
Russischer Oppositioneller Nemzow Gedenken unter erschwerten Umständen
Vor zehn Jahren wurde einer der schärfsten Widersacher Putins ermordet. Boris Nemzow wurde direkt vor den Toren des Kreml in den Rücken geschossen. Trotz aller Gefahr gibt es auch in Russland noch Menschen, die seiner gedenken.
Am 27. Februar 2015 ist Boris Nemzow nach einem Restaurantbesuch mit seiner ukrainischen Lebenspartnerin auf dem Weg nach Hause. Die beiden schlendern über eine Brücke der Moskwa in Sichtweite des Kreml, als ein Wagen mit vier Personen kurz hinter dem Paar anhält. Ein Mann steigt aus und schießt dem russischen Oppositionellen mehrfach in den Rücken.
Schon im März 2015 kommt es zu fünf Festnahmen. Die Spur führt laut Ermittlern nach Tschetschenien. Später gesteht Saur Dadajew, ein Offizier der Inlandstruppen des Innenministeriums, die Schüsse abgegeben zu haben.
Der Täter wird zu 20 Jahren Haft, seine Komplizen zu Haftstrafen zwischen elf und 19 Jahren verurteilt. Ein Auftragsmord soll es gewesen sein. Motive und Hintermänner bleiben jedoch im Dunkeln.
Einer der schärfsten Widersacher Putins
Am Ende des Jahres 2015 äußerte sich der russische Präsident Wladimir Putin zu Nemzow und distanzierte sich von dem Mord, dem einer seiner schärfsten Widersacher zum Opfer fiel.
"Unsere Beziehungen waren nicht immer schlecht. Ich selbst wollte es mir nie mit ihm verderben. Er schlug den Weg des politischen Kampfes, persönlicher Angriffe und dergleichen ein. Aber ich bin daran gewöhnt, er war nicht der Einzige." Aber das bedeute nicht, dass dafür ein Mensch umgebracht werden solle. Er werde das nie akzeptieren, erklärt Putin.
"Widersacher aus dem Weg geräumt"
An den Beteuerungen des Kremlchefs gibt es nicht nur in Reihen der russischen Opposition von Anfang an erhebliche Zweifel. Der Tatort direkt vor den Toren des Kreml sei nicht zufällig ausgewählt worden. Es ein Ort, der so gut überwacht wird wie kaum ein anderer in Russland.
Dies sei eine indirekte Botschaft, so die Einschätzung vieler Beobachter. Mit Nemzow sei ein für Putin zu unbequemer Widersacher aus dem Weg geräumt worden.
Der russische Oppositionelle Wadim Kara-Mursa, mittlerweile im Ausland im Exil, war ein enger Freund Nemzows. Auf Kara-Mursa wurde drei Monate nach dem Mord an Nemzow ein Giftanschlag verübt, den er knapp überlebte.
Bei einer Gedenkfeier für Nemzow sagte Kara-Mursa im Februar 2021: "Es gab tatsächlich sehr viele Ursachen, warum Nemzow für die regierenden Machthaber gefährlich war. Er konnte hervorragend mit Menschen umgehen und Demos mit mehreren Tausenden Teilnehmern organisieren. Er konnte Wahlen gewinnen, was für die Opposition in einem autoritären Land so gut wie unmöglich sein sollte."
Stellvertretender Ministerpräsident unter Jelzin
Anfang der 1990er-Jahre war Nemzow ein aufstrebender junger und unbelasteter Politiker ohne Sowjet-Vergangenheit. Er wurde mit 32 Jahren in Nischni-Nowgorod jüngster Gouverneur und setzte demokratische Reformen durch.
Unter dem damaligen Präsidenten Boris Jelzin gelang ihm sogar der Aufstieg zum stellvertretenden Ministerpräsidenten. Nach den manipulierten Parlamentswahlen 2011 war Nemzow einer der prominenten Köpfe der Protestbewegung und ging mit Putin hart ins Gericht.
Wie zum Beispiel bei einer Kundgebung zur Unterstützung der Punkband Pussy Riot im Sommer 2012: "Er hat eigentlich vor allem Angst vor seinem eigenen Volk, und er hat tierische Angst vor Protestaktionen. Er ist permanent in einem Hysterie-Zustand, er leidet an Spionage-manie, einer Art Verfolgungswahn", so Nemzow über Putin. "Er ist ein Mann mit vielen Komplexen und krankhaftem Misstrauen. Und es ist ein Unglück, dass er uns ewig regieren will."
"Bereit, einer anderen Meinung zuzuhören"
Kurz vor seinem Tod hatte Nemzow unter dem Motto "Für die Liebe, gegen den Krieg" zu einer großen Protestaktion aufgerufen, die am 1. März stattfinden sollte. Nemzow war nicht nur ein Kritiker der Krim-Annexion und der russischen Aggression gegen die Ukraine.
Er prangerte Korruption auf höchster Regierungsebene an und machte Putins Politik des "Machterhalts um jeden Preis" dafür verantwortlich, dass die Menschen in Russland um ihren Wohlstand gebracht würden.
Für die russische Opposition war Nemzow ein Hoffnungsträger - noch bevor ein Alexej Nawalny später ins Rampenlicht rückte. Nemzows ehemaliger politischer Weggefährte Ilja Jaschin erklärte in einer Dokumentation 2017, warum.
"Nemzow war anders. Und es scheint mir, dass gerade das uns sehr fehlt - ein reflektierender Staatschef. Ein Staatschef, der zulässt, dass er auch Fehler machen kann. Der bereit ist, einer anderen Meinung zuzuhören, der nicht glaubt, dass nur er recht hat. An so einen Staatsmann im russischen Staat kann ich mich nicht erinnern."
Auch in Russland weiterhin Gedenken
Das Gedenken an Nemzow in Russland bleibt - wenn auch unter erschwerten Umständen. Immer wieder legen vereinzelte Menschen Blumen an der Stelle auf der Moskwa-Brücke nieder, wo Nemzow vor zehn Jahren ermordet wurde. Und immer wieder entfernen Beamte diese Blumen.
Die Bitte, die Bolschoj-Mosworezkij-Brücke in Nemzow-Brücke umzubenennen oder eine Gedenkstätte für ihn einzurichten, wurde abgelehnt.