Dorian benutzt einen Drohnensimulator.
weltspiegel

Ukraine Drohnenunterricht - offen für Kinder ab sechs

Stand: 13.04.2025 11:31 Uhr

An immer mehr Schulen in der Ukraine gehört das Drohnenfliegen mittlerweile zum Lehrplan. Das soll den Kindern nicht nur handfeste Fähigkeiten vermitteln - sondern auch ein Gefühl von Sicherheit im Alltag des Angriffskriegs.

Von Birgit Virnich, ARD Kiew

Früher war Serhij Musiklehrer - jetzt bringt er seinen Schülerinnen und Schülern das Drohnenfliegen bei. Heute beim Wettbewerb müssen sie ihre Drohnen fehlerfrei durch den Parcours in der Sporthalle fliegen. Serhij trägt ein gelbes T-Shirt mit der Aufschrift "Free Sky Ukraine" und feuert die Schüler an.

Das Steuern von Drohnen habe er sich selbst beigebracht. Es sei sehr nützlich für die Gehirnentwicklung, erklärt er sichtlich stolz. Wie beim Spielen von Musikinstrumenten. Immer mehr Kinder interessierten sich dafür und kämen in seine AG. Viele der Schülerinnen und Schüler verbringen täglich Stunden am Simulator.

Der Kurs ist kostenlos und offen für Kinder ab sechs Jahren. Die Zahl der Schulen, an denen das Drohnenfliegen mittlerweile zum Lehrplan gehört, nimmt stetig zu. Der Name seiner Schule solle bitte trotzdem nicht genannt werden, sagt Serhij. 

Ivan trägt eine VR-Brille.

Ivan sagt, er fühle sich frei, wenn er eine Drohne fliege. Der Unterricht im Drohnenfliegen soll den Kindern auch helfen, mit der ständigen Bedrohung im Kriegsalltag besser umgehen zu können.

Am Simulator zur Entspannung

Einer seiner besten Schüler ist der 16-jährige Ivan. Er verbringt fast seine gesamte Freizeit mit Drohnenfliegen. Doch die vielen Zuschauer in der Sporthalle machen ihn nervös. Den Parcours schafft er dann aber ohne Fehler. Er fühle sich frei, wenn er eine Drohne fliege, schwärmt Ivan. Er liebe es, über den Dingen zu schweben und alles aus der Vogelperspektive zu betrachten.

Der neunjährigen Lisa geht es vor allem um Geschwindigkeit. Sie fliegt gerne kleine Drohnen und sehr schnell. Sie will einen Blog über Drohnen machen, denn sie ist überzeugt, dass es so schnell keinen Frieden geben wird. "Definitiv nicht morgen oder in den nächsten paar Monaten. Vielleicht in ein, zwei Jahren." Russland sei ein viel zu großer Gegner. So lange müssten sie die permanenten russischen Angriffen auf ukrainische Städte ertragen. 

Für manche Schüler ist das Drohnenfliegen entspannend. Wenn er schlecht drauf sei, dann setze er sich vor den Flugsimulator und fühle sich gleich besser, erklärt der 14-jährige Kostya. Mit dem Drohnenfliegen erlange er Kontrolle über sein Leben, das immer wieder aus den Fugen gerät.

 

Wie der Vater an der Front

Der Krieg ist längst Alltag für diese Kinder, auch wenn sie weit weg von der Front sind. Viele ihrer Väter sind beim Militär an der Front. Dorian ist gerade mal acht Jahre alt, er war fünf, als der Krieg begann. "Mein Vater ist in den Krieg gezogen. Er fing an, Drohnen zu fliegen. Da habe ich beschlossen, das auch zu tun", sagt er selbstbewusst. Er wirkt ungewöhnlich erwachsen, während er seine Drohne sicher durch eine virtuelle Stadt steuert.

Später wolle er Ingenieur werden, um dann Drohnen zu bauen und zu reparieren. Er ist noch in der Grundschule - aber was Drohnen sind und was sie können, das lernt er hier in der Drohnen-AG. Doch auch sein Vater habe ihm viel erklärt, sagt Dorian. Er war es auch, der ihn für diesen Drohnenkurs angemeldet hat.

"Hilft, das Bedrohliche besser zu verstehen"

Dabei gehe es nicht darum, die Kinder auf den Krieg vorzubereiten, betont Lehrer Serhij. "Drohnen werden zunehmend auch im zivilen Bereich, im Agrarsektor, bei der Lebensmittel- und Medizinlieferung eingesetzt", erklärt er. Das sei auch in anderen Ländern so.

Aufgrund des Krieges seien Drohnen in der Ukraine omnipräsent, die Technologie werde immer wichtiger, aber es gehe ihnen nicht um eine Militarisierung der Kinder. Auch wenn man natürlich mit dem Schlimmsten rechnen müsse, jetzt, da die diplomatischen Vorstöße der USA nichts Positives für die Ukraine zu bewirken scheinen.

"Solche Kurse helfen Kindern, das Bedrohliche um sie herum besser zu verstehen. Die Lehrer bringen ihnen ja nicht bei, zu töten, sondern bestenfalls, sich zu verteidigen", erklärt die Kinder- und Jugendpsychotherapeutin Olena Pasichnyk. Das Gefühl der Hilflosigkeit, das die Kinder erlebten, führe schon bei den unter Zehnjährigen zu Depressionen. Es helfe ihnen, wenn sie etwas Neues lernen, zumal wenn es dazu beitrage, das Kriegsgeschehen besser zu verstehen. Mit diesem neuen Wissen fühlten sich vor allem Teenager gefestigter.

"Verteidigung" als Pflichtfach

In einer anderen AG an einer anderen Schule werden Drohnen zusammengelötet. Die13-jährige Marianna findet es schön zu wissen, dass sie wenigstens etwas tun, um bei der Verteidigung der Ukraine zu helfen. Drohnen zu bauen helfe den Kindern, den Krieg zu verarbeiten, glaubt auch Direktor Dmytro Kornijenko.

Außerdem sei es ein Fach mit Zukunft: Drohnen zu entwickeln und zu programmieren, das biete ein ganzes Bündel von Fähigkeiten, die ein Kind für die Zukunft brauche. Der Krieg werde schließlich mit modernster Technologie geführt.

Seit 2024 ist an staatlichen Schulen ein neuer Lehrplan in Kraft - mit dem Fach "Verteidigung der Ukraine" ist er angepasst an die Kriegsrealität. Dabei gibt es viele praktische Übungen: Erste Hilfe, Verhalten im Ernstfall, Schießtraining. Und der Umgang mit moderner Technologie, etwa mit Drohnen. Für alle in der 10. und 11. Klasse ist das dann Pflicht.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das Erste in der Sendung "Weltspiegel" am 13. April 2025 um 18:30 Uhr.