SPD-Minister gegen Karenztag-Debatte "Die Deutschen sind keine Faulenzer"
Der Vorstoß zur Streichung der Lohnfortzahlung ab dem ersten Krankheitstag stößt auf Widerstand. Neben Arbeitsminister Heil kritisiert auch Gesundheitsminister Lauterbach die Debatte - ebenso wie CDU-Politiker Laumann.
Mehrere Bundespolitiker stellen sich gegen Forderungen nach einer Streichung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für den ersten Tag einer Krankmeldung. "Wer krank gemeldete Beschäftigte unter den Generalverdacht des Blaumachens stellt, hat ein verzerrtes Bild von den arbeitenden Menschen in diesem Land", sagte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Die Deutschen sind keine Drückeberger und Faulenzer."
Die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall einzuschränken, werde es mit ihm und der SPD nicht geben, versicherte der Minister. Besonders Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit niedrigen Einkommen würden unter einer Wiedereinführung des Karenztages leiden, warnte Heil. "Es würde die Menschen hart treffen, die tatsächlich krank sind und die einen geringen Lohn haben, vor allem Frauen", sagte Heil. "Deshalb ist das der falsche Weg." Mit Karenztag ist der Zeitraum gemeint, in dem bei Krankheit noch keine Zahlungen geleistet werden, bevor Anspruch auf Lohnfortzahlung besteht.
Lauterbach: Kranke schleppen sich zur Arbeit
Ein Arbeitgeber, der den Verdacht habe, dass jemand blaumache, könne auch ab dem ersten Tag das Vorlegen einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung verlangen, sagte Heil. Auch SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach kritisiert die Idee, die "zulasten der Arbeitnehmer", gehe. Diejenigen, die sich den Lohnausfall nicht leisten könnten, schleppten sich dann krank zur Arbeit, sagte Lauterbach dem mdr.
Als "Unverschämtheit" bezeichnete Lauterbach zudem den Vorschlag der FDP, Arbeitnehmer ohne Krankheitstage zu belohnen. "Wir haben sehr viele Menschen, die im Feinstaub arbeiten, unter hoher Lärmbelastung, die also unter Stress arbeiten. Es sind oft die Menschen, die auch nicht viel verdienen", sagte er dem mdr. Sie trügen ein höheres Risiko krank zu werden und würden durch einen Bonus für Gesunde zusätzlich bestraft.
Auch CDU-Vize ist dagegen
Auch der CDU-Vize und nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann will mögliche Karenztage bei der Lohnfortzahlung nicht unterstützen. "Ich bin da ein gebranntes Kind. Ich habe als Bundestagsabgeordneter mal für ihre Einführung gestimmt. Dann hat die IG Metall mit Zustimmung der Arbeitgeber die Karenztage per Tarifvertrag für ihre Branchen kassiert", sagte er der Rheinischen Post. "Damals habe ich mir geschworen: Ich lass mich nicht noch einmal bei diesem Thema ins Bockshorn jagen."
In der Bundesrepublik gilt - anders als in einigen anderen Ländern - seit Jahrzehnten die Lohnfortzahlung ab dem ersten Krankheitstag. Laut Statistischem Bundesamt waren Beschäftigte 2023 durchschnittlich 15,1 Arbeitstage krankgemeldet. Die Behörde weist allerdings darauf hin, dass dies nur Krankmeldungen erfasst, die eine Abwesenheitsdauer von drei Tagen überschreiten. Die Zahl der Krankheitstage dürfte also faktisch höher liegen.
Allianz-Chef löst Debatte aus
Der Chef des Versicherungskonzerns Allianz, Oliver Bäte, hatte angesichts des hohen Krankenstands in Deutschland vorgeschlagen, den sogenannten Karenztag bei Krankmeldungen wieder einzuführen. So würden Arbeitnehmer die Kosten für den ersten Krankheitstag selbst tragen. Der Konzernchef verwies Anfang der Woche im Handelsblatt darauf, dass Arbeitnehmer in Deutschland mittlerweile im Schnitt 20 Tage pro Jahr krank seien, während der EU-Schnitt bei acht Krankheitstagen liege.
DGB-Chefin Yasmin Fahimi nannte den Vorstoß Bätes "unangemessen und unverschämt". Sie sagte im Deutschlandfunk, einige Arbeitgeber-Vertreter betrieben eine Form der Misstrauenskultur, die jeder Grundlage entbehre. Letztlich handele es sich um den Versuch, tarifliche und sozialrechtliche Errungenschaften abzubauen. Ziel sei es, durch die Hintertür Lohnkosten zu sparen.
Studie gibt Hinweis auf andere Gründe
Laut einer DAK-Studie ist der Krankenstand jedoch nicht auf das Blaumachen, also das Vortäuschen einer Krankheit, von Beschäftigten zurückzuführen. Grund für einen sprunghaften Anstieg der Fehltage seien vor allem ein neues elektronisches Meldeverfahren und Erkältungswellen. Durch das neue Meldeverfahren gehen Arztatteste zur Arbeitsunfähigkeit automatisch bei den Krankenkassen ein, dies habe zu einem sprunghaften Anstieg um fast 40 Prozent geführt.
Auch Ärztepräsident Klaus Reinhardt betonte, dass es nach seiner Einschätzung "nicht in großem Stil" vorkomme, dass Menschen nur krank spielten. Auch er führt den deutlichen Anstieg der Krankentage in den vergangenen Jahren vor allem auf die Einführung der elektronischen Krankschreibung zurück.