
Bundesaufnahmeprogramm Desinformation über eingeflogene Afghanen
Seit mehreren Monaten werden immer wieder Menschen aus Afghanistan mit Flugzeugen nach Deutschland gebracht - so auch heute. Im Netz führt das zu Hasspostings und Falschbehauptungen, auch gegen Merz und die CDU.
Am heutigen Donnerstag ist erneut ein Flugzeug mit etwa 174 Afghaninnen und Afghanen in Deutschland gelandet, die über verschiedene Aufnahmeprogramme ein Visum erhalten haben. Nach Angaben der Bundesregierung sind ausschließlich Menschen dabei, die bereits eine Aufnahmezusage erhalten hätten, neue Zusagen würden nicht gemacht. Bei den eingeflogenen Afghaninnen und Afghanen handele es sich um besonders gefährdete Menschen.
Bereits mehrmals wurden Menschen aus Afghanistan nach Deutschland eingeflogen. Im Netz wird das stets mit Hass, Hetze und auch Falschbehauptungen begleitet. So auch aktuell: "Wir wollen diese kulturfremden Sozialschmarotzer nicht!" oder auch "Liegt der rote Teppich für diese Invasoren schon bereit?", heißt es in den Kommentaren unter einem "Welt"-Artikel zu dem Flug.
Die Überschrift der "Welt" auf X: "Charterflug mit 190 Flüchtlingen erwartet - 2800 Afghanen warten noch in Pakistan". Darauf kommentiert der bayerische Landtagsabgeordnete der AfD, Richard Graupner: "In Deutschland warten über 400.000 #Afghanen auf ihre #Remigration."
Falsche Behauptungen im Umlauf
Im Zusammenhang mit einem Flug Ende Februar wurde fälschlicherweise ein Video verbreitet, das zeigen sollte, dass unter den 155 Menschen aus Afghanistan ausschließlich Männer gewesen sind. Allerdings waren in dem Video gar nicht die nach Deutschland eingeflogenen Menschen aus Afghanistan zu sehen, sondern mutmaßlich ein Flug aus der Türkei nach Afghanistan, wie die Nachrichtenagentur dpa schreibt. Im Flieger nach Deutschland waren nach Angaben des Auswärtigen Amts mehr als die Hälfte der Passagiere Frauen und Kinder.
Auch die Verschwörungserzählung vom "Großen Austausch" wird im Zusammenhang mit den Flügen im Netz befeuert. Passend dazu wurde nach einem Flug im Februar die Falschnachricht verbreitet, Deutschland habe nach der Bundestagswahl die Grenzen geöffnet.
Das sei eine planmäßige Invasion Deutschlands, heißt es etwa in einem Post auf X, der über 20 Millionen Mal gesehen wurde. Die CDU und Wahlgewinner Friedrich Merz hätten ihre Wahlversprechen bereits gebrochen, schreibt ein anderer. Dabei sind sie derzeit noch gar nicht in der politischen Verantwortung, wie auch DW Fact check schreibt. Die Flüge wurden nämlich noch von der derzeitigen Bundesregierung geplant und sind Teil des Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan. Dies soll nun eingestellt werden. Dennoch kommen weiter Afghanen nach Deutschland.
Warum werden weiter Menschen aus Afghanistan ausgeflogen?
In Afghanistan werden unter dem Regime der Taliban weiter Menschenrechte gebrochen. Die Bundesregierung hat deshalb eigenen Angaben zufolge mehr als 45.000 besonders gefährdeten Afghaninnen und Afghanen sowie ihren Familienangehörigen eine Aufnahme in Deutschland in Aussicht gestellt.
Dazu gehören ehemalige afghanische Ortskräfte und ihre Angehörigen, aber auch Menschen, die die Bundesregierung wegen ihres Einsatzes für ein demokratisches Afghanistan als besonders gefährdet identifiziert hat. Die Anzahl der vorgesehenen Aufnahmen ist dabei begrenzt, um die Aufnahme- und Integrationsfähigkeit zu berücksichtigen.
Union und SPD hatten sich in ihren Sondierungsgesprächen zur möglichen Bildung einer Bundesregierung darauf verständigt, freiwillige Bundesaufnahmeprogramme, wie das Afghanistan-Programm, "soweit wie möglich" zu beenden und keine neuen Programme aufzulegen.
Für rund 2.800 Menschen aus Afghanistan gibt es jedoch nach Angaben des Auswärtigen Amtes (AA) noch Zusagen für eine Aufnahme in Deutschland. Laut Bundesinnenministerium handelt es sich um behördliche Entscheidungen, auf die sich Betroffene berufen könnten. Diese könnten sie gegebenenfalls auch einklagen.
Wie werden die Berechtigten ausgewählt?
Im Rahmen des Bundesaufnahmeprogramms Afghanistan wurde eine Struktur geschaffen, mit der infrage kommende Personen identifiziert und ausgewählt werden können. In der hierfür vom Bundesinnenministerium 2022 geschaffenen Aufnahmeanordnung sind mehrere Kriterien definiert, die für die Auswahl der Personen besonders berücksichtigt werden.
