Omar A. wird am 20. Oktober zur Vernehmung nach Karlsruhe gebracht.

Mutmaßlicher Anschlagsplan in Berlin Der Terrorist, der keiner war

Stand: 17.01.2025 17:49 Uhr

Ein Terrorverdächtiger, der angeblich einen Anschlag auf die israelische Botschaft verüben wollte, ist unschuldig. Der Hinweis auf den Mann kam von einem ausländischen Geheimdienst und enthielt zum Teil fingierte Chats.

Von Michael Götschenberg, ARD-Hauptstadtstudio, Holger Schmidt, SWR, ARD-Terrorismusexperten

Mitte Oktober schrillten die Alarmglocken im deutschen Sicherheitsapparat: Aus dem Ausland erreichte die deutschen Behörden ein Hinweis auf einen Mann in Brandenburg, der offenbar einen Anschlag mit einer Schusswaffe auf die israelische Botschaft in Berlin plane. Der Terrorverdächtige konnte als Omar A. identifiziert werden, ein 28-jähriger Libyer, der in einer Flüchtlingsunterkunft bei Bernau nicht weit von Berlin lebte.

Die Sicherheitsbehörden entschieden, diesen Mann so schnell wie möglich aus dem Verkehr zu ziehen. Der Generalbundesanwalt leitete ein Ermittlungsverfahren ein und die GSG 9, die Antiterroreinheit der Bundespolizei, rückte an, um Omar A. in den frühen Morgenstunden des 19. Oktober festzunehmen.

Festgenommener war kooperativ

Seine Unterkunft wurde durchsucht, eine Schusswaffe wurde allerdings nicht gefunden. Auch die Wohnung eines Onkels in St. Augustin bei Bonn wurde durchsucht, da er sich nach der Tat angeblich dorthin absetzen wollte, um dann ins Ausland zu fliehen. Doch Hinweise darauf fanden sich nicht.

Bemerkenswert war auch: Ohne zu zögern soll Omar A. den Beamten den Code zum Entsperren seines Handys genannt haben. Terrorverdächtige tun das in der Regel nicht, und Ermittlungsbehörden brauchen Stunden und Tage, um die Geräte zu entsperren, wenn es überhaupt gelingt.

Überstellung nach Karlsruhe

Omar A. wurde von der Bundespolizei nach Karlsruhe überstellt, wo der Generalbundesanwalt einen Haftbefehl erwirkt hatte und der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof die Untersuchungshaft anordnete.

Über den Fall wurde in den Medien prominent berichtet, auch in der tagesschau. Er löste politische Reaktionen aus, der Bundeskanzler äußerte sich. Doch nun, drei Monate später, ist Omar A. wieder auf freiem Fuß, sämtliche Vorwürfe sind in sich zusammengefallen - der Mann gilt als unschuldig. Der Spiegel hatte zuerst über die Freilassung berichtet. Was ist passiert?

Hinweis aus dem Ausland

Der entscheidende Hinweis auf Omar A. und seinen angeblichen Anschlagsplan war von einem ausländischen Nachrichtendienst gekommen. Derartige Hinweise sind keine Seltenheit. Tatsächlich ist es eher die Regel als die Ausnahme, dass deutsche Sicherheitsbehörden Hinweise auf mutmaßlich geplante Terroranschläge von ausländischen Nachrichtendiensten erhalten, insbesondere auf islamistisch motivierte Anschläge.

In diesem Fall war es nach Informationen von ARD-Hauptstadtstudio und SWR so, dass den Deutschen Auszüge einer Chatkommunikation übermittelt wurden, die Omar A. mit einer Person geführt haben sollte, die dem sogenannten Islamischen Staat zugerechnet wurde. In dieser Kommunikation soll er die Absicht geäußert haben, einen Anschlag auf die israelische Botschaft zu verüben.

Liebesgesäusel statt Anschlagspläne

Wie sich im Zuge der Ermittlungen jedoch herausstellte, hatte Omar A. zwar im Internet gechattet, auch mit der Person, die in dem ausländischen Hinweis genannt wurde. Allerdings hatte er keinen Kontakt zum IS gesucht, sondern war vielmehr im Internet auf der Suche nach einer Ehefrau gewesen. Dieser Frau schrieb Omar A. Nachrichten, offenbarte privateste Dinge und schickte auch Fotos.

Dass diese Person zwar vielleicht eine Frau war, aber nicht die Absicht hatte zu heiraten, sondern etwas anderes im Schilde führte, wusste Omar A. wohl nicht. Als die deutschen Ermittler diese Kommunikation sichteten, fanden sie zwar das Liebesgesäusel, aber keine Äußerung zu einem geplanten Anschlag. Sie stellten fest, dass die brisanten Teile der Chats, die der ausländische Nachrichtendienst übermittelt hatte, gar nicht existierten. Dass Omar A. sie selbst gelöscht haben könnte, konnte im Zuge der Ermittlungen ausgeschlossen werden.

