Grafik:Ein Kind schläft in einem Kinderwagen unter einem Mobile.(Quelle:rbb)

Berlin Serie "Am Späti": "Früher wollte ich alles außer Lehrerin werden"

Stand: 21.01.2025 17:03 Uhr

Die meisten Berliner wohnen außerhalb des Rings. Zwei rbb|24-Reporter sprechen dort Leute am Späti an und fragen, was sie umtreibt. Heute: eine Lehrerin in Elternzeit - über Bürokratie, Dauerstress und mangelnde Wertschätzung.

rbb|24 will mit den Gesprächsprotokollen, die "Am Späti" entstanden sind, Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben die Meinungen der Gesprächspartner wieder.

Ich habe dieses Jahr mein zweites Kind bekommen, deswegen war es schon auch ein positives Jahr für mich. Gesamtpolitisch war es eher durchwachsen. Ich denke daran, dass Trump wiedergewählt wurde. Auch, wenn ich damit gerechnet hab, trifft es einen ja doch. Der Zerfall der Koalition und die Sorge darüber, in welche Richtung sich die Regierung jetzt weiterentwickelt - das ist schon ein Thema.
 
Meine Highlights? Die Geburt meiner Tochter überstrahlt alles andere. Gerade nach der ersten Geburt hatte ich ein bisschen Schiss, weil die ganz schön schwierig war. Jetzt war es ein sehr versöhnliches Erlebnis - eine Traumgeburt, kann man so sagen. Sofern eine Geburt gut sein kann, das muss man also noch in Anführungszeichen setzen. Ich habe trotz der Schwangerschaft noch relativ lange arbeiten können. Ich war ganz happy drüber, dass ich meine Kurse und Klassen geordnet übergeben konnte.
 
Sie lacht oft und lächelt freundlich. Im Gespräch ist sie sehr zugewandt. Den Kinderwagen hat sie ein paar Meter entfernt abgestellt und schaut immer wieder zufrieden hinüber.
 
Eigentlich wollte ich immer drei Kinder haben. Wahrscheinlich, weil ich selber so groß geworden bin. Ich habe zwei Geschwister, ich bin die Große und fand das immer toll. Ich habe mir das immer gewünscht, aber dachte, dass ich viel früher damit anfange. Dann haben wir meinen Sohn mit 29 bekommen. Nach der Geburt brauchte ich erstmal Zeit, sowohl für mein Kind als auch für mich. Aber ich fand es dann doch wichtig für ihn, noch ein Geschwisterchen zu haben. Ich finde, das macht viel mit einem Menschen, Geschwister zu haben. Auch aus egoistischen Gründen. Babys sind süß und ich wollte noch eins.

Sie lacht wieder laut.
 
Früher wollte ich alles außer Lehrerin werden. Ärztin oder in den medizinischen Bereich. Auf meinem Abizeugnis war alles Naturwissenschaftliche nicht so gut, alles andere ziemlich OK. Dann habe ich gedacht, Lehramt könnte passen - ich mache was mit Menschen und kann meiner Leidenschaft Sprachen nachgehen.
 
Im Studium habe ich dann gedacht, um Gottes willen, ich werde auf keinen Fall Lehrerin, ich mach nur das Referendariat und dann was anderes. Dann bin ich aber an meiner jetzigen Schule gelandet und habe gedacht, "da bleibe ich auf jeden Fall für immer" - also "für immer", mal gucken - sag niemals nie. Das Kollegium ist toll und auch die Schülerschaft. Da habe ich gesagt, ich bleibe.

Wir kommen schnell auch auf die Kehrseiten zu sprechen, vor ein paar Tagen hat eine neue Studie die große Arbeitsbelastung von Berliner Lehrkräften dargelegt.
 
Gerade die mangelnde Wertschätzung in der Gesellschaft ist nach wie vor frustrierend für die Arbeit, die man sich macht. Ab Betreten der Schule bist du die ganze Zeit unter Dauerstress. Man hat eigentlich keine reale Pause. Ich war froh, wenn ich es zwischendurch auf Toilette geschafft habe. Gegessen habe ich nebenbei. Klar, man kann sich ins Lehrerzimmer zurückziehen, aber da bespricht man dann ganz viele Sachen mit dem Team. Es war schon extrem reizüberflutend - für die Kinder, aber auch für die Erwachsenen. Nach der Schule habe ich meinen Kleinen aus der Kita geholt, das Programm gemacht und mich abends an den Schreibtisch gesetzt und weitergemacht und auch am Wochenende gearbeitet.
 
