Olaf Scholz

SPD vor der Bundestagswahl Die Mission Wunder

Stand: 11.01.2025 06:40 Uhr

43 Tage vor der Bundestagswahl liegt die SPD in Umfragen abgeschlagen auf Platz drei. Heute kürt die Partei Olaf Scholz zu ihrem Kanzlerkandidaten - getragen vom Glauben an die Aufholjagd.

Von Georg Schwarte, ARD-Hauptstadtstudio

Mit Wundern kennen sie sich aus bei der SPD: Die Bundestagswahl 2021 ist derzeit beliebter Kronzeuge der Sozialdemokraten, wenn es darum geht zu erklären, dass auch jetzt noch alles drin ist. Damals startete die Partei bei 14 Prozent mit dem Kanzlerkandidaten Scholz. Ganz Deutschland lachte. Am Ende aber lachte die SPD.

"Dieselben Leute, die uns damals abgeschrieben haben, schreiben uns auch jetzt ab", sagt der Kanzler heute leicht spöttisch. "Hört nicht auf sie. Ich kann Wahlkampf. Da werden sich noch einige ganz schön wundern", so der stets sehr selbstbewusste Olaf Scholz.

Die Mission Wunder jedenfalls ist längst angelaufen. Im Willy-Brandt-Haus haben sie der Partei Optimismus verordnet. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich hatte schon im Bundestag prophezeit, was übrigens auch CDU-Chef Friedrich Merz fürchtet: Die SPD sei für deutlich über 20 Prozent bei der Wahl gut. "Wir sind eine Aufholpartei", rief Mützenich damals bei der Vertrauensfrage des Kanzlers in Richtung einer feixenden Union im Bundestag.

Klingbeil: Wir sind die Partei der Aufholjagd

Bisher aber scheint die SPD eingemauert zwischen 14 und 17 Prozent zu sein. Irgendwo zwischen kleinem Juniorpartner und Opposition. SPD-Co-Chef Lars Klingbeil beschwört in diesen Tagen deshalb tapfer die Parteitugenden. "Wenn wir etwas können, dann ist es kämpfen. Wir sind eine Partei der Aufholjagd."

Aber anders als damals sind die Rahmenbedingungen heute denkbar ungünstig. 2021 ging eine Kanzlerin nach 16 Jahren in Rente. Scholz war der "Neue", trotz zahlreicher Ministerämter der "Unverbrauchte" auf dem Spielfeld. Heute ist dieser Olaf Scholz für viele nur der gescheiterte Ampelmann, das Gesicht einer zerstrittenen Koalition. Das Gesicht eines Landes in der Krise. Nur knapp jeder Fünfte hält Scholz derzeit für einen guten Kanzler.

Scholz hatte sich über Merz als Gegenspieler gefreut

Ursprünglich hatten sich Scholz und die SPD ausdrücklich darüber gefreut, dass ausgerechnet Merz Kanzlerkandidat der Union und Gegner von Scholz sein würde. "Das ist ein Glücksfall", murmelten sie im Willy-Brandt-Haus. Die Hoffnung: Der Impulsmensch Merz werde sich um Kopf und Kragen reden. Die Menschen würden zudem keinen als Kanzler wollen, der weder auf Bundes- noch Landesebene auch nur einen Tag Regierungserfahrung hat. Beide Hoffnungen haben sich bisher nicht erfüllt.

"Was wollt ihr eigentlich", fragt jetzt SPD-Generalsekretär Matthias Miersch die Deutschen. Die SPD bietet als Antwort Scholz mit diesem Dreisatz: Verlässlichkeit. Besonnenheit. Erfahrung. "Wen wollt ihr in diesen unsicheren Zeiten als Kanzler?" Das will Miersch Deutschland als Leitfrage in den Kopf pflanzen.

Kanzlerkandidatenkür per Akklamation

Heute aber sollen erst einmal die 600 Delegierten des SPD-Parteitages in Berlin diese Frage mit einem klaren "Wir wollen Olaf" beantworten. Der Parteivorstand hatte Scholz nach dem kurzen Fiebertraum mancher Genossen über eine Pistorius-Kanzlerkandidatur im November einstimmig nominiert. Jetzt sind die Delegierten dran. Auf dem Parteitag in Berlin wird es allerdings keine geheime Abstimmung geben. Per Akklamation wollen sie Scholz am frühen Nachmittag zum Kanzlerkandidaten küren. Die SPD erspart sich damit zugleich lästige Vergleiche etwa mit dem Jahr 2021, als Scholz noch mit über 96 Prozent ins Rennen ging.

Womit aber wollen Scholz und seine Genossen punkten? Mit einer gefühlten Richtungsentscheidung für das Land, wenn es nach den SPD-Strategen geht. Scholz oder Merz? Sozialstaat oder Kapitalismus? Besonnenheit oder außenpolitische Abenteuer? Das sind die Alternativen, die die SPD im Wahlkampf aufzeigen will.

Besonnenheit als Markenzeichen

Außenpolitisch jedenfalls ist dieser Scholz bereits in Vorlage gegangen: Olaf Scholz, der schon im Ukraine-Krieg stets auf seinen besonnenen Kurs verwies, hat sich gerade erst öffentlich mit dem designierten US-Präsidenten Trump angelegt. Als Trump Grönland und Panama offen mit militärischer Gewalt drohte, gab Scholz diese Woche den europäischen Hüter des Völkerrechts. Er verwies auf das Prinzip der Unverletzlichkeit von Grenzen, das auch für amerikanische Präsidenten gelte.

Einst war es der SPD-Kanzler Gerhard Schröder, der sich damals mit seinem Nein zum Irak-Krieg gegen Präsident Bush positionierte und seine Wahl gewann. Jetzt also Scholz als Gegenpol zum polternden Trump.

"Weniger Tünkram - mehr Programm"

Innenpolitisch will die SPD mit dem Kanzler für sichere Renten, höheren Mindestlohn und bessere Bildung ins Rennen gehen. "Weniger Tünkram - mehr Programm", haben sie provokativ im Netz getextet. Die Hoffnung der Genossen: Wenn erst die Plakate auf den winterlichen Straßen zu sehen sind, dann kommt auch die Trendwende.

Kommt sie nicht, dürfte es in der SPD nach einer verlorenen Bundestagswahl ruppig werden, Personaldebatten inklusive. Zahlreiche Bundestagsabgeordnete fürchten um ihre Mandate, Landesverbände um ihren Einfluss.

Scholz: "Ich will ja auch, dass es anders kütt"

Generalsekretär Miersch jedenfalls setzt im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio heute auf eine kämpferische Rede von Olaf Scholz. Die Kanzlerkandidatenrede als Trendwende-Auftaktspektakel. Scholz übrigens lässt wenig unversucht, damit die Mission Wunder funktioniert und hält als eher nüchterner Hamburger sogar Büttenreden in Köln. "Wenn Sie jetzt sagen, der Scholz taugt nicht für die Bütt - ich will ja auch, dass es anders kütt", reimte der Kanzler beim Neujahrsempfang der Industrie- und Handelskammer in Köln.

43 Tage bleiben dem Kanzler noch, damit es anders kommt, als alle Umfragen derzeit vorhersagen.