Chat vom "Nachrichtenhändler" gekauft

Die Deutschen hielten Rücksprache mit dem ausländischen Nachrichtendienst. Dieser scheint den angeblich brisanten Chat von einem sogenannten Nachrichtenhändler eingekauft zu haben, der Zugang zu der Kommunikation gehabt haben muss. Nachrichtenhändler sind Personen, die Nachrichtendiensten Informationen für Geld anbieten, die sie anderweitig und manchmal auch illegal erhalten.

Naheliegend ist, dass dieser Nachrichtenhändler einen harmlosen Chat von A. fingiert hat, um den Hinweis zu Geld machen zu können. Glaubwürdig war dies zunächst deshalb, weil A. tatsächlich mit einem Frauen-Profil chattete, das dem IS zugeordnet wurde. So geriet Omar A., der eigentlich nur eine Frau zum Heiraten suchte, ins Visier der deutschen Terrorermittler.

Super-GAU für deutsche Ermittlungsbehörden

Für die deutschen Ermittlungsbehörden ist das ein Super-GAU. Bislang waren sie immer wieder gut damit gefahren, auf der Basis ausländischer Informationen im Inland Terrorzellen oder einzelne Akteure zu entdecken. Bereitwillig bekam der Generalbundesanwalt Erlaubnisse zur Observation, zur Telefonüberwachung, Haftbefehle oder Durchsuchungsbeschlüsse von den Ermittlungsrichtern des Bundesgerichtshofs. So auch im Fall Omar A.

Und die Gefahr schien ja auch real, sagt Generalbundesanwalt Jens Rommel gegenüber dem SWR: "Zum damaligen Zeitpunkt war der dringende Tatverdacht aber gegeben. Wir hatten Beweismittel, die den Verdacht gestützt haben, und die Gefahr wäre auch real und schwerwiegend gewesen."

Mit seinem Verteidiger Marvin Schroth war Omar A. gerade dabei, die Vorwürfe mit Argumenten zu entkräften, als bei den Behörden plötzlich das Umdenken begann. Omar A. wurde freigelassen - so plötzlich, dass er die erste Nacht in einer Obdachlosenunterkunft verbrachte, bis er aus Brandenburg an der Havel wieder zu seiner Unterkunft kommen konnte. Sein Verteidiger teilte auf Nachfrage mit, A. sei sich sicher, die weiteren Ermittlungen würden seine Unschuld belegen. Es könne sich nur um eine Verwechslung handeln oder er sei böswillig hintergangen worden.

Generalbundesanwalt in Sorge

Für Generalbundesanwalt Jens Rommel ist die Sache keine Kleinigkeit. Er fürchtet größeren Schaden, wenn sich nachrichtendienstliche Erkenntnisse als so brüchig erweisen: "Neben dem Freiheitsentzug für den Unschuldigen ist für mich die Frage, welche Auswirkungen das auf andere Verfahren hat, auf die Verlässlichkeit von Beweismitteln. Und das müssen wir natürlich genau in den Blick nehmen, damit solche Fälle wirklich vermieden werden."

Der Fall ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert: Er macht einerseits deutlich, auf welche perfiden Methoden der IS setzt, um Attentäter zu rekrutieren. Nach Informationen von ARD-Hauptstadtstudio und SWR ist es kein Einzelfall, dass der IS über Frauen-Profile Kontakt zu Männern sucht, die heiraten wollen, mit dem Ziel, sie für einen Anschlag zu rekrutieren.

Wie belastbar sind Hinweise der anderen Dienste?

Gleichzeitig macht der Fall deutlich, wie schnell jemand zu Unrecht in Terrorverdacht geraten kann, da es für die deutschen Ermittler mitunter schwierig ist festzustellen, wie belastbar Hinweise eines ausländischen Nachrichtendienstes sind - Hinweise auf mutmaßliche Anschlagspläne, die oft genug zutreffen, und auf die man dringend angewiesen ist. Der Generalbundesanwalt dürfte künftig wohl noch kritischer als bisher von den Ermittlungsrichtern des BGH nach der jeweiligen Beweislage gefragt werden. Beruhigend ist, dass der Schwindel aufgeflogen ist.

Für Omar A. geht die Geschichte dennoch nicht gut aus: Dem Vernehmen nach soll er abgeschoben werden, obwohl er unschuldig ist und alles getan hat, um den Verdacht gegen ihn auszuräumen. Das Bundesinnenministerium wollte sich auf Nachfrage nicht äußern - zu Einzelfällen nehme man grundsätzlich keine Stellung.