Ich hatte den Vorteil, dass ich eigentlich nur 70 Prozent arbeite. Vom Stundenaufkommen ist es aber auf jeden Fall Vollzeit. Selbst mit den vielen, vielen Ferien - aber die braucht man auch echt, gerade die Sommerferien. Da kämpfst du dich hin, bist froh, es geschafft zu haben und fällst dann in ein Loch und wirst gerne auch erstmal krank.

Was helfen würde?
 
Man muss eher multiprofessionell arbeiten. Es kann nicht sein, dass ich in der wenigen Zeit, die ich habe, noch versuche, den Drucker zum Laufen zu bringen. Oder dass ich meinen persönlichen Hotspot hergebe, wenn das Internet ausfällt , damit ich irgendwie Unterricht machen kann – die Digitalisierung muss weiter vorangetrieben werden.
 
Auch die Bürokratie müsste abgebaut werden – nicht in dem Sinne, dass mehr Macht an eine Stelle gegeben werden soll, sondern dass einfach Vorgänge manchmal zu lange dauern, die man sicher automatisieren könnte.
 
Eine Klassenfahrt zu planen und durchzuführen ist schon der Horror schlechthin. Aber sich dann noch hinzusetzen und diese scheiß Abrechnung zu machen, ist halt wirklich frustrierend. Wenn man dann sowas wie vor ein paar Wochen von der Senatsverwaltung hört, dass Klassenfahrten jetzt erstmal nicht mehr genehmigt werden, außer die Leher:innen sind bereit, es selbst zu bezahlen – dann fühlt man sich halt richtig, richtig doll verarscht.

Manchmal habe ich Berlin über, gerade wenn ich jetzt zum Spazieren gehe. Mit meinem Großen konnte ich immer im Humboldthain spazieren gehen, da hat man wenigstens ein bisschen grün und Wald und frische Luft fürs Kind. Manchmal frustriert es mich, dass ich jetzt bis zum Weißen See latschen muss, bis ich ein bisschen grün habe für die Kleine.
 
Als sie "die Kleine" sagt, schaut sie rüber zum Kinderwagen, in dem ihre Tochter schläft.
 
Trotzdem zieht es mich überhaupt nicht aufs Land. Dörfliches Leben ist überhaupt nichts, was mich reizt. Ich weiß auch nicht warum. Ich bin hier geboren und würde gerne hier bleiben. Ich stelle mir das eigentlich für meine Kinder auch ganz cool vor. Es gibt ja so viele Möglichkeiten. Das geht ja schon beim Baby los, ich kann zum Babyschwimmen oder zur Massage. Für den Großen genauso – der kann zum Schwimmen gehen und zur Musikschule. Nicht, dass ich sie überfrachten will, aber eben Angebote schaffen.
 
Ich mache bis Sommer Elternzeit, bin quasi ein Jahr raus und dann geht das neue Schuljahr los - wahrscheinlich mit mir. Ich bin gerade am überlegen, ob es für die Kleine nicht noch zu früh wird, nach einem Jahr schon in die Kita. Das würde ich ein bisschen von ihr abhängig machen. Ich denke viel nach, wie ich es mit den Stunden mache – eine 70-Prozent-Stelle mit zwei Kindern ist eigentlich nicht zu schaffen. Es sind ja eigentlich nur 18 Unterrichtsstunden, aber ich habe dann noch einen Grundkurs und eine Klassenleitung, was unendlich viel Nerven und Arbeit frisst. Ich weiß noch nicht, wie ich es mache.

Ich will aber eigentlich auch nicht mit Stunden runtergehen.
 
Sie macht eine kämpferische Pose mit den Fäusten.
 
Ich bin etwas feministisch unterwegs und möchte mich eigentlich nicht so abhängig machen von meinem Partner. Ich würde sagen, wir machen das ganz gut. Man ist schon immer noch in den traditionellen Rollen.
 
Sie deutet mit einer Hand in die Richtung hinter ihr und lacht.
 
Jetzt würde mein Partner schimpfen mit mir. Er gibt sich wirklich viel, viel Mühe. Aber wir sind nun mal so sozialisiert. Da können wir uns auch beide an die Nase fassen. Ich übernehme schon etwas mehr, was die Kommunikation mit anderen Eltern angeht oder die Klassiker: Geschenke für den Kindergeburtstag einkaufen, Adventskalender vorbereiten.
 
Das liegt aber auch zu großen Teilen daran, dass er einfach mehr arbeitet. Außerdem studiert er parallel jetzt noch berufsbegleitend. Er macht trotzdem extrem viel und guckt, dass ich nicht zu kurz komme und dass er mir die Kinder abnimmt – eins oder beide. Das klappt schon ganz gut, ist aber sicher noch ausbaufähig.

Das Gespräch führte Jonas Wintermantel, rbb|24