Baden-Württemberg Föderalismus: Wie Bildung, Migration und ÖPNV in BW geregelt werden
Der Bund bestellt, Länder und Kommunen bezahlen? Oft ist gar nicht so klar, wer zuständig ist. Wir erklären Föderalismus am Beispiel von Deutschlandticket, Bildung und Migration.
Der Wahlkampf zur Bundestagswahl ist im vollen Gange. Die Parteien kämpfen mit ihren politischen Ideen um die Stimmen der Wählerinnen und Wähler. Wer für die Finanzierung und Umsetzung dieser Vorhaben zuständig ist, regelt in Deutschland der Föderalismus. Bund und Länder haben jeweils eigene Aufgaben. Das ist sogar im Grundgesetz verankert. Welche Aufgaben auf welche Ebene fallen, ist von Bereich zu Bereich verschieden und manchmal sehr kontrovers.
Migration, Bildung und das Deutschlandticket sind wichtige Themen zur Bundestagswahl. Sie wurden auch in den Zuschriften unserer Leserinnen und Leser oft thematisiert. Wir haben mit einigen von ihnen gesprochen und lassen sie hier zu Wort kommen. Denn an diesen Beispielen wird auch das Prinzip Föderalismus besonders deutlich:
Ministerpräsidenten Winfried Kretschann und Markus Söder unterhalten sich zu Beginn vom Bund-Länder-Gipfel mit Bundesministerin für Wohnen Klara Geywitz.
Für die Bürgerinnen und Bürger ist gar nicht so leicht zu durchschauen, wie sich die Zuständigkeiten verteilen, sagt Michael Wehner, Politikwissenschaftler und Leiter der Freiburger Außenstelle der Landeszentrale für politische Bildung. Vieles sei auch miteinander verflochten. Der Bund ist in Deutschland zum Beispiel für Außenpolitik und Einwanderung zuständig, die Länder für Bildung und Strafvollzug. Und die Kommunen setzen vieles um, das Bund und Land beschließen.
Wer ist zuständig für Flüchtlinge?
Einige Bürgerinnen und Bürger halten ihre Ortschaften durch die Aufnahme von Flüchtlingen überlastet. Margit Froehlich wohnt wie rund 850 weitere Menschen in Stuttgart-Neuwirtshaus. Dort soll gegen Widerstand aus der Bevölkerung auf dem Sportplatz ein Containerdorf mit Platz für 168 Geflüchtete entstehen. Froehlich sagt: Das ist zu viel für den Stadtteil. Viele Geflüchtete aus der Ukraine seien bereits in Neuwirthaus untergekommen, ohne Probleme. Aber noch mehr schaffe die Ortschaft nicht.
Gemeinden stehen vor dem finanziellen Abgrund. Landkreistags-Präsident Joachim Walter (CDU)
Vor allem Kommunen sehen sich durch ihre Aufgaben in der Migration überfordert und fordern eine höhere finanzielle Unterstützung vom Land. In Baden-Württemberg sagte Landkreistagspräsident Joachim Walter (CDU) im Oktober 2024, die Gemeinden "stehen vor dem finanziellen Abgrund".
So sah eine Landeserstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Freiburg aus.
Bei der Migration ist die föderale Aufgabenverteilung gut erkennbar. Per Gesetz ist für das Asylverfahren und die Bearbeitung der Anträge eine Stelle im Bund zuständig. Der Bund hat ebenfalls gesetzlich geregelt, welche Leistungen den Menschen unter anderem an "Ernährung, Unterkunft [und] Heizung" (AsylbLG) zustehen.
Die Umsetzung dieser Gesetze hingegen liegt weitgehend in der Verantwortung der Bundesländer. In der Praxis geben die Länder die Aufgaben oft an die Kommunen weiter und stellen dafür Geld zur Verfügung. In Baden-Württemberg kommt das Land für die Erstaufnahme und vorläufige Unterbringung von Flüchtlingen auf. Um die sogenannte kommunale Anschlussunterbringung kümmern sich die Städte und Gemeinden.
Wer kümmert sich um die Bildung?
Bildung ist im Kern Ländersache. In der Kultusministerkonferenz kommen alle Kultusministerinnen und -minister der Bundesländer zusammen und legen zum Beispiel Kompetenzziele für Schulkinder fest. Wie die erreicht werden und wie die Lehrpläne aussehen, entscheiden die Länder selbst. Der Bund ist für die außerschulische berufliche Aus- und Weiterbildung, für die finanzielle Unterstützung während der Ausbildung (also zum Beispiel BAföG) und Hochschulzulassung sowie -abschlüsse zuständig.
