Demokratieförderprogramm des Bundes Was fehlende Verlässlichkeit bedeutet
In fast letzter Minute hat der Bund sein umfangreiches Demokratieföderprogramm "Demokratie leben!" verlängert. Viele Projekte atmen auf. Kritisiert wird jedoch die wackelige Förderpraxis - auch von der zuständigen Ministerin selbst.
"Familienministerin verteilt Millionen an zivilgesellschaftliche Projekte": Die jüngste Schlagzeile aus ihrem Haus wirkt so, als wollte die grüne Familienministerin Lisa Paus doch noch mit so einer erfreulichen Tat kurz vor Ende der Legislatur punkten, nachdem ihr Leuchtturmprojekt der Kindergrundsicherung nicht umgesetzt werden konnte.
Mit 182 Millionen Euro bringt Paus das seit 2015 aufgesetzte bundesweite Förderprogramm "Demokratie Leben" nun in die dritte Phase - in letzter Minute, als ob es dazu den Weggang des FDP-Finanzministers Christian Lindner und den Ampel-Crash gebraucht hätte, um es möglich zu machen.
Die letzten Zuwendungsbescheide an Projekte und Institutionen wurden vergangene Woche verschickt. Gefördert werden etwa Landesdemokratiezentren, die an Landesministerien angebunden sind, aber auch das Anne-Frank-Zentrum oder das "mobile Demokratielabor" des Vereins "Gesicht zeigen".
Kehrtwende der FDP
Doch der Betrag stand schon zu Zeiten des existierenden Dreier-Bündnisses aus SPD, Grünen und FDP im Haushaltsplan des Familienministeriums. Dies erfolgte laut Familienministerium noch mit Zustimmung von Lindner, der Zahlposten stand gesichert da, nicht "unter Vorbehalt": Ein Schicksal, das andere Fördermittel durchaus betreffen kann, weil der endgültige Haushalt für 2025 durch das vorzeitige Ende der Ampelkoalition nicht verabschiedet werden konnte.
Der frühere Koalitionspartner FDP kritisiert nun dennoch die Kosten und äußert Zweifel am Sinn der vom Programm geförderten Projekte. FDP-Fraktionschef Dürr sagte der Nachrichtenagentur AFP, Paus wolle auf den letzten Metern millionenschwere Fördermittel für grüne Vorfeldorganisationen zulasten der Steuerzahler durchboxen.
Unter dem Dach von "Demokratie Leben!" verteilen sich die Fördermittel auf bundesweit auf 578 einzelne Institutionen, Träger und Projekte. Dort ist man einerseits froh, dass die dritte Phase des Programms trotz des Scheiterns der Scholz-Regierung gestartet werden konnte - und damit auch Programme und Personal zunächst erhalten bleiben können, andererseits ist auch viel Kritik spürbar über die späte Abwicklung.
Zudem sind die Bescheide nach Informationen von tagesschau.de nur für ein Jahr ausgestellt, auch wenn Paus Förderzusagen teils über mehrere Jahre ausgab. Planungssicherheit sähe anders aus, gerade in einem Wahljahr mit dann neu zusammengesetzter Bundesregierung. Sie könnte ein Förderprogramm des Bundes ändern oder gar aufheben.
Nur halbwegs sicher
Geändert hätte das ein Demokratiefördergesetz, das die Ampelkoalition jedoch nicht umgesetzt hat - obwohl es im Koalitionsvertrag stand und im Dezember 2022 bis zum Kabinett kam, aber nicht darüber hinaus. Es wäre eine bessere, längerfristige Grundlage für Vereine, die sich gegen Extremismus und für Demokratie einsetzen, so die Begründung der Unterstützerinnen in der Koalition, Paus und Nancy Faeser (SPD).
Die FDP-Fraktion hatte jedoch Bedenken angemeldet und klarere Kriterien gefordert, welche Art von Demokratie-Engagement gefördert werden soll.
Die in den von "Demokratie Leben!" Programmen geförderten Mitarbeitenden können sich also nur halbwegs sicher fühlen, was eine Fortsetzung ihrer Finanzierung angeht. Paus selbst räumte das Risiko ein, das die nächste Bundesregierung die Förderrichtlinien wieder ändern könnte. Deswegen bedaure sie, dass das Demokratiefördergesetz nicht zustande gekommen sei.
In grünen Kreisen hält man es aber für ein theoretisches Risiko, dass das Programm eingestampft wird: Keine der Parteien, die derzeit Chancen haben, die neue Bundesregierung zu stellen, wollten das Programm abschaffen. In den Unions-geführten Bundesländern Hessen und Berlin würde man sogar über die Einführung eines Demokratiefördergesetz diskutieren. In allen Bundesländern gäbe es vom Bund geförderte Landesdemokratiezentren und über 300 kommunale Partnerschaften für Demokratie jeglicher Couleur. Das könne auch die Union nicht einstampfen ohne massiven politischen Flurschaden.
Doch diese kurzfristige Förderpraxis macht es für die Betroffenen ungewiss. Bei einem Landesdemokratiezentrum werden die Bundesmittel für den Erhalt der Beratungsstellenstruktur gebraucht, auch wenn Landesmittel dazu kommen. Da herrschte am Jahresende viel Unsicherheit, bis dann die Bescheide im Dezember eintrafen, berichtet die Leiterin eines Landesdemokratiezentrums im Gespräch mit tagesschau.de.
Bei Projekten mit befristeten Verträgen sah das dann in der Praxis so aus, dass für Mitarbeitende bereits Kündigungen ausgesprochen werden mussten, weil eine Verlängerung zwar mündlich angekündigt, aber schriftlich noch nicht da war.
"Know-How geht verloren"
Eine Projektkoordinatorin aus Ostdeutschland, die ebenfalls mit Mitteln aus dem Bundesprogramm arbeitet, beschreibt im Gespräch mit tagesschau.de die Nachteile der bisherigen Praxis der Bundesregierung: Da gebe es die persönliche Ebene und die strukturelle: Auf der persönlichen Ebene verliere man Mitarbeitende, die das nicht mehr mitmachen wollten, sich drei Monate arbeitslos melden zu müssen, weil Förderzusagen zu spät kommen oder -Lücken mit großer Unsicherheit entstehen. Da gehe viel Sachverstand verloren, weil sich diese beruflich umorientierten.
Aber auch die strukturelle Ebene der Demokratieförderung leide: Es führe dazu, dass nur mit halber Geschwindigkeit geplant werde - weil es keine Planungssicherheit durch die "Diskontinuität" bei der Umsetzung der großen Ziele von "Demokratie leben!" gebe - also der Extremismusprävention, der Demokratiebildung und Sicherung von Vielfalt.
Insgesamt werde die ganze Szene von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) zu einem unattraktiven Arbeitgeber durch die Ungewissheit und Wackeligkeit im System - "gute qualifizierte Leute hüpfen nicht in NGOs von Projekt zu Projekt" - das merken wiederum Arbeitgeber in der Demokratiebildung und -Förderung, die feste von Bundesmitteln unabhängige Arbeitsplätze anbieten können an einer wachsenden Zahl von Bewerberinnen und Bewerbern.