brexit.

"Die Labour-Regierung schließt das Labor - das Experiment ist vorbei", sagte Starmer mit Blick auf die Migrationspolitik der konservativen Vorgängerregierung. "Wir werden tun, wofür die Menschen im Land mehrfach gestimmt haben: die Kontrolle über unsere Grenzen zurückgewinnen." Überall - bei Arbeitsvisa, Familiennachzug und Studienaufenthalten - werde es künftig strengere Regeln geben, so Starmer.

Rhetorik der Rechten

Für Aufsehen und Aufruhr sorgte vor allem die Wortwahl des Premierministers. Wenn die Zuwanderung so weitergehe, dann - so warnte er - drohe Großbritannien zu einer "Insel der Fremden" zu werden. Auch aus den eigenen Reihen bekam Starmer deutliche Kritik: Die Sprache sei spaltend und erinnere an die Rhetorik der politischen Rechten.

Manche fühlten sich gar an den konservativen Politiker Enoch Powell erinnert. Der warnte 1968 in einer berüchtigten Parteitagsrede vor einem angeblichen Bürgerkrieg infolge von Zuwanderung. Er sprach von "rivers of blood", von Flüssen voller Blut, sollte die Einwanderung aus Commonwealth-Ländern nicht gestoppt werden.

Powell behauptete, weiße Briten würden zu Fremden im eigenen Land. Der damalige konservative Oppositionsführer Edward Heath entließ ihn aus dem Schattenkabinett und bis heute gilt die Rede Powells als Zäsur in der britischen Einwanderungsdebatte.

"Leider erinnert die Rhetorik von Starmer in der Tat an Powell", kommentierte nun Lord Alfred Dubs, der für Labour im Oberhaus sitzt und in seiner Partei als moralische Instanz in Migrations- und Asylfragen gilt. Dubs kam als Kind mit den sogenannten Kindertransporten aus Prag nach Großbritannien - und wurde so vor den Nazis gerettet.

"Wenn Politiker solche Worte wählen, führt das dazu, dass Neuankömmlinge vielen Menschen nicht mehr willkommen sind", sagte er. Und Dubs fügte hinzu: "Das ist eigentlich nicht der Starmer, den wir kennen."

Viele vermuten - und darauf spielt auch Dubs an - dass Starmer so drastische Worte wählte, um den steigenden Umfragewerten der rechtspopulistischen Reform-Partei von Nigel Farage etwas entgegenzusetzen. Die Reform-Partei hatte zuletzt auch bei den Kommunalwahlen große Erfolge erzielt.

Enttäuschung über Labour

Im Victoria Care Center klingt Rachel immer verbitterter, je länger sie über das Ende der Pflege-Visa spricht. "Wenn wir hier nicht genug Pfleger haben, bekommen wir weniger Hilfe und verlieren noch mehr Selbstständigkeit", sagt sie. Auch die Activity time könnte dann womöglich bald ausfallen.

Dabei bringe sie das durch die Tage. "Das alles ist ein missglückter Versuch der Politik, mehr Jobs für Leute aus England zu schaffen - unter dem Vorwand, es gäbe nicht genug Arbeit. Aber das stimmt doch gar nicht und wird nicht klappen."

Neben ihr nickt Direktorin Bhattarai. "Es ist wirklich schwer, Menschen aus Großbritannien langfristig für diesen Job zu begeistern", sagt sie. "Wir versuchen es immer wieder."

Gerade von der Labour-Partei, die sie bei der Parlamentswahl 2024 gewählt hat, habe sie mehr erwartet, sagt Rachel. "Labour war doch immer die Partei, die an der Seite der einfachen Leute steht - davon sind sie heute meilenweit entfernt. Jetzt klingen und handeln sie fast wie die Konservativen."

Umfragen des Instituts YouGov zeigen: Nur etwa ein Drittel der Labour-Wähler unterstützt die Verschärfung der Einwanderungsregeln - während sie bei Anhängern der Konservativen und der Reform-Partei auf breite Zustimmung stößt.

Einwanderung sank zuletzt

Ende Mai, keine zwei Wochen nach Starmers umstrittener Rede, wurde bekannt, dass die Netto-Einwanderung nach Großbritannien sich im Jahr 2024 im Vergleich zum Vorjahr - für viele überraschend - fast halbiert habe und bei rund 430.000 Personen lag.

Mehr als 80 Prozent kamen aus Nicht-EU-Ländern. Wie oder ob überhaupt diese neuen Zahlen die Regierungspläne beeinflussen könnten, ist noch völlig unklar. Doch im Londoner Victoria Care Home haben sie doch noch ein wenig Hoffnung.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 12. Mai 2025 um 18:18 Uhr.