Bergungskräfte bei den Trümmern des Flugzeugs

Germanwings-Absturz Leben mit dem Unbegreiflichen

Stand: 24.03.2025 03:48 Uhr

150 Menschen starben am 24. März 2015, als eine Germanwings-Maschine auf dem Weg von Barcelona nach Düsseldorf abstürzte. Bis heute beschäftigt Angehörige und Justiz immer noch eine Frage: Wie konnte es dazu kommen?

Von Justine Rosenkranz, WDR

Auch zehn Jahre nach dem Absturz denkt Klaus Radner Tag für Tag an seinen Enkel Felix, seine Tochter Maria und ihren Partner Sascha, die bei dem Absturz ums Leben gekommen sind: "Man hat mir das Herz rausgerissen." Es macht ihn wütend, dass bis heute niemand Verantwortung übernommen habe.

Noch immer sei für ihn die Frage ungeklärt, wie ein psychisch kranker Co-Pilot im Cockpit einer deutschen Airline sitzen konnte. Der Düsseldorfer Unternehmer sagt, er werde weiter klagen und nicht aufgeben, bis diese Frage beantwortet ist. Das sei er seiner Tochter Maria schuldig.

Was geschah an Bord von Germanwings-Flug 9525?

Nach dem Absturz 2015 haben französische und deutsche Flugunfalluntersucher ein Jahr lang die Hintergründe ermittelt. Mehrere Jahre untersuchten auch französische und deutsche Staatsanwaltschaften den Fall. Sie alle kamen zum gleichen Ergebnis: Der 27-jährige Co-Pilot Andreas Lubitz hat das Flugzeug absichtlich zum Absturz gebracht und so sich und 149 weitere Menschen getötet.

Zehn Jahre nach dem Germanwings-Absturz wird an die Verunglückten vom Joseph König-Gymnasium in Haltern am See erinnert

J. Rosenkranz, D. Zajonz, WDR, tagesschau, 24.03.2025 12:00 Uhr

Um 10:01 Uhr startet der Airbus A320 vom Flughafen Barcelona in Richtung Düsseldorf. Als die Maschine die Reiseflughöhe erreicht, verlässt der Kapitän das Cockpit, um zur Toilette zu gehen. Laut den Ermittlungsergebnissen verändert Co-Pilot Andreas Lubitz daraufhin die Flughöhe, indem er den Autopiloten von 38.000 Fuß auf 100 Fuß verstellt. Das Flugzeug sinkt.

Aus der Ermittlungsakte geht hervor, dass Lubitz anschließend die Tür zum Cockpit verriegelt, sodass der Kapitän ausgesperrt ist. Lubitz antwortet weder auf Funksprüche noch auf das Rufen und Klopfen des Kapitäns. So dokumentiert es der Voicerecorder im Cockpit. Um 10:41 prallt die Maschine mit einer Geschwindigkeit von rund 700 Stundenkilometern gegen ein Bergmassiv in den französischen Alpen. Alle 150 Menschen an Bord sterben.

Leben mit dem Unbegreiflichen

"Anfangs war es wie eine zwanghafte Vorstellung, ob er geschrien hat, ob da Durchsagen gewesen sind, ob sie eine Schutzhaltung einnehmen mussten. Das geht mir auch jetzt noch durch den Kopf", sagt Brigitte Voß aus Leipzig. Ihr Sohn Jens war 37 Jahre alt, Salesmanager einer japanischen Firma in Düsseldorf und beruflich unterwegs, als er in der Germanwings-Maschine saß.

Jens habe immer Flugangst gehabt, vielleicht sei er deshalb vorher schon ohnmächtig geworden und habe das alles nicht mehr mitgekriegt, hofft sie inständig. Die Ursache für den Absturz kann sie auch heute noch kaum begreifen. "Als wir erfahren haben, dass unser Jens aufgrund des Willens eines einzelnen sterben musste, dass er quasi ermordet wurde, ja, da stand das Wort Mord im Raum. Das verschärfte dann alles noch mal."

