
Geschäft mit der Not anderer Wie Behördentermine zu Geld gemacht werden
In Deutschland sind lange Wartezeiten für Behördentermine keine Seltenheit. Eine Recherche von funk zeigt, wie diese Not gezielt ausgenutzt wird. Betroffen sind zumeist ausländische Staatsbürger.
Es ist ein Riesenproblem: Wer beispielsweise einen neuen Pass beantragen oder seinen Aufenthaltstitel verlängern muss, wartet oft Wochen oder sogar Monate. Ein junger Mann schildert das Dilemma, in dem sich viele wiederfinden: Sein Visum musste verlängert werden, sonst hätte er Deutschland verlassen müssen. Doch die Wartezeiten für einen Termin bei der Ausländerbehörde München sind enorm.
In seiner Verzweiflung suchte er nach Erfahrungen anderer auf Plattformen wie Reddit und Telegram. Dort wurde ihm ein kurzfristiger Termin für 20 US-Dollar angeboten. "Ich habe das Geld per PayPal geschickt, und tatsächlich bekam ich eine Terminbestätigung als Screenshot. Allerdings war mein Name für den Termin völlig falsch geschrieben. Aber am Ende hat es funktioniert", so der Inder.
Doch wie kommt es dazu, dass ein eigentlich kostenloser Termin plötzlich zur Ware wird? Händler nutzen automatisierte Computerprogramme, sogenannte Bots, um massenhaft Termine zu buchen und sie anschließend teuer weiterzuverkaufen. Die Kontaktperson hatte eine pakistanische Telefonnummer, behauptete jedoch, in Deutschland gut vernetzt zu sein. Er sagte, er hätte sogar einen Mittelsmann in Deutschland organisieren können, um das Geld persönlich entgegenzunehmen.
Behörden bestätigen das Problem
Bei der Ausländerbehörde München ist das Problem bekannt, und man geht aktiv dagegen vor: "Das Kreisverwaltungsreferat und it@M, der IT-Dienstleister der Stadt München, befinden sich im engen Austausch, um die illegale Buchung von Terminen durch Bots und den anschließenden Weiterverkauf zu verhindern. Das Buchungssystem wurde bereits mehrfach angepasst. Allerdings werden auch die Bots ständig verbessert, sodass das Problem regelmäßig wieder auftritt."
Das Kreisverwaltungsreferat warnt Kundinnen und Kunden davor, kostenpflichtige Termine zu buchen. Zudem arbeite man eng mit der Polizei zusammen, um diese illegalen Aktivitäten zu unterbinden. Laut der Behörde gab es bereits Fahndungserfolge. Außerdem sei eine Notfallhotline eingerichtet worden, die in dringenden Fällen Termine vergebe, etwa wenn ein Aufenthaltstitel kurz vor dem Ablauf stehe.
Ein lukratives Geschäft
Das Vorgehen der Termin-Händler ist systematisch. Mithilfe von Bots werden rund um die Uhr Terminbuchungen durchgeführt. Sobald ein Termin freigeschaltet wird, greifen die Programme darauf zu - oft schneller, als ein Mensch es könnte.
Besonders betroffen sind dabei ausländische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, die dringend Termine zur Verlängerung ihrer Aufenthaltstitel oder anderer wichtiger Dokumente benötigen. Mittlerweile muss direkt bei der Terminbuchung der Name der betroffenen Person eingetragen werden, was zumindest eine kleine Hürde für die Bot-Betreibenden darstellt. Deshalb setzen sie Namen von Menschen in ihr Programm, welche davor in Foren nach Hilfe suchten, und bieten danach die auf den Namen passenden Termine im Privatchat an.
Sicherheitslücken im System
Dass ein solcher Schwarzmarkt überhaupt entstehen kann, liegt unter anderem an den Schwächen im Terminvergabesystem vieler Behörden. Oft sind die Buchungssysteme technisch nicht auf dem neuesten Stand oder haben Sicherheitslücken, die von Bot-Betreibenden ausgenutzt werden.
Die Münchner Behörden sind nicht die einzigen, die mit diesem Problem kämpfen. Ähnliche Vorfälle sind auch aus anderen Städten in Deutschland bekannt. Das System, das eigentlich für alle fair und kostenlos sein sollte, wird so zum Geschäftsmodell. Leidtragende sind die Menschen, die auf diese Termine angewiesen sind und keine andere Wahl haben, als zu zahlen oder zu hoffen, dass ihr Anliegen rechtzeitig bearbeitet wird.
Korruptionsverdacht in der Münchner Ausländerbehörde
Während Behörden gegen den illegalen Handel mit Terminen vorgehen, gerät die Münchner Ausländerbehörde selbst ins Visier der Ermittelnden. Am Dienstagmorgen führte die Polizei eine Razzia in den Diensträumen des Kreisverwaltungsreferats (KVR) durch. Die Staatsanwaltschaft ermittelt demnach gegen sieben Personen wegen Bestechlichkeit und Urkundenfälschung.
Laut Staatsanwaltschaft haben sich sechs Personen zusammengeschlossen, um in zahlreichen Fällen gegen Geldzahlungen rechtswidrige Entscheidungen in ausländerrechtlichen Angelegenheiten zu treffen. Der siebte Beschuldigte soll Dokumente gefälscht und die Beamten für ihre Gefälligkeiten bezahlt haben. Fünf von ihnen befinden sich in Untersuchungshaft.
Die Ermittlungen betreffen Vorgänge zwischen Mai 2022 und Januar 2024. Das Kreisverwaltungsreferat hat selbst Anzeige erstattet, nachdem Unregelmäßigkeiten aufgefallen seien.