
Berlin Der Clan-Ausstieg der "Latife Arab" - eine Geschichte und viele Ungereimtheiten
Ihr Buch über den Ausstieg aus einem kriminellen und gewalttätigen Clan machte Latife Arab zur Bestseller-Autorin. Wenig später schilderte sie eine Attacke in Berlin. Jetzt sind die Ermittlungen dazu eingestellt worden. Von S. Adamek und O. Sundermeyer
- Autorin zieht Aussage zu Beziehungen zu Berliner Clans zurück
- Staatsanwaltschaft konnte Tatvorwurf nicht abschließend klären
- Latife Arab fürchtet um ihre Sicherheit
Ende Oktober 2024 kommt die Berliner Buchautorin H.K., die unter dem Pseudonym Latife Arab bekannt wurde, zu einem exklusiven und ausführlichen Interview in den rbb. Sie fühle sich nicht sicher, sagt sie, und übt Kritik an der Polizei. Sie hoffe auf besseren Schutz, wenn sie öffentlich mache, wie sie überfallen worden sei und was ihr danach widerfuhr, erklärt H.K. im Gespräch.
Seit März 2024 steht Latife Arab mit ihrem Bestseller "Ein Leben zählt nichts - Leben als Frau im arabischen Clan" im medialen Rampenlicht. In dem Buch berichtet die 1980 in der türkischen Provinz Mardin geborene Frau, dass sie inmitten einer kriminellen Clan-Familie aufgewachsen sei. Arab erzählt von Gewalt und Übergriffen, von Schutzgelderpressung und Raubüberfällen, von Zwangsheirat und erfolglosen Fluchtversuchen.
H.K. schildert Angriff im September 2024
In dem Interview mit dem rbb schildert sie dann, sie sei am 11. September 2024 von Mitgliedern eines Clans in einem Waldstück nahe dem S-Bahnhof Wuhletal zusammengeschlagen und mit Benzin übergossen worden. Auf die Frage des Reporters, ob ihr die Männer, die sie zunächst in ein Auto gezerrt haben sollen, bekannt waren, antwortet sie wörtlich: "Ich habe erst, als ich im Auto war, ich habe erst, als ich so das Ganze sozusagen wahrgenommen habe, habe erst verstanden, wer das ist und dass es jemand ist, den ich kenne." Auf die Nachfrage, ob sie die Männer persönlich kenne, sagt sie: "Persönlich kennen ist jetzt ein bisschen zu viel, also persönlich kenne ich, ehrlich gesagt, kannte ich vielleicht eine Person von denen." Eine von vielen eher vagen Antworten.
"So konkret haben sie es nicht gesagt"
Als sie gefragt wird, was die Männer gewollt hätten, antwortet sie: "Ich glaube, die hätten mich am Ende des Tages lieber tot gesehen. Aber das war auch sozusagen die Botschaft, die mich im Auto erreichen sollte. Dass ich eine Schande bin, dass ich eigentlich schon längst hätte tot sein sollen."
Nachfrage: Haben die Männer das gesagt? Antwort: "So nicht. So konkret haben sie es nicht gesagt." Hatten die Männer überhaupt mit ihr gesprochen? Hatte sie die Männer angesprochen? Auch hier verbleibt H.K. im Vagen: "In meiner Kultur wurde mir beigebracht, dass ich als Mädchen oder als Frau erst reden darf, wenn ich gefragt werde."

Keine unmittelbare Verwandtschaft zu Clan-Größen
Nach dem Interview entschied die Redaktion rbb24 Recherche damals, vorerst nichts davon zu veröffentlichen, weil einige Aussagen von H.K. zu unkonkret und nur schwer überprüfbar waren. So behauptete sie anlässlich des Interviews, mit zwei bekannten Berliner Clan-Chefs unmittelbar verwandt zu sein. Recherchen des rbb zu dieser Aussage führten zu keinem Ergebnis, eine Veröffentlichung unterblieb auch deshalb.
H.K. hat vor einiger Zeit einen Berater engagiert, um ihre Belange zu vertreten: den Clan-Experten Thomas Ganz. Auch rbb24 Recherche hat schon mit ihm zusammengearbeitet - für eine Produktion zum Thema "Clans".
Ganz antwortet jetzt im Namen von H.K. auf eine rbb-Anfrage von rbb24 Recherche, dass sie doch nicht unmittelbar mit zwei Berliner Clan-Chefs verwandt sei. Es gebe lediglich "entfernte verwandtschaftliche Verhältnisse zwischen ihrer Familie und den beiden genannten Clans" [Anm. der Redaktion: den Remmos und Al Zeins].
Ermittlungen "mangels hinreichenden Tatverdachts" eingestellt
Bei der Berliner Polizei und Staatsanwaltschaft lösten die Aussagen der Buch-Autorin über den Überfall personalintensive Ermittlungen aus. Aus Ermittlerkreisen hieß es, man sei alarmiert gewesen, da man fürchtete, es könne sich um eine offene Racheaktion wegen des Buches von Latife Arab handeln.
