Folgen der Migrationsdebatte Wenn Union und Kirchen über Kreuz liegen
Traditionell zeigen die beiden Kirchen eine große Nähe zur Union. Doch seit einer kirchlichen Stellungnahme zum "Zustrombegrenzungsgesetz" von CDU-Chef Merz herrschen starke Irritationen. Geht eine Liaison zu Ende?
Die beiden großen Kirchen in Deutschland haben die Entwicklung und Geschichte der Unionsparteien über Jahre geprägt. Beide Seiten sind eng miteinander verbunden, auch wenn in den vergangenen Jahren immer wieder Differenzen auftraten. Für erneute Spannungen sorgt nun seit vergangener Woche eine kirchliche Stellungnahme zur Migrationsdebatte.
Da nämlich veröffentlichten die Berliner Vertreter der Evangelischen Kirche in Deutschland und der katholischen Deutschen Bischofskonferenz ein gemeinsames Papier zum "Zustrombegrenzungsgesetz" von Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz, mit dem sich die beiden Vertreter der Katholiken und Protestanten unmissverständlich von der Union absetzen. Ihr Fazit lautet: "Der Gesetzentwurf ist aus Sicht der Kirchen (...) nicht geeignet, zur Lösung der anstehenden migrationspolitischen Fragen beizutragen."
Irritationen, Verwunderung und Ärger
Das Schreiben sorgte wegen seiner Deutlichkeit nicht nur für Irritationen bei CDU und CSU, auch innerhalb der Kirchen zeigten sich Verwunderung und Ärger. So war seine Veröffentlichung auf katholischer Seite, wie Beate Gilles, die Generalsekretärin der Bischofskonferenz, später sagte, zwischen Berliner Büro und den Bischöfen nicht abgestimmt. Die Bischofskonferenz wollte sich eigentlich aus dem Wahlkampf heraushalten. Zwei Bischöfe widersprachen sogar öffentlich dem Papier aus Berlin. Auch auf evangelischer Seite kam es zu "konträren Diskussionen".
Momentan geben weder die Leiter der kirchlichen Vertretungen in Berlin, die Prälaten Anne Gidion und Karl Jüsten, noch der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, und die EKD-Präses Anna-Nicole Heinrich Stellungnahmen zum Thema ab. Letztgenannte hat lediglich Fotos auf ihrem Instagram-Kanal gepostet, auf denen sie in vorderster Reihe auf CDU-kritischen Demos zu sehen ist.
Spannungsgeladen und uneinheitlich
Anders zeigt sich Irme Stetter-Karp. Die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) befürwortet gegenüber dem SWR nach wie vor das umstrittene Papier und unterstreicht dies mit ihrer Verantwortung, ZdK-Beschlüsse zu migrationspolitischen Themen "in entscheidenden Augenblicken zu benennen" und somit "eine klare Haltung" zu formulieren.
Diese Haltung allerdings scheint im ZdK umstritten zu sein. Denn die ehemalige CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer gab Anfang der Woche aus Ärger über Stetter-Karp ihre ZdK-Mitgliedschaft zurück. Sie war zuletzt Sprecherin des Sachbereichs "Nachhaltige Entwicklung und globale Verantwortung".
Besonders spannungsgeladen ist die derzeitige Situation für die beiden CDU-Abgeordneten Anja Karliczek und Thomas Rachel. Karliczek ist ebenfalls ZdK-Mitglied und zudem Präsidentin des Katholischen Deutschen Frauenbundes. Thomas Rachel ist Mitglied des Rates der EKD. Beide Politiker haben im Bundestag für die Anträge ihrer Fraktion und damit gegen die Position des Kirchenpapiers votiert.
Kein Wunder, dass Rachel deshalb den "Zeitpunkt der Veröffentlichung der Stellungnahme" als "äußerst ungünstig" bezeichnet. Karliczek betont, sie wolle in den kommenden Wochen versuchen, die "zwischen meiner Partei und Teilen der Kirche entstandenen Irritationen zu besprechen und beizulegen". Ob das ohne Schwierigkeiten geht, ist fraglich.
Der Kanzler als Nutznießer
Besonders ärgerlich ist die Veröffentlichung der kirchlichen Stellungnahme für die Union auch deshalb, weil sie der SPD-Bundeskanzler politisch für sich nutzte. Denn Olaf Scholz - obgleich eigentlich kirchenfern - rieb das Papier und seine Empfehlung in der Bundestagsdebatte dem CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz mit Nachdruck und Genugtuung unter die Nase: "Die katholische und die evangelische Kirche haben gestern in einem Brandbrief eindringlich vor Ihren Vorschlägen gewarnt, Herr Merz!" Ob diese Szene der Auftakt für eine jetzt häufiger auftretende Distanzierung der Kirchen von der Union ist, muss offen bleiben.
Bischöfin Kirsten Fehrs, die Ratsvorsitzende der EKD, versucht zumindest dieser Angelegenheit die parteipolitische Schärfe zu nehmen. "Wer auch immer die Kirchen zitiert, und sei es der Bundeskanzler - entscheidend muss sein, dass die EKD keine Politik betreibt", erklärt sie gegenüber dem SWR und ergänzt, dass die Kirchen immer wieder "die christlichen Perspektiven in gesellschaftliche Debatten" einbringen müssten. Denn: "Dies ist unser Auftrag."
Doch was genau sind christliche Perspektiven in der Politik, und wer kann sie für sich beanspruchen? Hessens Ministerpräsident Boris Rhein von der CDU, der mit Unverständnis auf die umstrittene kirchliche Stellungnahme reagierte, sieht sie jedenfalls in den Reihen der Union, welche er in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung als "die letzte politische Kraft" bezeichnete, die sich klar zum Christentum bekenne.
Was verbindet - was trennt?
Die Auseinandersetzung um die Stellungnahme der Berliner Büros von Bischofskonferenz und EKD wird die Gemüter voraussichtlich länger beschäftigen. Denn sie befeuert nicht nur die regelmäßig wiederkehrende Debatte um Bedeutung und Aktualität des "C" in den Namen der Unionsparteien. Sie macht zudem deutlich, dass sowohl CDU/CSU und die Kirchen, als auch Katholiken und Protestanten in ihren Positionen immer wieder erheblich auseinanderliegen.
Dies gilt für die Migrationspolitik, bei der die evangelische Kirche schon länger eine deutliche Nähe zu Rot-Grün zeigt, ebenso wie für die Diskussionen um den Schwangerschaftsabbruch und den assistierten Suizid. Doch nicht nur die Debatte um inhaltliche Differenzen zwischen Union, Katholiken und Protestanten dürfte weitergehen - die Frage nach ihren gegenseitigen Beziehungen auch.