Dazu gehören personenbezogene Vulnerabilität, wie sie der Kriterienkatalog des UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR definiert und besondere persönliche Exponiertheit, zum Beispiel durch Art und Dauer der Tätigkeit in Afghanistan, oder eine herausgehobene Position.
Weitere Kriterien sind ein Deutschlandbezug, zum Beispiel durch Sprachkenntnisse, familiäre Bindungen, ehemalige Tätigkeiten für deutsche Behörden und Projekte oder Unterstützung durch deutsche Organisationen. Zudem kann ein besonderes politisches Interesse Deutschlands an einer Aufnahme eine Rolle spielen.
Wie werden die Auswahlkriterien überprüft?
Im Gesetz sind meldeberechtigte Stellen definiert, die im Rahmen des Aufnahmeprogramms ihnen bekannte Personen, beziehungsweise ihnen durch verbundene, zuverlässige und vertrauenswürdige Organisationen bekannte Personen, für das Programm vorschlagen können. Einzelpersonen können sich dafür nicht bewerben.
Die meldeberechtigte Stelle beziehungsweise die Koordinierungsstelle der Zivilgesellschaft könne die Anträge dann "plausibilisieren". Ist dies erfolgt, wählt die Bundesregierung aus den Vorschlägen Personen aus. Nicht ausgewählte Vorschläge verbleiben für künftige Auswahlrunden im Datenpool.
Ein Dienstleister der Bundesregierung nimmt zu ausgewählten Personen Kontakt auf und fragt gegebenenfalls fehlende Unterlagen an. Bei Vorliegen der Voraussetzungen und aller Unterlagen erfolgt durch die Bundesregierung eine Entscheidung über die Erteilung einer Aufnahmezusage.
Wird die Aufnahme in Deutschland genehmigt, übernimmt der Dienstleister das weitere Vorgehen, die deutsche Botschaft in Pakistan das Visumsverfahren und die Sicherheitsüberprüfungen. Während ihres Aufenthalts in Pakistan werden die aufzunehmenden Personen unterstützt. Vor dem Abflug werden noch einmal die Papiere und die Identität durch deutsche Bundespolizisten überprüft.
Wurde das Ausreiseverfahren erfolgreich durchlaufen, wird die Einreise nach Deutschland durch die Bundesregierung organisiert. Die Integration wird unterstützt von Bund, Länder, Kommunen sowie privaten und öffentlichen Trägern von Integrationsmaßnahmen.
Welche Rolle spielt die Koordinierungsstelle der Zivilgesellschaft?
Laut Bundesinnenministerium existieren in Afghanistan keine internationalen Organisationen, auf deren Expertise man im Rahmen des Aufnahmeprogramms zurückgreifen kann.
Um den Ablauf sicherzustellen, wurde die Koordinierungsstelle der Zivilgesellschaft geschaffen, die diese Aufgabe übernehmen soll. Es handelt sich also um keine deutsche Behörde, sondern um eine Nichtregierungsorganisation.
Warum werden die meldeberechtigten Stellen geheim gehalten?
Die Informationen zu den aktuell zugelassenen meldeberechtigten Stellen sind von der Bundesregierung als "VS - Vertraulich" eingestuft worden. Dies sei im Hinblick auf die fortgesetzte Funktionsfähigkeit und Umsetzung des Verfahrens erforderlich, heißt es in der Antwort auf eine Anfrage der Linken im Bundestag.
Das Bekanntwerden der Informationen könnte insbesondere zur Einflussnahme von Unbefugten auf den Auswahlvorgang genutzt werden. Die Offenlegung dieser Informationen sei damit geeignet, den Auswahlprozess nachteilig zu beeinflussen, heißt es weiter.
Welche Kritik gibt es an dem Programm?
Der Auswahlprozess für das Aufnahmeprogramm wird immer wieder als intransparent kritisiert. So ist nicht öffentlich bekannt, welche Organisationen als meldeberechtigte Stellen fungieren und wie sie ausgewählt wurden.
Staatsanwaltschaften in Berlin und Cottbus ermittelten zeitweise gegen leitende Mitarbeiter aus dem Auswärtigen Amt. Ihnen wurde vorgeworfen, Visa-Anträge aus Afghanistan trotz gefälschter oder ungültiger Papiere genehmigt zu haben und somit Rechtsbeugung betrieben zu haben. Das Ministerium wies die Vorwürfe zurück.
Dem "Business Insider" liegt nach eigenen Angaben ein interner Bericht des Bundesamts für Verfassungsschutz vor, laut dem der Leiter, der für "Islamismus und islamistischen Terrorismus" zuständigen Abteilung 6, die Gefahr sieht, dass "eine Einflussnahme der pakistanischen oder afghanischen Behörden" auf die Aufnahmeverfahren erfolgt. Zudem erschwere eine "prekäre und teils unübersichtliche Dokumenten- und Urkundenlage" die Überprüfung.