Bei der Kultusministerkonferenz 2024 ging es unter anderem um die Gewinnung zusätzlicher Lehrkräfte.
Die Kommunen kümmern sich um die Schulgebäude und Turnhallen, erklärt Politikwissenschaftler Wehner. Und sie entscheiden zum Beispiel über die technische Ausstattung der Klassenzimmer. Genau das kritisiert Carola Kreis-Euhus. Sie ist Stadträtin (SPD) in Emmendingen und vierfache Mutter: "Es ist unglaublich, dass es keine Einheitlichkeit gibt im Bildungssystem." Sie ist der Meinung, eine zentrale Regelung würde die Gelder besser verteilen, um den Zustand von Schulen zu verbessern.
Wenn alle an einem Strang ziehen würden, würde gesellschaftlich etwas positives passieren. Grundschullehrerin Valerie Schock
Grundschullehrerin Valerie Schock aus Bietigheim-Bissingen wünscht sich einen bundesweit einheitlichen Lehrplan. "Es ist wichtig, dass Kinder früh lernen, wie Demokratie und Mitbestimmung funktioniert." Das könnte mit einem einheitlichen Bildungssystem funktionieren: "Wenn wir alle an einem Strang ziehen würden und generell das Bildungssystem überdenken, würde gesellschaftlich etwas positives passieren."
Wer finanziert das Deutschlandticket?
Beim Deutschlandticket kommt es darauf an, ob die neue Regierung bereit ist, eine Weiterführung zu finanzieren. Aktuell finanzieren Bund und Länder das Ticket zur Hälfte mit jeweils 1,5 Milliarden Euro. Das Land Baden-Württemberg zahlt nach Angaben des Verkehrsministeriums 180 Millionen Euro davon. Seit Januar dieses Jahres kostet das ehemalige 49-Euro-Ticket neun Euro mehr.
Carola Kreis-Euhus aus Emmendingen meint: "Wenn mehr Leute auf ÖPNV umsteigen, müsste es günstiger werden." Sie ist der Meinung, es brauche eine grundlegende Veränderung im öffentlichen Nahverkehr. Und die könne nur vom Bund ausgehen. Anders sieht es Margit Froehlich aus Stuttgart-Neuwirthaus: Sie ist zufrieden mit der föderalen Aufteilung in Sachen ÖPNV.
Bundesländer können Deutschlandtickets selbstständig höher bezuschussen: In Baden-Württemberg gibt es zum Beispiel das günstigere Deutschland-Ticket Jugend BW, wofür das Land weitere 120 Millionen Euro ausgibt. Zudem können auch Kommunen über den Verkehrsverbund eigenständig Rabatte ermöglichen. In Tübingen kostet das Deutschlandticket zum Beispiel 45 statt 58 Euro.
Was sind die Vor- und Nachteile von Föderalismus?
1949 wurde der Föderalismus bei der Neuordnung der Bundesrepublik Deutschland eingeführt. Dahinter stand und steht die Idee eines Staates, in dem es keine Machtkonzentration gibt. Vielmehr soll die Macht auf unterschiedliche politische Ebenen aufgeteilt sein. Man könne dem Föderalismus zurecht kritisch entgegen stehen, sagt Politikwissenschaftler Wehner: "Er kostet Geld, Aushandlungsprozesse sind langwierig und mitunter haben wir personelle Doppelstrukturen im Bund, Land und in den Kommunen".
Ich glaube, dass die dezentrale Aufteilung auf bürgernahe Ebenen zu besseren Entscheidungen führt. Michael Wehner, Politikwissenschaftler und Leiter der Freiburger Außenstelle der Landeszentrale für politische Bildung
Föderalistische Entscheidungen in Deutschland seien ein Geben und Nehmen. Und ein ständiger Aushandlungsprozess zwischen dem Bund, den Ländern und den einzelnen Kommunen, so Wehner weiter. Bei einzelnen Angelegenheiten sei es Abwägungssache, wie gut diese Aufteilung geeignet ist. Aber: "Ich bin ein Anhänger des Föderalismus", sagt Politikwissenschaftler Wehner. Es gebe auch ganz klare Vorteile: "Ich glaube, dass die dezentrale Aufteilung und Verlagerung auf Ebenen, in denen Bürgernähe und Sachverstand direkt vor Ort waltet, zu besseren Entscheidungen führt."