Protestierende halten in Istanbul Flaggen der Türkei in die Höhe.

Großkundgebung für İmamoğlu "Heute schreiben Sie hier Geschichte"

Stand: 29.03.2025 20:54 Uhr

Hunderttausende versammelten sich in Istanbul, um für İmamoğlu und gegen die Politik des türkischen Präsidenten Erdoğan zu protestieren. Obwohl er im Hochsicherheitsgefängnis sitzt, sprach der CHP-Politiker sogar selbst zu der Menge - per KI.

Von Uwe Lueb , ARD Istanbul

"Her sey cok güzel olacak" - "Alles wird gut", rufen initiiert vom Istanbuler Chef der größten türkischen Oppositionspartei CHP, Özgür Celik, unzählige Menschen auf einer Großkundgebung für die Freilassung Ekrem İmamoğlus. Der Spruch ist schon lange das Markenzeichen von İmamoğlu, dem vorläufig suspendierten Oberbürgermeister Istanbuls. Hunderttausende sollten zu der Kundgebung kommen. Rund zwei Millionen Menschen waren es, sagt Özel. Um die 500.000 Teilnehmenden sind vermutlich realistischer.

"Präsident İmamoğlu", skandiert die Menge. Seine Familie kommt auf die Bühne, seine Frau, Söhne, Eltern und Schwester. Mutter Hava lobt ihren Sohn Ekrem als fleißigen Mann, der dem Volk dient. Seit seiner Festnahme vor anderthalb Wochen kann er das nicht mehr.

İmamoğlu hält Rede - mithilfe von KI

Und doch ist İmamoğlu selbst heute quasi dabei: Seine Partei spielt eine mithilfe Künstlicher Intelligenz erzeugte Rede von ihm ein. Den Text hat İmamoğlu selbst im Gefängnis geschrieben. "Sie können uns ins Gefängnis stecken, vor Gericht stellen, so viel sie wollen. Das Volk hat gezeigt, dass es alle Verschwörungen zerschlagen wird. Das Volk hat gezeigt, dass es selbst der Eigentümer des Staates ist", sagt die künstlich generierte Version von İmamoğlu.

Weiter heißt es, er habe sich nichts vorzuwerfen, müsse sich nicht gegen erfundene Vorwürfe verteidigen. So sieht İmamoğlu es, so sehen es seine Partei und seine Anhänger. In Wahrheit gehe es Präsident Recep Tayyip Erdoğan darum, ihn politisch kaltzustellen und die eigene Macht so zu festigen.

Rückhalt für Erdoğan schwindet

Doch die Zustimmung für Erdoğan bröckelt. Nach einer aktuellen Umfrage stützt eine Mehrheit im Land die Proteste für İmamoğlu, die längst zu Protesten gegen Erdoğan geworden sind.

Der sei für die wirtschaftlich schwierige Lage vieler Menschen im Land verantwortlich, sagt der CHP-Bürgermeister von Ankara, Mansur Yavaş. Denn in einem Land ohne funktionierende Justiz könne die Wirtschaft nicht wachsen. Und: Der im Hochsicherheitsgefängnis Silivri inhaftierte İmamoğlu müsse freikommen. "Silivri soll geschlossen werden. Es ist ein Symbol für die gesetzwidrige Unterdrückung der Freiheiten in diesem Land geworden. Und statt sich mit Gefängnissen zu brüsten, sollten wir uns jetzt damit brüsten, Gefängnisse zu schließen", fordert Yavaş.

"Recht, Gesetz, Gerechtigkeit" ist auf vielen Transparenten zu lesen. Auf der Bühne hängen Plakate, auf denen die Vorwürfe gegen İmamoğlu als Lügen Erdoğans bezeichnet werden. Jetzt gehe es ums große Ganze, ruft CHP-Chef Özel der Menge zu:

Heute schreiben Sie hier Geschichte, Sie nehmen die Zukunft der Türkei in die Hand und leisten Widerstand gegen die Putschisten. Sie verteidigen die Demokratie und Ihre Zukunft.

CHP kündigt fortwährende Proteste an

Das eint die Demonstrierenden - von jung bis alt, Mann und Frau, Wohlhabende und Ärmere. Sie fordern lautstark, Erdoğan solle abtreten.

Doch mit einem freiwilligen Abtritt Erdoğans oder einer vorgezogenen Neuwahl, in der İmamoğlu gegen ihn antreten kann, ist nicht zu rechnen. Die CHP weiß das und will versuchen, den Druck aufrecht zu erhalten. Jeden Mittwoch soll es fortan eine Kundgebung in Istanbul geben und jeden Samstag in einer anderen Stadt. Und es werde eine Unterschriftenkampagne geben, um Erdoğan zum Rücktritt aufzufordern.

Es könnten lange Unterschriftenlisten werden. Die CHP hatte ihre parteiinterne Wahl İmamoğlus zu ihrem Präsidentschaftskandidaten für die gesamte türkische Bevölkerung geöffnet. Mehr als 15 Millionen Türkinnen und Türken haben nach CHP-Angaben für İmamoğlu gestimmt.

Uwe Lueb, tagesschau, 29.03.2025 19:54 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete am 29. März 2025 Deutschlandfunk um 18:11 Uhr in der Sendung "Informationen am Abend" und die tagesschau um 20:00 Uhr.