Bundestagswahl 2025

Robert Habeck

Parteitag der Grünen Wie viel Beinfreiheit bekommt Habeck?

Stand: 26.01.2025 08:51 Uhr

Führerscheinzuschuss, Verteidigungsausgaben, Investitionsprämie - Grünen-Spitzenkandidat Habeck möchte im Bundestagswahlkampf mit eher un-grünen Positionen punkten. Doch er muss mit Widerstand rechnen.

Von Tina Handel, ARD-Hauptstadtstudio

Es ist eine Forderung, die Robert Habeck in diesen Tagen besonders gern hervorhebt: Für Azubis will er den Führerschein bezuschussen. "Wenn der Arbeitgeber 500 Euro hinlegt, dann legt der Staat noch einmal 1.000 Euro drauf", sagte Habeck bei der Vorstellung des grünen Wahlprogramms im Dezember.

"Ein Mensch. Ein Wort."

Er steht auf der Bühne eines großen, holzgetäfelten Saals in Berlin-Mitte. Überall strahlt es grün von den Projektoren, das 80 Seiten starke Wahlprogramm liegt stapelweise aus. Aber Habeck ist dieser Hinweis wichtig: Im Entwurf stünden jetzt etliche Punkte, die "nicht klassische grüne Wahlprogrammatik" seien, etwa der Führerschein-Zuschuss. Dazu passt der Slogan hinter ihm an der Wand: "Ein Mensch. Ein Wort."

Dieser Mensch dürfte Habeck sein. Doch die Frage, wie sehr sein Wort zählt, stellt sich neu vor dem grünen Parteitag am Wochenende. Im Wahlkampf will Habeck mit Positionen punkten, die nicht jeder von den Grünen erwartet. Doch genau die sind in der eigenen Partei durchaus umstritten - und könnten am Ende aus dem Wahlprogramm fliegen.

Führerscheinzuschuss oder Deutschlandticket?

Beispiel Führerschein: Die grüne Bundesarbeitsgemeinschaft Mobilität und Verkehr, eine einflussreiche Expertengruppe, will die Förderung streichen und stattdessen nur auf ein "Deutschland-Ticket für Azubis" setzen. Auf Anfrage des ARD-Hauptstadtstudios will sich niemand aus der Arbeitsgemeinschaft äußern, warum man den Führerscheinzuschuss ablehnt.

Vielleicht hilft der Blick auf andere Stellen im Programmentwurf: Die grünen Verkehrsexperten wollen etwa auch die zwei Wörter "das Auto" streichen, als es in einer Passage um erschwingliche Elektro-Mobilität geht. Womöglich ist ihnen Habecks Führerschein-Plan ebenso zu sehr aufs Auto fixiert.

Wie viel für Verteidigung ausgeben?

Auch mit seinen Forderungen zu Verteidigungsausgaben hat Habeck im Wahlkampf Aufsehen erregt: "Nach Berechnungen von Experten sind in den nächsten Jahren etwa dreieinhalb Prozent unserer Wirtschaftsleistung für Verteidigung nötig. Das teile ich", sagte er in einem Interview Anfang Januar. Und fügte seitdem immer wieder hinzu: Auch er würde sich wünschen, in einer Welt zu leben, in der das nicht nötig sei - aber es brauche realistische Annahmen.

Im Wahlprogramm steht bislang, dass Deutschland "dauerhaft deutlich mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts" für Sicherheit und Verteidigung investieren müsse. Das passt zwar zu Habecks Forderungen - bleibt aber unkonkreter.

Streit um Investitionsprämie

Die grünen Mitglieder wollen über die genaue Zielzahl nun auf dem Parteitag diskutieren - und Habeck rote Linien aufzeigen. Mehrere Anträge fordern, die Formulierung "deutlich mehr als zwei Prozent" zu streichen. In einem Antrag, der zum Beispiel von Grünen aus Berlin und Hannover unterstützt wird, heißt es: "Die zwei Prozent sind aber für uns die Obergrenze." Sie seien "auch nur so lange gerechtfertigt, wie die militärische Aggression Russland in Europa andauert".

Auch die Investitionsprämie, die Habeck ins Spiel gebracht und in vielen Wahlkampfreden skizziert hat, wird von Teilen der Partei kritisch gesehen: Unternehmen, die investieren, bekommen zehn Prozent der Summe als Steuergutschrift, ausgenommen ist nur der Gebäudesektor - so die Idee. Die grüne Basis will das deutlich einschränken und klimabewusster ausrichten. Es dürfe kein Geld in "fossile Infrastruktur" fließen, schreibt eine Programm-Initiative.

Es wird ausführlich diskutiert, immer

Habeck brauche "Beinfreiheit", wenn er eine schlagkräftige Kampagne hinlegen soll - das war immer wieder die Forderung aus dem Realo-Flügel der Partei. Er müsse auch spontan reagieren, freihändig Forderungen nach vorn stellen können. Das sagen zum Beispiel Mitglieder aus den schwarz-grün regierten Ländern. Sie schauen mit einer gewissen Genervtheit darauf, wie das linke Lager nun den Kandidaten einhegen will. Gleichzeitig wissen auch sie: Die Basis versteht sich als Programmpartei. Es wird ausführlich diskutiert, immer.

Hinzu kommt der bislang durchwachsene Wahlkampf der Grünen - mit viel Diskussionsbedarf zum Umgang miteinander. Vor allem der Fall des Berliner Bundestagsabgeordneten Stefan Gelbhaar scheint die Partei zu spalten.

Ärger über Grüne Jugend

Die Grüne Jugend hat vor ein paar Tagen eine Pressekonferenz gegeben, in der es kein Wort des Bedauerns über offenbar falsche Belästigungsvorwürfe gegen Gelbhaar gab. Stattdessen klingt es so, als müssten unter Verdacht stehende Männer stets selbst ihre Unschuld beweisen: "Was es bedeutet, in einer feministischen Partei zu sein, ist, dass Betroffenen geglaubt wird", sagte Jette Nietzard, Vorsitzende der Grünen Jugend. "Die Unschuldsvermutung gilt immer vor Gericht. Wir sind aber eine Organisation, kein Gericht."

"Jetzt reicht es!", schrieb etwa Volker Beck als Reaktion auf der Plattform X. "Wir sind eine Rechtsstaatspartei." Diese "Kultur der Selbstgerechtigkeit" bringe die grüne Politik in Misskredit. Längst überschattet der Fall so manchen inhaltlichen Vorschlag.

Krisenkommunikation in puncto Sozialabgaben

In einem Punkt immerhin könnte die Partei versuchen, den bislang größten Kommunikationsfehler ihres Kandidaten abzumildern: In einem ARD-Interview hatte Habeck Mitte Januar gefordert, dass auch auf Kapitalerträge, also etwa Aktien- oder Zinsgewinne, Sozialabgaben erhoben werden. Sonst würden die Lohnabzüge etwa für die Krankenversicherung rasant steigen.

Was er nicht sagte: für wen das gilt - und für wen nicht. Die Partei ist ist seitdem in der Krisenkommunikation bemüht: Nicht der Kleinsparer sei betroffen, man denke an Millionäre, heißt es. Doch im Wahlprogramm fehlen solche Einschränkungen bislang. Nach der heftigen Kritik der vergangenen Wochen dürfte fast schon klar sein: An dieser Stelle wird der Entwurf noch einmal geändert - um es den politischen Gegnern nicht noch leichter zu machen.

Birthe Sönnichsen, ARD Berlin, tagesschau, 26.01.2025 09:00 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 26. Januar 2025 um 09:00 Uhr.