Symbolbild: Der Sonnenaufgang zeichnet sich ab hinter der Stadtsilhouette mit dem Fernsehturm in Berlin, 04.09.2024. (Quelle: imago/Florian Gaertner)

Berlin Berlin startet ohne Hitze-Aktionsplan in die heiße Jahreszeit

Stand: 02.06.2025 20:29 Uhr

Meteorologisch betrachtet hat der Sommer in Berlin am 1. Juni bereits begonnen. Wer sich vom Senat nun einen eigenen Hitze-Aktionsplan gewünscht hat, wird enttäuscht: Das Versprochene Konzept liegt immer noch nicht vor. Von Sebastian Schöbel

Es mag angesichts der aktuell sehr erträglichen Temperaturen alarmistisch klingen, wenn Gesundheitssenatorin Ina Czyborra (SPD) warnt: "Auch in diesem Sommer erwarten wir wieder Temperaturen über 40 Grad.“ Doch gerade Ende letzter Woche erst hatte der Deutsche Wetterdienst (DWD) berichtet: Schon das Frühjahr in Berlin sei rekordverdächtig warm gewesen. Der April etwa habe phasenweise "neue Maßstäbe für die Jahreszeit" gesetzt. In Marzahn sei das Thermometer auf 27,4 Grad geklettert, und das Niederschlagsdefizit habe einen "extremen Tiefstwert" erreicht. "Die Sonne näherte sich mit 700 Stunden den klimatologischen Höchstständen", so der DWD.

Schild Ich habe Durst haengt an einem Berliner Stadtbaum.  (Quelle: imago images)
"Gerade simulieren wir oft noch eine Normalität, die gar nicht haltbar ist"
Klimawandel und Hitzewellen sind längst Realität – und doch werden sie oft unterschätzt. Leonie Reuter von der Freien Universität Berlin forscht zum zivilen Hitzeschutz. Sie sagt, es kranke vor allem an struktureller Unterfinanzierung.mehr

Pro Bezirk 100.000 Euro vom Senat für Hitzschutzmaßnahmen

Umso passender, dass am Sonntag in Berlin die Hitzeschutz-Maßnahmen begonnen haben: Pro Bezirk hat der Senat 100.000 Euro bereitgestellt, um vor allem denen zu helfen, die besonders gefährdet sind, wie Senioren oder Obdachlose. Das Geld soll beispielsweise fließen in schattenspendende Schirme und Planen, Wasserspender und Ventilatoren - oder Hitze-Hotlines für ältere Menschen. Vor allem aber kühle Schutzräume. Im gesamten Stadtgebiet gibt es sieben davon, die zwischen 1. Juni und 31. August tagsüber geöffnet haben.

Erster Schutzraum eröffnete 2022 in Schöneberg

Der erste Schutzraum dieser Art war die Hitzehilfe in Schöneberg: 2022 öffnete sie unweit des U-Bahnhofes Kurfürstenstraße, in einem ungenutzten Flachbau des Bezirks. Viel Erfahrung habe man nicht gehabt, sagt Janette Werner vom Betreiber, dem Internationalen Bund Berlin-Brandenburg (IB). "Wir haben dann einfach gesagt: Kommt rein, es ist genug Platz." Doch der Ansturm überwältigte die Helfer recht schnell. "Wir hatten durchschnittlich 60 Personen hier, und das führte dann auch zu Eskalationen." Denn die "Gäste", wie man sie hier nennt, kommen aus sehr unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen. Vor allem Obdachlose, unter ihnen viele aus Osteuropa, von denen nicht wenige mit Drogenproblemen oder psychischen Erkrankungen kämpfen, aber auch Prostituierte kämen. Mit dabei seien auch ältere Menschen aus der Umgebung, die allein sind und Hilfe benötigen.

