Interview mit Chefredakteurin "Der Charlie-Blick wird Deutschland guttun"
Seit gestern gibt es das französische Satiremagazin "Charlie Hebdo" auch auf Deutsch. Ein Wagnis, gibt die Chefredakteurin Minka Schneider zu. Aber in Zeiten von Lügenpresse-Vorwürfen werde der freie "Charlie"-Blick der Republik helfen.
Die Kanzlerin liegt auf der Hebebühne, ein Automechaniker schleppt ein Ersatzteil herbei: "Ein neuer Auspuff und es geht noch vier Jahre weiter", steht in seiner Sprechblase. So stellt sich "Charlie Hebdo" in Deutschland vor. Jetzt erscheint das Satiremagazin auch in deutscher Sprache. 200.000 Ausgaben wurden zum Start gedruckt.
"Es ist ein Experiment und auch ein Wagnis", gibt die Chefredakteurin der deutschen Ausgabe Minka Schneider im Interview mit tagesschau24 zu. Die Deutsche lebt seit neun Jahren in Paris. Ihr Name? Ein Pseudonym. Knapp zwei Jahre nach dem islamistischen Terroranschlag auf die Redaktion des Blattes sind die Sicherheitsvorkehrungen enorm.
Deutsche Solidarität wird belohnt
Die Solidarität und der Zuspruch nach den Attentaten waren es, die die Redaktion von "Charlie Hebdo" zum Schritt über den Rhein bewogen haben. "Die Blumen und Kerzen vor der französischen Botschaft, das 'Je suis Charlie' der deutschen Medien und Menschen wurde auch bei uns wahrgenommen", so die Chefredakteurin im ARD-Interview. "Das haben wir zum Anlass genommen, auch in Deutschland zu erscheinen."
Die deutsche Ausgabe soll wöchentlich veröffenlicht werden und hat 16 Seiten, wie die französische. Zunächst wird das Blatt in weiten Teilen von der Originalausgabe übersetzt. Das stellt die Autoren vor die größte Herausforderung: "Wir nehmen uns viel Zeit, um den Humor treffend zu übersetzen und versuchen teilweise, den deutschen Tonfall zu imitieren", sagt Schneider. Dafür seien erfahrene Übersetzer Teil des Teams, die den deutschen Kontext und politischen Bezüge sehr gut kennen würden. "Wir glauben aber auch, dass viele Themen, wie Umwelt oder Wissenschaft, global verstanden werden."
Können die Deutschen über "Charlie" lachen?
Zudem produziert die Pariser Redaktion Teile des Magazins auch exklusiv für den deutschen Markt: So bekommt in der ersten Ausgabe die AfD-Chefin Frauke Petry ihr Fett weg. Sie wird mit einer an Adolf Hitler erinnernden Frisur gezeigt. Der Text dazu: "Den Scheitel hat sie schon. Fehlt nur noch das Bärtchen!" Die deutschen Leser sollten keine Sorge haben, so die Chefredakteurin: "Deutschland ist nicht nur zu 'Charlie' gekommen - 'Charlie' ist auch nach Deutschland gekommen."
Wie viele Leser die Zeitung damit zwischen Flensburg und Freiburg erreicht, muss sich zeigen. Die Chefredakteurin macht deutlich: "Auch die deutsche Ausgabe soll kein Massenprodukt sein. Über den 'Charlie'-Humor können nicht alle Franzosen lachen und das werden auch nicht alle Deutschen tun."
Satire, die provoziert
Denn der Ton von "Charlie Hebdo" ist alles andere als politisch korrekt. Der Humor ist frech und lotet oftmals die Grenzen der Pressefreiheit aus. Immer wieder ecken die Macher an. So wie mit einer Karikatur, die nach den Übergriffen in der Kölner Silvesternacht fragt: "Was wäre der kleine Aylan geworden, wenn er groß geworden wäre? Arsch-Grapscher in Köln." Aylan lautet der Name des ertrunkenen Flüchtlingsjungen, dessen Leichnam an der türkischen Küste angespült wurde und dessen Bilder um die Welt gingen. Kritiker warfen "Charlie Hebdo" Rassismus vor. Die Autoren wollten Rassisten den Spiegel vorhalten, verteidigten Unterstützer.
Chefredakteurin Schneider hält die Herangehensweise der französischen Karikaturisten als heilsam für Deutschland. Denn anders als deutsche Zeichner und Autoren hätten diese keinen "verkopften Blick" und es fehle "diese Schere im Kopf". "Da kann der spezifische Charlie-Blick in Zeiten von Lügenpresse-Vorwürfen Deutschland nur guttun", sagt Schneider.