
Betrugsprozess in Frankreich Tag der Entscheidung für Marine Le Pen
Im Prozess gegen Marine Le Pen und 24 weitere Angeklagte fällt heute das Urteil. Es geht um den Vorwurf der Veruntreuung von EU-Geldern. Das Urteil könnte die politische Landschaft in Frankreich grundlegend verändern.
Marine Le Pen weiß sehr genau, was für sie auf dem Spiel steht. Die Staatsanwaltschaft fordere nichts Geringeres als ihren "politischen Tod" - so hatte es Le Pen Mitte November im Fernsehsender TF1 formuliert.
Weitreichende Forderungen der Staatsanwaltschaft
Im Prozess um die mutmaßliche Veruntreuung von EU-Geldern droht der dreifachen Präsidentschaftskandidatin des Rassemblement National (RN) neben einer Haft- und Geldstrafe auch der Verlust des passiven Wahlrechts für fünf Jahre. Sollten die Richter dem stattgeben, könnte Le Pen während dieser Zeit bei keiner Wahl antreten.
Darüber hinaus fordert die Staatsanwaltschaft eine sogenannte exécution provisoire: eine vorläufige Vollstreckung des Urteils. Damit würde Strafe direkt in Kraft treten - selbst wenn Le Pen Rechtsmittel einlegt.
Le Pen sieht diese Forderung als klaren politischen Angriff: "Deshalb sage ich den Franzosen: Sollten sie durch eine irreparable Entscheidung in ihren Wahl-Optionen eingeschränkt werden, dann wäre das ein schwerwiegender Angriff auf die Demokratie", sagte Le Pen bei TF1.
Anklage sieht ein "organisiertes System" der Veruntreuung
Für die Staatsanwaltschaft ist hinreichend belegt, dass Marine Le Pen im "Zentrum eines organisierten Systems" der Veruntreuung gestanden hat und demokratische Regeln gebrochen wurden mit dem Ziel, den RN finanziell zu bereichern. Die Vorwürfe beziehen sich auf den Zeitraum von 2004 bis 2016 - und die Staatsanwaltschaft beziffert den entstandenen Schaden auf 4,5 Millionen Euro.
Le Pen und der RN sind nicht die ersten, die sich wegen Veruntreuung von EU-Geldern vor Gericht verantworten müssen. Anfang 2024 gab es einen vergleichbaren Prozess gegen die Partei Mouvement démocrate des französischen Premierministers François Bayrou. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft ist der Fall des RN aber besonders schwerwiegend.
Entscheidung mit weitreichenden Konsequenzen
Sollten die Richter der Forderung nach einer vorläufigen Vollstreckung folgen, hätte das gravierende politische Folgen. Le Pens Präsidentschaftsprojekt 2027 wäre passé - und der Rassemblement National müsste strategisch und personell komplett umplanen.
Die Partei ist darauf aber anscheinend nicht vorbereitet - oder will sich nicht darauf vorbereiten. Parteivize Sébastien Chenu jedenfalls spielte die möglichen Konsequenzen herunter: "Unsere Ideen sind größer als wir Menschen, die sie vertreten", sagte Chenu im Sender France Info. "Unsere Präsidentschaftskandidatin heißt Marine Le Pen. Sie ist dazu bereit, sie ist vorbereitet, sie hat das Format. So haben wir uns organisiert - und wenn wir umdisponieren müssen, dann werden wir uns an eine neue Situation anpassen."
Große Verunsicherung bei Rechtspopulisten
Laut französischen Medien herrscht große Verunsicherung im Rassemblement National - darüber, wie es mit der Partei weitergeht, sollte Le Pen 2027 tatsächlich nicht antreten können.
Die politischen Konsequenzen einer exécution provisoire wären enorm und dürften in der Urteilsbegründung eine wichtige Rolle spielen.
Vorläufige Vollstreckung - oder nicht?
Aus Sicht des Politologen und Verfassungsrechtlers Benjamin Morel wäre die vorläufige Vollstreckung einer Nicht-Wählbarkeitsstrafe für Marine Le Pen allerdings schwer zu rechtfertigen. Denn die exécution provisoire sei keine eigentliche Strafe, sondern solle weiteren Schaden vermeiden: "Marine Le Pen ist nicht mehr Mitglied des Europäischen Parlaments und die Veruntreuungen haben vor einer ganzen Weile aufgehört. Es gibt auch keinen Grund weiterzumachen. Denn inzwischen ist genug Geld da und es würde zudem ihre Chancen bei der Präsidentschaftswahl schmälern", so Morel im Interview mit dem ARD-Studio Paris.
Insofern sei die Wahrscheinlichkeit gering, dass die Verstöße von Neuem beginnen oder fortgesetzt würden - und eine vorläufige Vollstreckung damit nicht zwingend nötig, erklärt Morel.
Le Pen gibt sich gelassen
Am Freitag hatte der Verfassungsrat außerdem eine viel erwartete Entscheidung getroffen. Dabei ging es um den Fall eines Lokalpolitikers aus Mayotte, dem mit sofortiger Wirkung das passive Wahlrecht entzogen worden war.
Die Entscheidung hat zwar keine direkte Auswirkung auf den Fall von Le Pen - Verfassungsrechtler Morel wertet sie aber als Fingerzeig. Der Verfassungsrat unterstreicht darin, dass eine exécution provisoire verhältnismäßig sein müsse: "Das muss in Balance gebracht werden mit der Wahlfreiheit der Bürger und dem Recht der Kandidaten, wählbar zu sein", so Morel. "Und dieser Verweis auf die Verhältnismäßigkeit ist tendenziell positiv für Le Pen."
Marine Le Pen selbst gibt sich vor dem Urteil demonstrativ gelassen. Die Richter hätten "ein Recht über Leben und Tod" ihrer Partei, sagte sie der Zeitung La Tribune Dimanche. Sie glaube nicht, dass sie so weit gehen würden, eine sofortige Vollstreckung des Urteils auszusprechen und damit ihre Kandidatur für 2027 verhindern. Es wirkt wie eine Flucht nach vorn - angesichts dessen, was für sie auf dem Spiel steht.