
Baden-Württemberg Prozess gegen das Reutlinger Jugendamt: Amtsleiterin verteidigt Mitarbeiterinnen
In Reutlingen ist der Prozess gegen zwei Mitarbeiterinnen des Jugendamts weitergegangen. Die Mutter zweier verwahrloster Kinder machte dem Jugendamt Vorwürfe.
Vor dem Amtsgericht Reutlingen ist der Prozess gegen zwei Mitarbeiterinnen des Kreisjugendamts fortgesetzt worden. Ihnen wird vorgeworfen, ihre Fürsorgepflicht vernachlässigt zu haben. Es geht darum, ob die beiden Sachbearbeiterinnen mitverantwortlich sind für die Verwahrlosung zweier kleiner Geschwister.
Drei Jahre lang hatte das Jugendamt die alleinerziehende, vorbestrafte Mutter und ihre zwei Kinder begleitet. Die freiwillige Hilfe zur Erziehung übernahm ein Sozialträger. Schließlich verlängerte die Mutter die Hilfe nicht mehr. Als sie zehn Monate später, im Jahr 2022, wegen Diebstahls verhaftet wurde, wurde bekannt, in welch desolaten Zuständen die Kinder lebten. Hätte das Jugendamt früher einschreiten können?
Leiterin des Jugendamts sagt als Zeugin aus
Am zweiten Verhandlungstag erklärte die Leiterin des Kreisjugendamts, wann das Jugendamt die Möglichkeiten hat, in eine Familie einzugreifen: "Die Eingriffsschwelle ist relativ hoch." Es müssten gewichtige Anhaltspunkte für eine unmittelbare Kindeswohlgefährdung vorliegen, sagte sie. Diese lägen vor, wenn sich ein Kind nicht so entwickele, wie man es von einem Kind erwarte oder Gewalt stattfinde.
Das Jugendamt sei dabei auf Meldungen von allen angewiesen, die Zugang zu den Kindern haben - etwa von Ärzten, dem Hilfeträger oder dem Kindergarten. Am besten konkret und schriftlich, damit sie vor dem Familiengericht Bestand hätten. Im Fall des verwahrlosten Geschwisterpaars seien bedenkliche Meldungen aber weder vom Familienhelfer, noch dem Kindergarten oder dem Kinderarzt eingegangen.
Werde eine freiwillige Hilfe zur Erziehung von den Eltern beendet und lägen keine Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung vor, könne man nicht gegen den Willen der Erziehungsberechtigten eine Hilfe installieren, so die Amtsleiterin auf Rückfrage der Anwälte. "Wir können nur Angebote machen."
Jugendamt: Mitarbeiterinnen betreuen meist 40 Fälle
Die beiden angeklagten Mitarbeiterinnen beschreibt die Amtsleiterin als aufgeschlossen, zugewandt und interessiert. An ihrem Engagement gebe es nichts zu kritteln, sagte sie. Rund 1.500 Hilfen zur Erziehung leiste das Jugendamt, eine Sachbearbeiterin oder ein Sachbearbeiter betreue meist 40 Fälle. "Es gibt Empfehlungen, das auf 30 Fälle zu begrenzen."
Ist ein freier Träger vor Ort, der Familienhilfe leiste, seien Hausbesuche durch die Sacharbeiterinnen des Jugendamts unüblich. "Der Träger hat Einblick in die häusliche Umgebung. Dann gibt es keinen Anlass für das Jugendamt, einen Hausbesuch zu machen", sagte die Amtsleiterin.

Der Eingang des Amtsgericht Reutlingen. Hier geht der Prozess gegen zwei Mitarbeiterinnen des Reutlinger Kreisjugendamtes weiter.
Sechsfache Mutter: Wegen Kindesmisshandlung verurteilt
Auch von der Mutter der Kinder wollte sich das Schöffengericht am Mittwochnachmittag einen Eindruck verschaffen. Die 47-Jährige ist in Sachen Kindeswohlgefährdung keine Unbekannte und wurde in Handschellen vorgeführt: Im Jahr 2024 wurde sie wegen der Kindesmisshandlung ihrer beiden jüngeren Kinder zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten verurteilt. 2014 war ihr das Sorgerecht für ihre vier älteren Kinder entzogen worden.
In einem Anamnese-Bericht von 2018, den der Richter verlas, wurden der Mutter unter anderem psychische Probleme und ein fehlendes Problembewusstsein in Bezug auf Ordnung und Sauberkeit attestiert. Als Jugendliche sei sie selbst in einer Wohngruppe untergebracht gewesen, weil sie andere Kinder belästigt habe.
Mutter erhebt Vorwürfe gegen das Jugendamt
Vor Gericht machte sie dem Jugendamt Vorwürfe. Der Kontakt und die Erreichbarkeit seien schwierig gewesen. Sie habe keine richtige Hilfe bekommen. Das Verhältnis zum Familienhelfer des freien Trägers sei besser gewesen, er habe die Kinder in den Kindergarten gebracht und ihr mit den Papieren geholfen. "Er war mein Taxi".
Gleichzeitig räumte sie auf Nachfrage des Anwalts ein, vereinbarte Termine oder Telefonate mit der Mitarbeiterin des Jugendamts teilweise nicht wahrgenommen zu haben. Die freiwillige Hilfe zur Erziehung hätte sie 2021 nicht verlängert, weil alles gut gelaufen sei. "Ich habe meine Briefe hinbekommen, habe den Kindern essen gemacht, alles war okay", sagte sie.
Für den Prozess hat das Gericht zunächst vier Verhandlungstage angesetzt. Das Verfahren wird am 18. Juni fortgesetzt. Ein Urteil könnte Mitte Juli fallen.
Sendung am Fr., 30.5.2025 10:30 Uhr, SWR Studio Tübingen Regionalnachrichten