Berlin Chaos beim Berliner Kulturetat: Kinder- und Jugendtheater – ungekürzt und trotzdem dicht
Eigentlich sollen Kinder- und Jugendtheater von den Kürzungen des Kulturetats um 130 Millionen nicht betroffen sein. Wegen der unklaren Haushaltslage Berlins mussten trotzdem viele vorerst schließen und Angestellte entlassen. Von Elena Deutscher
"Es wurden keine Veranstaltungen gefunden": So heißt es aktuell auf den Webseiten vieler Berliner Kinder- und Jugendtheater. Denn obwohl bei dem Kulturangebot für Kinder laut den Sparplänen des Berliner Senats nicht gekürzt werden soll, mussten viele kleine Kieztheater wegen der unklaren Haushaltslage vorerst ihre Türen schließen, ihren Spielplan kürzen oder Angestellte in Kurzarbeit schicken und sogar kündigen.
Dabei galt nach der Rücknahme der geplanten Kürzungen beim Grips-Theater und dem Theater an der Parkaue das Kinder- und Jugendtheater als von Bürgermeister Kai Wegner (CDU) persönlich "gerettet".
"Ich fand sehr richtig, was Herr Wegner gesagt hat, nämlich, dass der Bereich von Kinder- und Jugendkultur immer wird subventioniert werden müssen, weil Kinder und Jugendliche nicht das Geld wie Erwachsene zur Verfügung haben", erklärt Philipp Harpain, Leiter des Grips-Theaters.
Unklar bleibt, wo weitere Millionen gekürzt werden
Doch das Problem ist ein organisatorisches: "In dem Moment, wo man den Haushalt am 19. Dezember bewilligt, ist der Vorlauf, der dazu führt, dass da Geld da ankommt, wo es benötigt wird, einfach viel zu knapp" so Harpain.
Auch wenn das Grips-Theater von den Sparplänen verschont geblieben ist, setzt Harpain sich für die kleineren Kinder- und Jugendtheater ein und weiß um deren prekäre Lage: "Es sind auch einige Millionen noch gar nicht in den Kürzungen definiert. Man weiß gar nicht, wo die gekürzt werden sollen. Und wir hoffen natürlich sehr darauf, dass die Kinder- und Jugendtheater weiterhin ausgenommen bleiben."
Alle Zuwendungsempfänger und auch die Kinder- und Jugendtheater werden in Geiselhaft genommen.
Der Abgeordnete Daniel Wesener, Sprecher für Kulturfinanzierung bei den Grünen, bangt um die Existenz kleiner Kulturbetriebe.
"Kinder- und Jugendtheater werden in Geiselhaft genommen"
Anders als das Grips-Theater oder das Theater an der Parkaue sind kleinere Kinder- und Jugendtheater nicht als einzelne Posten in den Sparplänen des Senats aufgeführt und werden stattdessen aus vielen verschiedenen Fördertöpfen des Landes Berlin finanziert.
Ob und wieviel in diesen Töpfen vom Bündnis CDU und SPD gekürzt wird, um die Sparvorgabe von 130 Millionen Euro zu erfüllen, ist noch unklar, erklärt der Abgeordnete Daniel Wesener, Sprecher für Kulturfinanzierung bei den Grünen. "Und solange das der Fall ist, werden fast alle Zuwendungsempfänger und auch die Kinder- und Jugendtheater in Geiselhaft genommen."
Der Spielplan bleibt leer
Welche Auswirkungen das Chaos um den Kulturetat hat, zeigt sich beim Morgenstern-Theater: Auf der Bühne im Rathaus Friedenau steht noch die Kulisse vom letzten Stück "Zwergnase" aus Dezember 2024. Eigentlich hat es die Theatergruppe nicht eilig mit dem Abbau, doch in wenigen Handgriffen sind die kleinen Häuschen auseinandergenommen und die Bühne ist so leer wie der Spielplan.
Erstmals seit dreißig Jahren ist unklar, welche Veranstaltungen dieses Jahr im Theater Morgenstern stattfinden können. "Wir sind gerade dabei, jegliche Ressourcen aufzubrauchen. Also wenn jetzt nicht noch irgendein Bescheid kommt, der irgendeine andere Förderung ermöglicht, dann müssen wir schließen", erklärt die Leiterin des Theaters, Pascale Senn Koch.
Die Leiterin des Morgenstern Theaters Pascale Senn Koch fürchtet ohne weitere Förderungen, bald schließen zu müssen.
Morgenstern muss Mitarbeiter entlassen
Gelder bekommt das Morgenstern normalerweise aus einem Topf, der extra für Kinder- und Jugendtheater ist, dem sogenannten KiA-Programm. Das Programm soll zwar nicht gekürzt werden, aber es reicht nicht, um einen Spielbetrieb zu ermöglichen. Dafür ist das Morgenstern auf Geld aus anderen Töpfen angewiesen. Doch die Konkurrenz um diese Mittel hat sich durch die Kürzungen im gesamten Kulturbereich noch einmal erhöht.
