Baden-Württemberg Marode Infrastruktur wegen fehlenden Investitionen in Baden-Württemberg
Bröckelnder Putz und baufällige Brücken. Jahrelang wurde in BW nicht genug in Sanierungen investiert, jetzt sind aufwendige Kontrollen und Ausbesserungen nötig. Wie es besser laufen könnte.
Überall in Baden-Württemberg sind Teile der Infrastruktur veraltet und marode, weil über Jahrzehnte nicht viel investiert wurde. Dabei wäre das bitter nötig gewesen für öffentliche Einrichtungen wie Schulen, aber auch Energienetze, die Bahn, Straßen und Brücken. Seit dem Einsturz der Carolabrücke in Dresden wird auch in Baden-Württemberg geschaut, was besonders dringend saniert werden muss.
Mehr als 700 Brücken müssen saniert werden
In BW gibt es mehr als 7.000 Brücken in Verantwortung des Landes und des Bundes. Laut Landes-Verkehrsministerium ist etwa jede zehnte Brücke sanierungsbedürftig. Die 31 drängendsten Brückensanierungen wurden in einer Ausschreibung zusammengefasst, um den Prozess zu beschleunigen. Die Aufträge sollen bald vergeben werden. Eigentlich müssten allein in Baden-Württemberg in jedem Jahr rund einhundert Brücken erneuert werden. Dafür wären jährlich 300 Millionen Euro nötig. Gerade mal gut halb so viel ist im Landeshaushalt derzeit dafür eingeplant.
An Herrenberger Schule bröckelt der Putz
Der Lack ist ab - und zwar ganz wörtlich: Die Farbe blättert von den alten Holzfenstern ab; am Schulgebäude bröckelt der Putz. Die Albert-Schweitzer-Schule in Herrenberg (Kreis Böblingen) ist in die Jahre gekommen. Sie wurde in den 1950er Jahren in recht einfacher Bauweise errichtet. In der Nachkriegszeit musste es schnell gehen mit dem Aufbau. Schulleiterin Katharina Urtimur ist mit der Ausstattung für den Unterricht zufrieden, "aber die Substanz ist nicht das, was wir uns wünschen würden," sagt sie. Urtimur ist noch nicht lange im Amt, genauso wie der Oberbürgermeister von Herrenberg, Nico Reith (parteilos).
Farbe blättern von den Fernstern ab, der Putz bröckelt: Viele Schulen im Land sind wie die Albert-Schweitzer-Schule in Herrenberg (Kreis Böblingen) seit Jahrzehnten sanierungsbedürftig.
Am Willen mangelt es nicht: Schulleiterin und Oberbürgermeister wollen gestalten. Sanierung und Neubau sind schon beschlossen, aber das Geld fehlt: "Es ist nicht absehbar, wie und wann wir es finanzieren können", sagt Reith. Und die Schule ist nicht die einzige - überall gibt es Sanierungsbedarf. Die Stadt versucht zu priorisieren. Auch Sporthallen sind in einem schlechten Zustand: Bei manchen ist das Dach undicht oder der Hallenboden kaputt. Aber "90 Prozent der Kommunen können ihre Haushalte nicht ausgleichen. Das ist ein großes strukturelles Problem, das angegangen werden muss," meint Oberbürgermeister Reith.
Sanierungsbedürftige Brücken: möglicherweise tickende Zeitbomben
Eine Brücke im Land, die derzeit saniert wird, steht an der Südtangente in Karlsruhe. Auf der Baustelle sieht man sofort: Von der einst vierspurigen Brücke der Bundesstraße 10 steht nur noch die Hälfte, der andere Teil ist schon abgerissen. Hier muss komplett neu gebaut werden. Die Brücke aus den 1960er Jahren ist aus dem gleichen Spannstahl wie die Carolabrücke in Dresden. Das macht Vorhersagen besonders schwierig: Von außen ist nicht sichtbar, ob das Material noch in Ordnung ist oder nicht.
Die Brücke der B10 an der Südtangente in Karlsruhe muss komplett neu gebaut werden. Die Brücke aus den 1960er Jahren ist aus dem gleichen Spannstahl wie die Carolabrücke in Dresden.
"Das Versagen ist ein schlagartiges Versagen. Das kündet sich im Vorfeld nicht an," sagt Jürgen Genthner, der leitende Baudirektor beim Regierungspräsidium Karlsruhe. "Es gibt Brückentypen, da weiß man nicht, ob man in der Brücke eine tickende Zeitbombe hat."
Architekturkritiker: Das Land hat sich kaputtgespart
Die Karlsruher Regierungspräsidentin Sylvia Felder meint, dass vielleicht in den vergangenen Jahren etwas zu wenig investiert wurde. Aber sie erklärt es in "Zur Sache Baden-Württemberg" auch damit, dass viele Bauten früher für weniger Auslastung errichtet wurden. Darin stimmt ihr der Architekturkritiker Gerhard Matzig grundsätzlich zu. Aber er findet: Hier wurde das Land sehenden Auges "kaputtgespart". Denn die Haltbarkeit von Infrastruktur sei nun einmal begrenzt.
Verkehrsexperte: Investitionen unbedingt erforderlich
Auch Straßen und Bahnstrecken müssen ständig erneuert werden. Das dauert in Deutschland oft länger als anderswo. Während die Schweiz ihren Teil der europäischen Magistrale von Rotterdam bis nach Italien schon lange fertig hat, hakt es auf dem Abschnitt zwischen Karlsruhe und Basel, die entlang des Rheins durch Baden-Württemberg führt. Die Strecke ist enorm wichtig für den Güterverkehr. In der Schweiz wurde sogar der Gotthardtunnel schneller fertig als geplant.
Die lokale Bevölkerung muss auch etwas spüren. Man kann ihr nicht nur eine Neubaustrecke vor die Tür setzen." Peter Füglistaler, Verkehrsexperte und früherer Chef des schweizerischen Bundesamts für Verkehr
Laut dem Verkehrsexperten Peter Füglistaler bräuchte es mehr Mut. Der frühere Chef des schweizerischen Bundesamts für Verkehr hält Investitionen für unbedingt erforderlich, auch wenn die Finanzlage es eigentlich nicht zulässt. Das hieße also: Schulden machen für besonders wichtige Projekte.
Menschen vor Ort müssen Vorteile selbst sehen
Die Vorteile müssten dann aber auch den Menschen erklärt werden und die Bevölkerung müsse mitwirken können. Davon ist Füglistaler überzeugt. "Wenn man baut, braucht es eine gewisse Großzügigkeit: Die lokale Bevölkerung muss auch etwas spüren. Man kann ihr nicht nur eine Neubaustrecke vor die Tür setzen", so der frühere Behördenleiter. Wenn es beispielsweise im Zuge einer Bahntrasse auch einen neuen Bahnhof gebe, hätten auch die Menschen vor Ort etwas davon.
Sendung am Do., 23.1.2025 20:15 Uhr, Zur Sache Baden-Württemberg! - SWR BW