"Mein letzter Freund, das Handy"

Einsamkeit: Warum so viele junge Menschen in BW betroffen sind

Stand

Von Autor/in Markus Pfalzgraf, Daniela Diehl, Miriam Staber

In Baden-Württemberg fühlt sich die Hälfte der Jugendlichen einsam - zu diesem Ergebnis kam eine Studie der Uni Stuttgart. Vor allem junge Frauen sind betroffen. Woran liegt das?

"Ich bin einsam." Das ist ein Satz, der nur schwer über die Lippen kommt - besonders bei jüngeren Menschen. Eine, die bereit ist, darüber zu reden, nennen wir hier Mika. Sie atmet tief durch, setzt an, atmet noch einmal aus, und spricht es dann aus: "Ich bin einsam." Sie treffe sich nur selten mit Freunden, erzählt sie, und auch von ihrer Familie schotte sie sich ab - weil sie sich unverstanden und nicht gesehen fühle.

Einsamkeit: Studie im Auftrag des Kultusministeriums BW

Wie Mika geht es 45 Prozent der jungen Erwachsenen. Je nach Altersgruppe fühlt sich ein Drittel bis sogar die Hälfte von ihnen einsam oder sogar stark einsam. Besonders betroffen sind 19- bis 22-Jährige oder auch Menschen mit Migrationsgeschichte. Arbeitslosigkeit oder niedrige Schulabschlüsse spielen dabei eine Rolle. Das geht aus einer repräsentativen Umfrage der Bertelsmann-Stiftung von 2024 hervor. Dafür wurden mehr als 2.500 junge Menschen zwischen 16 und 30 Jahren befragt. In Baden-Württemberg fühlen sich laut Jugendstudie der Universität Stuttgart im Auftrag des Kultusministeriums ebenfalls fast die Hälfte der Jugendlichen einsam.

Dabei sind viele Jugendliche von außen betrachtet sozial eingebunden: Sie hätten in Schule, Ausbildung oder Studium viele Gleichaltrige um sich herum, erzählt Lisa, die online und anonym Unter-25-Jährige berät. Sie sagt: "Die sind eben nicht sozial einsam, sondern in der Hinsicht einsam, dass sie sich keinem öffnen können, sie können sich keinem anvertrauen und sie fühlen sich unverstanden."

Jugendliche oft einsam: Das sind die Gründe

Die Gründe für die Einsamkeit liegen wohl teilweise in der Corona-Pandemie. Studien zufolge erlebte damals keine andere Bevölkerungsgruppe einen so starken Anstieg der Einsamkeit wie Jugendliche und junge Erwachsene. Und das hat Nachwirkungen: "Für erwachsene Menschen ist die Pandemie vorbei, für Jugendliche nicht," sagt die Sozialarbeiterin Anna Brodbeck. Sie koordiniert ein Präventionsprogramm für mentale Gesundheit der Evangelischen Gesellschaft für Schulklassen. "Denen fehlen ganz wichtige Jahre in der Entwicklung, in denen sie Freundschaften knüpfen konnten, verschiedene Erfahrungen gemacht haben oder hätten machen können."

"Und viele Jugendliche leiden nach wie vor darunter, dass die Gesellschaft normal weitermacht wie davor und es relativ wenig Unterstützung gibt." Deshalb geht Brodbeck mit ihrem Präventionsteam an Schulen, spricht mit Schülerinnen und Schülern über ihre Gefühle, und versucht so, psychische Krisen oder Depressionen zu verhindern. Denn Einsamkeit kann krank machen. Damit ist sie eine Gefahr für die Betroffenen und die Gesellschaft.

Einsam im Alter: Betroffene ezählt aus ihrem Alltag

Lange wurde Einsamkeit als ein Problem im Alter gesehen. Nach wie vor sind Senioren laut Studien am stärksten von drohender Einsamkeit betroffen. Ruth Lauterstein aus Stuttgart ist 76, und auch sie traut sich, etwas auszusprechen, das vielen schwer fällt: "Ich schäme mich nicht zu sagen: OK, man ist einsam. Man braucht Hilfe, man braucht jemanden, an den man sich wenden kann."

Oft führen Erkrankungen oder andere Gründe dazu, dass ältere Menschen nicht mehr so gut das Haus verlassen können. Über die Jahre können die sozialen Kontakte verloren gehen. "Dann werden die Telefonate weniger, die Besuche weniger. Und da hat man gemerkt, dass man wirklich einsam ist", sagt Ruth Lauterstein. Für sie und ihre Familie ist das kein Tabuthema, und so hat ihr Sohn sie bei einem Besuchsprojekt der Evangelischen Gemeinschaft angemeldet. Seitdem kommt jeden Mittwoch eine Ehrenamtliche zu Besuch. Gemeinsam erledigen sie Besorgungen oder gehen einfach spazieren. Für Ruth Lauterstein ist es eine Bereicherung, dass sie sich Hilfe geholt hat.

Schachklub statt Social Media

Auch Mika ist auf der Suche. Sie hat noch ein paar Freunde, aber die sieht sie nur alle ein oder zwei Monate mal. Die Zeit dazwischen lenkt sie sich oft mit Arbeit oder dem Handy als ständigem Begleiter ab. Gerade soziale Medien ermöglichen scheinbar viele Kontakte, aber letztlich sind viele damit allein. Mika sagt: "Es hilft für einen kurzen Moment, aber auf lange Sicht ist es einfach nur Zeitverschwendung." Im echten Leben will sie sich bei einem Schachklub anmelden. Vielleicht findet sie ja dort, was ihr am meisten fehlt: menschliche Kontakte.

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