Also versuchte man mit hohem Aufwand, jeden Stein in dem Fall umzudrehen: Das Waldstück nahe dem S-Bahnhof Wuhletal wurde mit Hunden und Einsatzkräften abgesucht. Auch gab es eine Durchsuchung, forensische Gutachten und Befragungen der Autorin. Monatelang wurde ermittelt.
Jetzt stellten die Ermittler das Verfahren "mangels hinreichenden Tatverdachts" ein, wie rbb24 Recherche auf Anfrage erfuhr. Es konnte kein Tatverdächtiger ermittelt werden. Wörtlich sagte Michael Petzold, Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft: "Die durchgeführten Ermittlungen führten nicht zur Namhaftmachung eines oder mehrerer Beschuldigter."
Nach Aussage der Staatsanwaltschaft sei es auch nicht sicher, ob der Tatvorwurf zutreffe: "Eine abschließende Klärung der Frage, ob sich die durch die Zeugin angegebenen Tat tatsächlich ereignet hat, war im Verlauf der umfangreichen Ermittlungen nicht möglich", sagte der Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft. "Das Verfahren war daher einzustellen."
H.K.s Berater antwortet dem rbb, man sei nicht "verwundert", dass die Staatsanwaltschaft erklärt habe, nichts Zielführendes ermitteln zu können: "Im Milieu Clan-Kriminalität treffen die Ermittler fast immer auf eine Mauer des Schweigens, Straftaten müssen eingestellt werden oder es gibt Freisprüche aus Mangel an Beweisen."
Keine Aussage zur Identität der Täter
Während die Ermittler eine mangelnde Mitwirkung der Autorin an der Aufklärung des Überfalls beklagen, behauptet ihr Berater Thomas Ganz in der Mail an den rbb: "Für den 27. März 2025 war beim AG Tiergarten [Amtsgericht Tiergarten, Anm.d.Red.] eine Richterliche Vernehmung der Latife Arab terminiert. Diese beabsichtigte der (…) Vorladung zu folgen (…)." Den Termin habe die Staatsanwaltschaft dann ohne Angabe von Gründen abgesagt.
Die Darstellung der Staatsanwaltschaft widerspricht dem. Nach Aussage von Staatsanwalt Petzold sei H.K. in den vergangenen Monaten mehrfach polizeilich vernommen worden. Sie habe dabei zwar Angaben zum Tatablauf gemacht, die Täter aber nicht eindeutig benennen wollen. Eine Vernehmung durch eine Ermittlungsrichterin habe aus gesundheitlichen Gründen abgebrochen werden müssen. Im weiteren Verfahren habe sich die Zeugin dann auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen - also bereits vor dem abgesagten Termin im März.
Auf Nachfrage räumt der Berater von H.K. ein, dass sich Frau Arab "zurückhaltend bei der Aufklärung der von ihr angezeigten Straftat verhalten" habe, da sie um ihre Sicherheit und die ihrer Familie besorgt sei.

Heyne-Verlag stoppt Buch-Vertrieb und spricht von möglicher Fälschung
Die Familie, aus der H.K. stammt, hat das im März 2024 veröffentlichte Buch als unwahr zurückgewiesen, was H.K. auf Anfrage nicht kommentieren mag.
Im Dezember 2024 erschienen mehrere Medienveröffentlichungen, in denen Zweifel an einigen Darstellungen von Latife Arab geäußert wurden. Gegen diese Berichte ist sie zum Teil presserechtlich mit Erfolg vorgegangen.
Der Heyne-Verlag hat den Vertrieb des Buches kürzlich vorläufig gestoppt. Gegenüber rbb24 Recherche erklärte eine Sprecherin des Verlages, man habe die Autorin nach "in der Presse aufgekommenen Zweifeln an der Zugehörigkeit der Autorin zu einem der bekanntesten kriminellen Clans" um Vorlage von "eindeutigeren Dokumenten gebeten, die ihre Herkunft klar verifizierten". Die Autorin habe zuvor in mehreren Gesprächen eben jene Herkunft angegeben und durch vorgelegte Ausweiskopien versichert, "die sich im Nachhinein als wahrscheinlich gefälscht erweisen".
Der Berater von H.K. beantwortete Fragen des rbb nach den Belegen nicht, sondern erklärte, die Autorin fühle sich "auch von ihrem Verlag (Heyne) absolut im Stich gelassen". Auf den vom Verlag geäußerten Verdacht der Fälschung geht er nicht ein. Ob der Vorwurf zutrifft, kann vom rbb derzeit nicht verifiziert werden.
Nach den kritischen Medienberichten hatte im Dezember auch der Sender RTL seine Berichterstattung zurückgezogen [rtl.de]. "Aufgrund aktueller Zweifel an ihren Angaben zieht RTL die bisherige Berichterstattung … bis zur vollständigen Aufklärung" zurückgezogen.
Latife Arab hält weiterhin an den Inhalten ihres Buches fest.
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