Gaddafi-Sohn Kriegsverbrecher als Versöhner?
Nach der überraschenden Freilassung des Gaddafi-Sohnes al Islam fordert der Internationale Strafgerichtshof seine sofortige Festnahme und Auslieferung. Doch in Libyen glauben einige, er könne eine wichtige Rolle bei der Versöhnung des Volkes übernehmen.
Er wartete hinter Gittern auf die Todesstrafe, doch jetzt ist er wohl wieder ein freier Mann: Saif al Islam Gaddafi, der zweitälteste Sohn des getöteten libyschen Diktators und lange Jahre dessen designierter Nachfolger.
Als das libysche Volk im März 2011 den Aufstand wagte, war er es, der an der Stelle seines Vaters regelmäßig vor die Kameras trat. Die libysche Bevölkerung werde die Rebellen wieder vertreiben, sagte al Islam damals betont gelassen.
Während auf den Straßen überall im Land bereits blutige Kämpfe stattfanden, parlierte der Gaddafi-Junior im Rollkragenpullover mit Al Dschasira und Euronews. Sein Vater und er würden Libyen erneuern, versprach er: "Die Reformen werden kommen, doch erst in zwei Wochen oder einem Monat. Dann wird es ein neues Libyen geben, mit neuen Gesetzen und einer neuen Verfassung. Es wird ein modernes Libyen sein."
Den Haager Haftbefehl
Nach 42 Jahren Gaddafi-Diktatur glaubte aber kaum noch jemand an die hübschen Versprechungen. Libyen stürzte in einen bitteren Bürgerkrieg. Muammar al-Gaddafi wurde im Oktober 2011 getötet und Saif al Islam nur einen Monat später von Milizen festgenommen. Im Juli 2015 wurde er von einem Gericht in Tripolis wegen Verbrechen während des Volksaufstandes zum Tode verurteilt.
Von den Vereinten Nationen und Menschenrechtsorganisationen wurde dieses Urteil scharf kritisiert. Doch wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit stellte auch der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag einen Haftbefehl aus. Al Islam soll die brutale Niederschlagung des Volksaufstandes gegen seinen Vater mit geplant haben.
Am vergangenen Wochenende gab die bewaffnete Gruppe Abu Bakr al Sadik, die die westlibysche Stadt Sintan kontrolliert, überraschend die Freilassung des 44-Jährigen bekannt. Er würde aufgrund der Generalamnestie entlassen, so deren Chef al Hantiri. "Al Islam hält sich auf libyschem Staatsgebiet auf, aber mehr kann ich dazu nicht sagen."
Al Islam als Versöhner?
Dann präsentiert sich der General als Experte für Meinungsforschung: "Zwei Drittel des libyschen Volkes unterstützen immer noch das alte Regime", erklärt er. Sogar Gaddafi-Gegner würden sich jetzt nach den alten Zeiten sehnen. "Ich bin der Meinung, dass al Islam eine große Rolle bei der Aussöhnung der Libyer spielen wird."
Eine "Schlüsselrolle", tönt sogar der Anwalt Gaddafis. Es gibt Gerüchte, bald werde sich der Befreite mit einer Rede an das libysche Volk wenden.
"Wenn das passiert, dann ist das wie ein Witz", meint dazu Fathi Fadli, libyscher Schriftsteller und Professor an der Universität von Tripolis. "Das Gaddafi-Regime hatte 42 Jahre lang die Gelegenheit, das Land zu regieren. 42 Jahre! Und es ist gescheitert!" Das Regime, von dem al Islam ein Teil war, sei ein terroristischer Staat gewesen, so Fadli. "Die Revolution ereignete sich doch aufgrund der Brutalität, mit der die Gaddafis gegen das libysche Volk vorgegangen ist."
Zerrissenes Libyen
Seit dem Sturz des Diktators kämpfen zahlreiche Milizen und Clans sowie zwei rivalisierende Regierungen und Parlamente um die Macht. Die von der internationalen Gemeinschaft anerkannte Einheitsregierung sitzt in Tripolis. Doch die bewaffneten Gruppen in Sintan, die jetzt al Islam auf freien Fuß setzten, lehnen diese Regierung ab.
Die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofes, Fatou Bensouda, erklärte, der 2011 gegen den Gaddafi-Sohn ausgestellte Haftbefehl bleibe "unabhängig von angeblichen Amnestiegesetzen in Libyen" gültig.
Dass der gesuchte Kriegsverbrecher Libyens neuer Held der Versöhnung wird, ist also mehr als zweifelhaft. Für den Schriftsteller Fadli ist die Idee einfach nur absurd: "Wir haben riesige Probleme, Konflikte seit sechs Jahren. Das ist wahr. Aber man wird die Probleme nicht lösen, indem man die zurückbringt, die sie verursacht haben."