Einen Mitarbeiter hat Senn Koch bereits entlassen müssen. Drei weitere möchte sie in Kurzarbeit schicken: "Im schlimmsten Fall müssen wir die drei auch noch kündigen. Und dann ist eine Struktur zerstört, von der ich nicht weiß, ob man sie jemals wieder repariert bekommt", so Senn Koch.
Keine Kürzungen bei der Basisförderung vorgesehen
Auch das Theater o.N. im Prenzlauer Berg hat mit den Auswirkungen der Kürzungen zu kämpfen. Die Theatergruppe ist basisgefördert. Mit diesen Mitteln können Theater ihre Miete oder den Strom bezahlen. Auf Nachfrage beim Kultursenat hieß es, dass keine Kürzungen bei den Basisförderungen vorgesehen seien. Erste vorläufige Bescheide für eine Basisförderung bis Ende März haben einige Theater und auch das Theater o.N. bereits erhalten.
"In all diesen Bescheiden steht drin, dass es zur Kürzung im Jahr 2025 etwa in einer Höhe von zwölf Prozent der zugesagten Mittel kommen kann", sagt Daniel Wesener. Das sei das Gegenteil von Planungssicherheit, so der Abgeordnete.
Dagmar Domrös ist eine der drei Leiterinnen vom Theater o.N. Für einen vollen Spielplan ist das Theater auf Fördergelder angewiesen.
Genau wie beim Theater Morgenstern benötigt das Theater o.N. weitere Gelder des Landes, um Vorführungen realisieren zu können. Gehofft hatte die Theatergruppe unter anderem auf Fördermittel für ein Festival, erklärt Dagmar Domrös, eine der drei Leiterinnen des Theaters: "Wir wollten sechs Wochen lang Tanz und Theater für das allerjüngste Publikum ins Zentrum stellen und jetzt gerade flattert per E-Mail eine Absage rein."
Auch ihre Co-Leiterin Vera Strobel ist betroffen: "Es kann sein, dass hier im Herbst dann relativ wenig Programm ist, obwohl die Schulen, Kitas und Familien eigentlich gerne kommen würden." Wegen der geringen Einnahmen seien sie auf Unterstützung angewiesen.
Ich finde den Fall so extrem: Von 'mit dem Theaterpreis des Bundes ausgezeichnet' zu einer zweimonatigen Schließung.
Eintrittspreise decken nicht die Kosten der Theater
Kindertheater über die Eintrittspreise zu finanzieren, funktioniere nicht, weiß auch Pascale Senn Koch vom Morgensterntheater. "Für uns ist kulturelle Teilhabe ganz oben auf der Prioritätenliste. Wir haben Eintrittspreise von fünf bis acht Euro pro Kind, damit auch wirklich jeder ins Theater kann." Doch dadurch lassen sich die laufenden Kosten im Spielbetrieb nicht decken.
Die Liste von betroffenen Kinder- und Jugendtheatern ist lang. Das erst vor sechs Jahren gegründete Feld-Theater am Berliner Winterfeldtplatz in Schöneberg zeigt im Januar und Februar keine Vorstellungen.
"Ich finde den Fall so extrem: Von 'mit dem Theaterpreis des Bundes ausgezeichnet' zu einer zweimonatigen Schließung”, sagt Gabi dan Droste, Projektentwicklerin, Dramaturgin, Spielleiterin und Co-Regisseurin am Feld. Im Oktober 2024 gewann das Feld in der Kategorie "Freie Produktionshäuser".
Normalerweise gäbe es im Feld im Jahr ungefähr 160 bis 170 Veranstaltungen (Vorstellungen, Projekte mit Kindern und andere Aktionen), erklärt dan Droste. Aktuell sind erst zehn Veranstaltungen für 2025 finanziert.
Vielleicht kommen wir noch irgendwie durch dieses, aber nächstes Jahr ist der Spardruck genauso hoch und dann sind die Rücklagen aufgebraucht.
Dirk Brauner ist freier Dramaturg. Die aktuelle Situation bedeutet für ihn große Planungsunsicherheit.
"Es braucht eine Perspektive"
Nicht nur die Theaterhäuser sind bedroht, auch die freien Künstler:innen, die dort arbeiten. Wie der Dramaturg Dirk Brauner, der unter anderem am Morgenstern wirkt. Eine gewisse Flexibilität würde ein Job in der Freien Kunst mit sich bringen, so Brauner. Neu sei allerdings der Grad der Planungsunsicherheit: "Das ist eine Zäsur, ein Vorführen aller Kunstschaffenden in Berlin." Erste Kolleg:innen würden bereits aus Berlin wegziehen, sagt der Dramaturg.
Es brauche eine Perspektive und Gespräche, wie man aus dieser Krise wieder herauskommt, fordert auch Vera Strobel vom Theater o.N.: "Die große Frage ist: Was passiert im nächsten Jahr? Vielleicht kommen wir noch irgendwie durch dieses, aber nächstes Jahr ist der Spardruck genauso hoch und dann sind die Rücklagen aufgebraucht."
Das Hoffen auf weitere Fördermittel und Signale aus der Kultursenatsverwaltung geht also weiter. Damit es bei den Theatern hoffentlich bald wieder heißen kann: Vorhang auf und Bühne frei.
Sendung: rbb24 Inforadio, 15.01.2025, 18:55 Uhr