Der zuständige Staatsanwalt Christoph Kumpa sagt, dass er den Co-Piloten Lubitz wegen 149-fachen Mordes angeklagt hätte, wenn dieser den Absturz überlebt hätte. Aber da Lubitz tot ist, wird gegen ihn kein Gerichtsverfahren eröffnet.

Bis heute ist der Germanwings-Absturz die größte Katastrophe in der Geschichte der bundesdeutschen Luftfahrt. Neben den Ermittlungen gab es Gerichtsverfahren und Urteile, doch bis heute beschäftigt Angehörige wie Klaus Radner und Brigitte Voß und auch die Justiz immer noch die Frage: Wie konnte das passieren?

Was hat den Co-Piloten angetrieben?

Wie die Ermittlungen der deutschen Staatsanwaltschaft ergaben, hatte der 27-jährige Co-Pilot in den Tagen vor dem Absturz im Internet nach Suizidmethoden gesucht und recherchiert, wie der Verschluss-Mechanismus der Cockpit-Tür funktioniert.

Zwei seiner Ärzte hatten ihn für den Tag der Katastrophe krankgeschrieben. Doch die Krankschreibungen hatte Andreas Lubitz nicht bei seinem Arbeitgeber abgegeben.

Jahre zuvor hatte Lubitz seine Pilotenausbildung bereits wegen einer schweren depressiven Episode unterbrechen müssen. Staatsanwalt Christoph Kumpa geht nach den Befragungen von Lubitz' Ärzten davon aus, dass Lubitz in den Monaten vor dem Absturz erneut unter psychischen Problemen litt. Er habe mehr als 40 Ärzte aufgesucht, unter anderem, weil er die irrationale Angst gehabt habe, zu erblinden.

Anmerkung zur Berichterstattung über Selbsttötungen
Üblicherweise berichtet tagesschau.de nicht über Suizide. Wir orientieren uns dabei am Pressekodex: Demnach gebietet die Berichterstattung über Suizide Zurückhaltung: "Dies gilt insbesondere für die Nennung von Namen und die Schilderung näherer Begleitumstände. Eine Ausnahme ist beispielsweise dann zu rechtfertigen, wenn es sich um einen Vorfall der Zeitgeschichte von öffentlichem Interesse handelt."

Ein weiterer Grund für unsere Zurückhaltung ist die erhöhte Nachahmerquote nach Berichterstattung über Selbsttötungen.

Sollten Sie selbst von Selbsttötungsgedanken betroffen sein, suchen Sie sich bitte umgehend Hilfe. Bei der anonymen Telefonseelsorge finden Sie rund um die Uhr Ansprechpartner.

Telefonnummern der Telefonseelsorge: 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222 www.telefonseelsorge.de

Klage gegen die Bundesregierung

Wie kann es sein, dass niemand verhindert hat, dass ein psychisch schwer kranker Mensch im Cockpit von Germanwings, einer Tochter der Lufthansa, saß? Das fragt sich Klaus Radner bis heute. Hat jemand von der Erkrankung gewusst und nicht gehandelt? Warum haben die Fliegerärzte, die ihn jedes Jahr untersucht haben, nicht festgestellt, in welcher Verfassung der Co-Pilot war?

Das möchte er zusammen mit rund 30 weiteren Angehörigen endlich geklärt wissen. Sie haben im Juli 2023 Klage gegen das Luftfahrtbundesamt eingereicht, das für die Fliegerärzte zuständig ist - und damit gegen die Bundesrepublik Deutschland. Noch steht aber nicht fest, wann es zu einem Verhandlungstermin am Landgericht Braunschweig kommt.

Für die Angehörigen hat der Absturz ihr Leben verändert. Sie leben jetzt mit einer riesigen Lücke. Für immer.

Mehr zu diesem Thema sehen Sie in der WDR-Dokumentation "Der Germanwings-Absturz" in der ARD-Mediathek. Der WDR-Podcast "Der Germanwings-Absturz - Zehn Jahre ohne euch" gibt den Angehörigen zudem in sechs Episoden eine Stimme.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das ARD Morgenmagazin am 24. März 2025 um 05:30 Uhr.