Symbolbild: Ausgetrockneter Rasen-Fußballplatz in der Sommerhitze. (Quelle: imago images/Hardt)
Der Klimawandel wird zum Gesundheitsrisiko für Hobbysportler
"Klimawandel" klingt für einige noch nach einer abstrakten Gefahr, doch im Breitensport zeigt er sich längst konkret. Athleten wird bereits geraten, Vorsorge zu treffen. Immerhin gibt es da genug Möglichkeiten. Von Shea Westhoffmehr

Ärzetkammer-Chef Bobbert: Nicht genug Anlaufplätze in Berlin

Finanziert wird das Projekt mit Geldern des Landes Berlin, der Europäischen Union und mit Spenden. Im Winter werden die Räume auch für die Kältehilfe genutzt. Es gibt 30 Schlafmöglichkeiten, eine Dusche, zwei Toiletten und einen kleinen Waschraum für Kleidung. Drei hauptamtliche Mitarbeitende bereiten täglich ein Frühstück und eine warme Mahlzeit zu. Ganztägig gibt es kalte und warme Getränke, geöffnet ist im Sommer zwischen 10 und 20. Insgesamt 3.112 Menschen kamen 2024 zwischen Juni und August.
 
"Wenn wir aber wissen, dass mehrere tausend Menschen obdachlos auf den Straßen Berlins Tag für Tag leben, dann wissen wir, wir haben noch nicht genug Anlaufpunkte in der Stadt", sagt der Präsident der Ärztekammer Berlin, Peter Bobbert, und fügt hinzu: "Hitze tötet". Gefährdet seien nicht nur Obdachlose, sondern Senioren, Kinder, Schwangere und Menschen mit Vorerkrankungen. "Es wird unterschätzt, wie viele Menschen schon heute in Folge von Hitzewellen sterben", so Bobbert, "auch hier in Berlin."

52 Menschen 2024 in Berlin an Folgen von Hitze gestorben

52 Menschen sind laut Angaben des Statistikamts Berlin-Brandenburg im vergangenen Jahr in Berlin an den Folgen von Hitze gestorben, in Brandenburg waren es sogar doppelt so viele. Deutschlandweit wurden 2023 und 2024 laut Robert-Koch-Institut insgesamt fast 6.000 Hitzetote gezählt. Die genaue Zahl sei schwer zu ermitteln, sagt Czyborra: Hitzetote schaffen es selten in die Schlagzeilen. "Aber die Statistik zeigt: Die Zahl der Hitzetoten übersteigt inzwischen die Zahl der Verkehrstoten."

Ein älterer Mann gießt sich bei Sommerhitze Wasser auf den Kopf. (Quelle: dpa)
Zahl der Hitzetoten lag 2024 deutlich über Durchschnittswert
mehr

Hitzeaktonsplan immer noch nicht fertig

Im Mai 2024 hatte der schwarz-rote Senat angekündigt, einen Hitze-Aktionsplan für Berlin erarbeiten zu wollen. In diesem Jahr soll er beschlossen werden. Grüne und Linke warfen CDU und SPD schon damals vor, zu langsam zu handeln. Nun, ein Jahr später, ist der Plan noch immer nicht fertig. "Das ist ein Riesenvorhaben", so Czyborra, mehrere Senatsverwaltungen seien involviert. "Vor der Sommerpause werden wir es nicht mehr schaffen." Im Herbst aber könne der Aktionsplan, der Hitzeschutz-Vorgaben für ganz Berlin definieren soll, beschlossen werden – zumindest auf Senatsebene. Danach aber muss das Papier noch ins Abgeordnetenhaus. Und danach, so Czyborra, werde der große Plan in zwölf Bezirkspläne umgesetzt werden müssen - was wohl nochmal dauern dürfte.

Derweil spart Berlin an allen Ecken und Enden. Die Hitzehilfe in Schöneberg zum Beispiel ist in diesem Jahr ausfinanziert. Für die Zukunft will oder kann Czyborra aber keine Zusage geben, die Haushaltsverhandlungen sind noch nicht abgeschlossen. Ärztekammer-Präsident Bobbert aber mahnt schon heute: Hitzeschutz sei nicht zum Gratistarif zu bekommen. "Wir als Gesellschaft müssen auch bereit sein, dafür Geld auszugeben."

Sendung: