
Bundestag Merz scheitert im ersten Wahlgang bei Kanzlerwahl
Das gab es noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik: CDU-Chef Merz hat bei der Kanzlerwahl im ersten Durchgang keine Mehrheit erreicht. Er erhielt in geheimer Abstimmung nur 310 Stimmen - sechs weniger als benötigt.
Es ist ein Paukenschlag: CDU-Chef Friedrich Merz ist bei der Kanzlerwahl im Bundestag im ersten Durchgang gescheitert. Er erhielt in geheimer Abstimmung 310 Ja-Stimmen und damit sechs weniger als die nötige Mehrheit von 316. Die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD haben zusammen 328 Sitze im Parlament.
"Der Abgeordnete Friedrich Merz hat die erforderliche Mehrheit von mindestens 316 Stimmen nicht erreicht", erklärte Bundestagspräsidentin Julia Klöckner. "Er ist gemäß Artikel 63 Absatz zwei des Grundgesetzes zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland nicht gewählt." Laut Klöckner hatten 621 der 630 Abgeordneten an der Wahl teilgenommen.
Fraktionen beraten über weiteres Vorgehen
Es ist in der Form ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Noch nie war nach einer Bundestagswahl und erfolgreichen Koalitionsverhandlungen ein designierter Kanzler bei der Wahl im Bundestag gescheitert.
Die Bundestagssitzung wurde daraufhin unterbrochen. Die Fraktionen beraten nun, wie sie weiter vorgehen wollen. Dabei geht es etwa darum, wann es einen zweiten Wahlgang geben könnte.
Merz und der SPD-Co-Vorsitzende Lars Klingbeil hatten am Montag betont, dass sie fest mit einer klaren Mehrheit der künftigen Regierungsfraktionen bei der Kanzlerwahl rechneten. Bei Sonderfraktionssitzungen am Morgen hatten sowohl Union als auch SPD festgestellt, dass alle Abgeordneten anwesend sind.
Zweiter Wahlgang binnen 14 Tagen
Wie es nun weitergeht, regelt das Grundgesetz. In Artikel 63 heißt es: "Wird der Vorgeschlagene nicht gewählt, so kann der Bundestag binnen 14 Tagen nach dem Wahlgang mit mehr als der Hälfte seiner Mitglieder einen Bundeskanzler wählen."
Innerhalb von zwei Wochen kann nun also ein zweiter Wahlgang angesetzt werden. Während dieser zwei Wochen könnte es auch beliebig viele Wahlgänge mit verschiedenen Kandidatinnen und Kandidaten geben. Benötigt wird aber erneut die absolute Mehrheit von mindestens 316 Stimmen, um gewählt zu sein. Wenn es auch dann noch keine Kanzlermehrheit gibt, reicht die Mehrheit der Stimmen der anwesenden Abgeordneten.
Offenbar mehrere Unzufriedene
Dass nun Abgeordnete von Union und SPD doch nicht für Merz stimmten, wurde laut der Nachrichtenagentur Reuters in Koalitionskreisen damit erklärt, dass es offenbar eine Reihe Unzufriedene gebe. Dazu könnten etwa Politiker gehören, die bei der Regierungsbildung nicht mit Posten bedacht wurden.
In der SPD hatte es aber auch grundsätzliche Vorbehalte gegen Merz gegeben. In der Union wiederum hatte die nach der Wahl veränderte Finanzpolitik mit der Aufweichung der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben und ein milliardenschweres Sondervermögen für Infrastruktur teilweise für Kritik gesorgt.
Aus Kreisen der Unionsfraktion hieß es, die Union stehe hinter Merz, das sei die DNA der Union. Fehlende Stimmen könnten nur von der SPD kommen. Im Fraktionssaal der Union habe es minutenlangen Applaus für Merz gegeben.
Kreise der SPD-Fraktion hingegen erklärten dem ARD-Hauptstadtstudio, man habe nicht den geringsten Hinweis, dass die SPD nicht vollständig gestimmt hat. 85 Prozent beim Mitgliedervotum seien ein Auftrag an die Fraktion und sie erfülle diesen. "Auf uns ist Verlass."
AfD: "Schwaches Fundament der Koalition"
Die AfD wertet das Scheitern des CDU-Chefs im ersten Wahlgang als schlechtes Omen für die künftige Bundesregierung. Das Ergebnis zeige, "auf welch schwachem Fundament die kleine Koalition aus Union und von den Bürgern abgewählter SPD gebaut ist", schrieb AfD-Chefin Alice Weidel im Netzwerk X.
Die Grünen-Chefin Franziska Brantner nannte die gescheiterte Wahl "bedauerlich, denn er schwächt nicht nur die zukünftige Regierung, sondern auch unser Land und das Vertrauen in unsere Demokratie". Dabei sei die Lage ernst. "Wir wünschen uns für Europa und Deutschland eine handlungsfähige Regierung." Bedauerlicherweise hätten Merz und Klingbeil dafür die Mehrheit ihrer eigenen Fraktionen nicht sichern können. "Sie müssen nun beweisen, dass sie das jetzt, aber auch für vier Jahre können."
Die Linkspartei wiederum sieht das Ergebnis als Misstrauensvotum gegen Merz. Wenn dieser nicht einmal das Vertrauen seiner eigenen Leute bekomme, "wie soll er dann das Vertrauen der Menschen gewinnen, die mit den realen Problemen des Alltags kämpfen", erklärte Linken-Chef Jan van Aken. "Ihm gelingt es nicht zu verbinden, sondern nur zu spalten." Linken-Co-Chefin Ines Schwerdtner warf Merz vor, sich nicht klar genug von der AfD abgegrenzt zu haben.