Eine Mitarbeiterin arbeitet mit Abwasserproben. In Stuttgart wurde nun auch Poliovirus im Abwasser nachgewiesen.

Baden-Württemberg Polioviren auch in Stuttgarter Abwasser entdeckt

Stand: 24.01.2025 16:41 Uhr

Bei Abwasseruntersuchungen sind auch in Stuttgart Polioviren nachgewiesen worden - wie zuvor bereits in anderen deutschen Städten. Experten raten, verpasste Impfungen nachzuholen.

Auch in der baden-württembergischen Landeshauptstadt Stuttgart sind bei Abwasser-Untersuchungen Polioviren entdeckt worden. Zuvor waren die Erreger schon in München, Bonn, Köln, Hamburg, Dresden, Düsseldorf und Mainz nachgewiesen worden. Positive Tests gab es nun auch aus einem Klärwerk in Stuttgart, teilte das Robert Koch-Institut (RKI) mit. Auch Proben aus Berlin und Frankfurt am Main seien positiv ausgefallen. Die Nachweise in Stuttgart stammen aus dem Zeitraum Anfang Dezember 2024. 

Ausgeschiedene Viren nach Schluckimpfung

Bei den Erregern handelt es sich demnach nicht um den Wildtyp des Poliovirus, sondern um Viren, die auf die Schluckimpfung gegen Kinderlähmung mit abgeschwächten, aber lebenden Polio-Erregern zurückgehen. Die abgeschwächten Impfviren können von Geimpften bis zu sechs Wochen lang ausgeschieden und weiterverbreitet werden. Sie haben sich so verändert, dass sie unzureichend geimpfte Menschen potenziell krank machen können.

Die Schluckimpfung wird in Deutschland nicht mehr genutzt. Es ist laut RKI nach wie vor unklar, ob die Viren aus dem Ausland eingeschleppt wurden, oder ob in Deutschland bereits eine Übertragung stattgefunden hat. Ausgeschlossen sei eine solche Übertragung nicht. Verdachtsfälle auf die Krankheit seien bisher aber weder in Deutschland noch in anderen betroffenen Ländern in Europa bekannt.

Lucha: Impfschutz überprüfen und Impfungen nachholen

Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) erklärte, die seit Ende November bestehende Vermutung habe sich nun bestätigt. Er forderte die Bürgerinnen und Bürger dazu auf, ihren Impfschutz zu überprüfen und falls nötig Impfungen nachzuholen. "Um mögliche Fälle von Kinderlähmung zu verhindern, müssen Impfserien möglichst zeitnah abgeschlossen und bestehende Impflücken vor allem bei Säuglingen und Kindern dringend geschlossen werden", sagte Lucha. Man beobachte die Lage im Südwesten genau. Laut Gesundheitsministerium wurden im Rahmen der Einschulungsuntersuchungen die geringsten Impfquoten mit 78,4 Prozent im Bodenseekreis und 80,4 Prozent im Landkreis Ravensburg dokumentiert.  


Auch die Ständige Impfkommission (STIKO) rät, versäumte Impfungen nachzuholen. Grundsätzlich empfiehlt die Kommission für alle Kinder im ersten Lebensjahr drei Impfstoffdosen. Im Alter von 9 bis 16 Jahren sollte eine Auffrischungsimpfung erfolgen.

Positive Proben in anderen europäischen Ländern

In Spanien, Polen, Großbritannien und Finnland wurden kürzlich ebenfalls Polioviren in Abwasserproben entdeckt, wie am Donnerstag in der Fachzeitschrift "Eurosurveillance" berichtet wurde. "Es ist unklar, wie viele Länder Europas betroffen sind, da Abwassertestungen auf Polioviren nur in 23 der 53 Länder der Europäischen Region der Weltgesundheitsorganisation (WHO) durchgeführt werden", so das RKI.

Krankheit kann zu Lähmungen und Tod führen

Polio - umgangssprachlich auch als Kinderlähmung bekannt - ist eine Infektionskrankheit, die im schlimmsten Fall bei nicht ausreichend geimpften Personen dauerhafte Lähmungen hervorrufen oder auch zum Tod führen kann. Verbreitet wird das Virus oft über verunreinigtes Wasser. Eine Therapie dagegen gibt es bisher nicht. Die Krankheit konnte durch Impfkampagnen in den meisten Ländern der Welt ausgerottet werden. Die aktuellen Nachweise seien eine Erinnerung daran, dass auch bereits poliofreie Regionen nicht vor einem Wiedereintrag von Polioviren geschützt seien, erklärte das RKI. "Eine vollständige Impfserie mit einer Poliomyelitisimpfung schützt effektiv vor der Erkrankung."

Sendung am Fr., 24.1.2025 16:30 Uhr, SWR4 BW Studio Stuttgart

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