An drei neu verlegten Stolpersteine liegen mit weiße Rosen.

Studie zur NS-Vergangenheit Bereitschaft zur Erinnerungskultur geht zurück

Stand: 29.04.2025 15:47 Uhr

Fast 80 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus wollen immer mehr Menschen einen "Schlussstrich" unter deutsche Erinnerungskultur setzen. Autoren einer neuen Studie warnen vor einem "Kipppunkt".

Menschen in Deutschland haben teils große Lücken im Wissen zum Nationalsozialismus und zeigen eine sinkende Bereitschaft zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich. Erstmals wünscht sich eine relative Mehrheit der Bevölkerung einen erinnerungskulturellen "Schlussstrich" unter die deutsche NS-Vergangenheit, wie aus der neuen Memo-Studie der Stiftung Erinnerung Verantwortung Zukunft (EVZ) hervorgeht. Nur 42,8 Prozent der Befragten gaben an, es sei ihnen wichtig, die Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus lebendig zu halten.

Den Ergebnissen zufolge stimmten 38,1 Prozent der dafür Befragten der These stark oder eher zu, dass es "Zeit für einen Schlussstrich unter die Zeit des Nationalsozialismus" sei. 37,2 Prozent lehnten das eher oder stark ab. Die Frage war seit 2018 ähnlich auch in vier vorigen Memo-Studien der EVZ-Stiftung gestellt worden - diesmal gab es erstmals mehrheitlich eine Zustimmung.

Wenig Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit NS-Zeit

Der "Schlussstrich"-Aussage stimmten eher Menschen im mittleren Altersbereich sowie AfD-Wähler zu. Jüngere und Ältere, sowie Menschen mit höherem Bildungsabschluss, lehnten die Aussage eher ab. Eine Mehrheit von 43,6 Prozent stimmte jedoch der These zu, dass sich "lieber gegenwärtigen Problemen" gewidmet werden solle.

Bei der Befragung gaben 44,8 Prozent an, sich darüber zu ärgern, "dass den Deutschen auch heute noch die Verbrechen an den Juden vorgehalten werden". 28,2 Prozent stimmten dem Satz nicht zu. Thesen wie "ich verstehe nicht, warum ich mich heute noch mit der Geschichte des Nationalsozialismus auseinandersetzen soll" und "ich finde es in Ordnung, wenn zukünftige Generationen sich nicht mehr mit der Zeit des Nationalsozialismus auseinandersetzen" wurde mehrheitlich widersprochen.

Forscher warnen von Verlust der Erinnerungskultur

Nur etwa ein Drittel (35,5 Prozent) der Befragten habe grob erklären können, was im Kontext der NS-Zeit unter dem Begriff Euthanasie, also der gezielten Ermordung Kranker, zu verstehen sei. Etwa drei Viertel der Befragten konnten keine realistischen Einschätzungen zu Opferzahlen geben. Dies betraf auch die Anzahl der ermordeten Sinti und Roma oder die Zahl der eingesetzten Zwangsarbeiter.

Veronika Hager, Wissenschaftliche Referentin der EVZ-Stiftung, bezeichnete den Befund als "erinnerungskulturellen Kipppunkt". "Für immer mehr Menschen ist der Nationalsozialismus eine historische Epoche unter vielen, die mit der Gegenwart und einer Werteorientierung im hier und jetzt nicht mehr viel zu tun hat", sagte Hager. Dem müsse entgegengetreten werden.

Ein Ergebnis der Studie ist auch, dass sich viele vor allem jüngere Menschen gerne mehr für das Erinnern an die deutsche NS-Vergangenheit einsetzen wollen.

Kritische Ergebnisse zur AfD

Weiterhin spielen in der Studie auch aktuelle politische Themen eine Rolle: Die AfD ist für sechs von zehn Befragten (58,2 Prozent) einer Studie vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte unwählbar. Rund 50 Prozent sagten zudem, die AfD sei ähnlich bedrohlich für die deutsche Gesellschaft wie früher die NSDAP. 57,7 Prozent hielten es für richtig, die AfD als rechtsextrem zu bezeichnen. 

In der Studie sagten 44,4 Prozent der Befragten, sie sähen es als persönliche Verantwortung, solidarisch mit Juden in Deutschland zu sein, 23,3 Prozent lehnten dies ab, 32,1 Prozent sagten teils/teils. 39,8 Prozent der Befragten widersprachen der Aussage: "Deutschland hat eine besondere Verpflichtung gegenüber Israel". Zustimmung fand diese Aussage bei 28,5 Prozent der Befragten.

Studie gilt als repräsentativ

Die sogenannte Gedenkanstoß-Memo-Studie beruht auf einer Online-Befragung im Oktober 2024 von 3.000 Menschen ab 18 Jahren mit dauerhaftem Wohnsitz in Deutschland. Die Befragten waren im Schnitt 52,6 Jahre alt, die Studie gilt als repräsentativ für die Gesamtbevölkerung.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 24. April 2025 um 13:38 Uhr.