Bundestagswahl 2025

Rednerpult im Deutschen Bundestag

Bundestagswahl Welche Folgen die Radikalisierung der Sprache hat

Stand: 07.02.2025 14:27 Uhr

Das Thema Migration dominiert den Wahlkampf. Der Umgangston wird immer rauer. Vor allem Wut wird von mehreren Parteien erzeugt. Welche Folgen hat das?

Von Johannes Roßteuscher, BR

Der Politiker Jens Spahn spricht klare Worte: "Ich sag's noch einmal: Ein zweijähriges Kind wurde bestialisch durch einen illegal im Land befindlichen Afghanen ermordet. Es war nicht die erste Tat, es passiert jeden Tag: Gruppenvergewaltigungen, Messerattacken (…)!" - so weit der CDU-Fraktionsvize am 30. Januar im Deutschlandfunk.

Ähnlich klingt es bei CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz. Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger unterstellt Politikern in Berlin, auch wenn das schon eine Zeit lang her ist, "den Arsch offen zu haben".

These: Wut als Instrument, um Menschen zu mobilisieren

Henning Lobin ist Professor am Leibniz-Institut für Deutsche Sprache in Mannheim und beschäftigt sich seit Jahren mit der Sprache der Politik. Seine These, bei der er sich auch auf die israelische Soziologin Eva Illouz bezieht: Die politische Auseinandersetzung wird mittlerweile fast nur noch von Emotionen dominiert. Und die Emotion, die am meisten bringt, ist: Wut.

"Wut ist ein wunderbares Instrument, um Menschen zusammenzuführen. Und wenn erst mal eine solche Gruppenbildung stattgefunden hat, dann kann man sich viel leichter davor stellen und eine Fahne schwenken." Die Fahne in diesem Fall, im übertragenen Sinn: "Migration begrenzen, Grenzen dichtmachen."

Beleidigungen werden hoffähig - auch im Bundestag

Immer mehr Parteien würden erkennen, dass es eine erfolgversprechende Strategie ist, auf stark polarisierende und Emotionen schürende Begriffe zu setzen, argumentiert Lobin. Und diesen Erfolg könne man sogar mit Methoden der Gehirnphysiologie messen: Begriffe, auch diffamierende Begriffe, die ständig wiederholt werden, graben sich ins Gehirn ein. Und ploppen dann wie von selbst auf, wenn das Thema aufkommt.

Beleidigungen seien wieder hoffähig geworden, auch im Bundestag: "Das hat ja in den letzten Jahren stark zugenommen, das vom Rednerpult des Deutschen Bundestags Personen richtig beleidigt werden." All das könne die politische Kultur dauerhaft beschädigen.

Zwickmühle: Heikle Themen in moderater Sprache

Von "hoffähig" spricht Lobin. "Salonfähig" nennt es Marc Debus. Er ist Professor für Politikwissenschaften an der Universität Mannheim. Debus sieht die gemäßigten Parteien in einer Zwickmühle: Sie müssen ein Problem, das die Bevölkerung umtreibt, aufgreifen. Sonst entsteht eine Lücke - in die dann, zum Beispiel beim Thema Zuwanderung, mit großem Erfolg die AfD stößt. Trotzdem müssten die anderen Parteien auf ihre Sprache achten. Nach dem Motto: Die Positionen "aufgreifen und adressieren", aber in einer "deutlich moderateren, sachlichen Sprache".

Es gebe, erläutert Debus, etliche Studien, die belegen, dass die Wählerinnen und Wähler die aggressive, ablehnende Haltung gegenüber Migranten irgendwann "als normal" empfänden. "Und es dann als normal, als okay empfinden, extreme Parteien zu wählen."

Was im Umkehrschluss nicht heißt, dass bereits größere Gruppen der Bevölkerung dabei wären, sich zu radikalisieren, sagt Lars Wiegold, der am Leibniz-Institut für Konflikt- und Friedensforschung in Frankfurt am Main zu dem Thema forscht. Unstrittig sei aber, dass es die Bevölkerung polarisiere.

Aus seiner Sicht ist der springende Punkt, dass es "gar nicht mehr darum geht, sich zu verständigen oder den Dialog irgendwie aufrechtzuerhalten. Sondern um eine klare Abschottung - und um eine Dämonisierung einer bestimmten Menschengruppe".

Ausgrenzung kann zu Radikalisierung führen

Dass das an besagter Menschengruppe, also Flüchtlingen, Asylbewerbern oder auch irgendwann Zugewanderten, nicht spurlos vorüber geht, darüber sind sich alle einig - auch wenn dazu keine aktuellen Studien zu finden sind.

Und natürlich birgt diese "Dämonisierung", wie es Wiegold ausdrückt, auch die Gefahr, dass sich Menschen, die für islamistische Ideen anfällig sind, weiter radikalisieren. Wiegold spricht von "Radikalisierungsdynamiken": "Wer sich ausgegrenzt fühlt und vulnerabel ist, der wird möglicherweise anfällig für extremistische Ansprachen - die genau darauf setzen", formuliert Wiegold betont vorsichtig und auf Nachfrage. Radikale Islamisten wie zum Beispiel "Muslim Interaktiv" oder andere Bewegungen, die der verbotenen Hizb ut-Tahrir nahestehen, würden genau da ansetzen.

Wie kann die Gesellschaft trotzdem zusammenhalten?

Aber auch fern von solcher Radikalisierung: Nach der Wahl müsse die Gesellschaft wieder zusammenfinden. Kompromisse finden, sich auf einen gemeinsamen Nenner verständigen. Das sei "fast unmöglich geworden", sagt Henning Lobin.

Lobin und Wiegold appellieren hier fast unisono an die Bevölkerung. Die Radikalisierung der Sprache "nicht akzeptieren", sagt Lobin. "Wir müssen versuchen, auch weiterhin ein gewisses Mindestmaß an gegenseitiger Achtung und Rücksichtnahme bei allen politischen Unterschieden walten zu lassen."

Aufstiegshilfe für extreme Kräfte

Und für die Parteien gelte nach wie vor die Binsenweisheit: Sie schaden sich am Ende selbst und helfen den extremen Parteien, wenn sie deren Sprache und Positionen übernehmen.

Auch wenn es noch so oft ignoriert wird: Sehr viele Studien quer durch die europäischen Länder zeigten das gleiche, sagt Parteienforscher Marc Debus: "Es nutzt nicht den Parteien, die auf die Rechtsextremen zugehen, sondern es nutzt den rechtsextremen Parteien. Deren Stimmenanteil steigt tendenziell, während die Partei, die auf die weit rechtsstehende Partei zugeht, keinen Bonus davon hat.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 30. Januar 2025 um 07:15 Uhr.