
Debatte über Mindestlohn Vom SPD-Lieblingsthema zum Problem?
Der Mindestlohn ist der SPD ein Herzensthema. Im Wahlkampf warb die Partei mit einer Erhöhung auf 15 Euro. Doch was, wenn die zuständige Kommission zu einem anderen Ergebnis kommt?
Sie redet frei, es liegt kein Papier auf dem Rednerpult - und man bekommt fast den Eindruck: Dadurch ist mehr Platz zum Gestikulieren. Ricarda Lang redet auch mit den Händen, beim Thema Mindestlohn wirkt sie besonders emotional und druckvoll. "Ein zu niedriger Mindestlohn vertieft die Gräben in unserem Land", sagt die Grünen-Politikerin. Nun sei die Zeit, sagt sie, die Frage zu beantworten: "Wollen wir in einem Land leben, wo wir weiter hinnehmen, dass Menschen, die arbeiten, trotzdem arm sind oder wollen wir diesen unhaltbaren Zustand endlich beenden?"
Es geht um Moral, Neid und Gerechtigkeit - und ein Thema, bei dem sich die Parteien der neuen schwarz-roten Regierung nicht ganz einig sind. Auch deswegen machen Grüne und Linke den Mindestlohn heute zum Thema im Bundestag.
Für die SPD könnte es unbequem werden
Einen Mindestlohn gibt es in Deutschland seit 1. Januar 2015. Für die SPD ist der Mindestlohn ein Herzensthema. 2013 machte sie damit Wahlkampf, dass sie einen Mindestlohn einführen werde. 2021 plakatierte sie in Deutschlands Städten: "Jetzt 12 Euro Mindestlohn wählen. Scholz packt das an." Und im Wahlkampf 2024 stand auf den SPD-Plakaten, dass der Mindestlohn auf 15 Euro steigen werde. Das könnte für die SPD zum Problem werden.
Natürlich vertritt die Partei heute im Bundestag erstmal weiter die Linie, dass 15 Euro Stundenlohn angemessen seien: "Wir müssen uns mal versuchen, in die Lage derjenigen zu versetzen, die jeden Tag hart arbeiten, für den Mindestlohn, und zwar ihr Leben lang!", appelliert der SPD-Sozialpolitiker Bernd Rützel. Er rechnet vor: Wer zum aktuellen Mindestlohn von 12,82 Euro 40 Stunden pro Woche arbeite, verdiene im Monat 2.064 Euro und habe damit nach Steuern und Sozialbeiträgen rund 1.400 Euro übrig. Sein Fazit: "Hier muss sich was bewegen."
Das Problem der SPD: Sie kann nur bitten, nicht befehlen. Denn über die Höhe entscheidet die Mindestlohnkommission, und die ist unabhängig. Sie wird alle fünf Jahre von der Bundesregierung neu berufen, darin sitzen aktuell drei Vertreter der Arbeitgeber sowie drei der Arbeitnehmer, zudem gibt es eine Vorsitzende. Die Entscheidung über die Höhe des zukünftigen Mindestlohns soll gemeinsam fallen.
Im Herbst 2022 allerdings überging die damalige SPD-geführte Bundesregierung die Kommission und erhöhte den Mindestlohn per Gesetz in einem großen Schritt von 10,45 Euro auf 12 Euro. Doch dieser Weg ist nun versperrt, denn die Union hat klipp und klar deutlich gemacht: Den Mindestlohn gesetzlich hochzusetzen, das ist für sie tabu - die Entscheidung müsse in der Kommission fallen.
Linke: "Neoliberale Politik der Bosse"
Genau an diesem Punkt setzen die Anträge von Grünen und Linken heute an. Beide sehen vor, der Kommission 15 Euro als Untergrenze in die Bücher zu schreiben. Die Vehemenz dabei ist durchaus unterschiedlich. "Hören Sie auf mit der neoliberalen Politik der Bosse", sagt der Linken-Abgeordnete Cem Ince in seiner Rede. "Altersarmut ist kein Schicksal, Altersarmut ist politisch gemacht!"
Die AfD antwortet in ähnlichen Tönen: "Arbeit muss sich lohnen, aber nicht durch staatliche Zwangsvorgaben", sagt AfD-Sozialpolitiker Peter Bonhof. "Am Ende stehen leere Ladenregale und geschlossene Betriebe, der Mittelstand wird mit diesem Antrag auf Dauer zerquetscht."
Die Union bleibt bei ihrer Linie. "In der Sache sind wir uns einig", sagt CSU-Frau Hülya Düber: "Unser Ziel muss es sein, dass Menschen von ihrer Arbeit auch leben können." Das Ziel - angemessene Löhne - sei richtig. Aber beim Weg gebe es unterschiedliche Auffassungen. Für die Union stehe fest: "Die Politik sollte sich nicht in die Lohnfindung einmischen, einen gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn lehnen wir ab."
15 Euro oder nur in die Nähe davon?
Für die SPD könnte damit ihr Versprechen von 15 Euro Mindestlohn zu einem Problem werden, sollte die Mindestlohnkommission einen kleineren Betrag festlegen. Im Koalitionsvertrag ist deshalb die Kompromissformel zu lesen, dass 15 Euro Mindestlohn im Jahr 2026 "erreichbar" seien. Und so beginnen führende SPD-Politiker vorzubauen.
Der designierte Generalsekretär Tim Klüssendorf formulierte jüngst in der ARD-Sendung Bericht aus Berlin merklich vorsichtig: "Man wird in die Nähe von 15 Euro kommen." Um dann nachzusetzen: "Sie können sicher sein, wenn er bei 14,92 Euro liegt, wird es kein Gesetz von uns im Bundestag geben. Das ist dann auch in Ordnung."
Beschluss bis Ende Juni
Der Ball ist nun bei der Mindestlohnkommission, die bereits ihre Beratungen aufgenommen hat. Die erklärt heute: "Die Mindestlohnkommission wird bis zum 30. Juni 2025 einen Beschluss zur Anpassung der Höhe des gesetzlichen Mindestlohns fassen und ihren Evaluationsbericht zu den Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns vorlegen."
Die Anträge von Grünen und Linken wurden heute an die Ausschüsse zur weiteren Beratung überwiesen. Ende des Monats wird man sehen, ob sie sich überholt haben - oder die Debatte erst richtig an Fahrt gewinnt.