Archivbild: Kurt-Schumacher-Haus, Müllerstraße, Berlin Wedding. (Quelle: imago images/Schoening)

Berlin "Weckruf": Sieben Ex-Senatoren fordern Neuanfang in der Berliner SPD

Stand: 03.06.2025 21:12 Uhr

Mehrere frühere Spitzenpolitiker der Berliner SPD fordern eine Neuausrichtung der Partei. In einem gemeinsamen "Weckruf" heißt es, die Politik sei oft lebensfern, voller Tabus und zu sehr von der "arbeitenden Mitte entfernt".

Mehr als 50 zum Teil prominente Mitglieder der Berliner SPD haben in einem gemeinsamen Aufruf einen Kurswechsel und eine andere personelle Aufstellung der Partei gefordert. "Die Berliner SPD erneuern, bevor es zu spät ist", heißt es in dem dreiseitigen Appell, den unter anderem der ehemalige Bildungssenator Jürgen Zöllner, der langjährige Innensenator Ehrhart Körting, Ex-Justizsenatorin Gisela von der Aue und der ehemalige Regierende Bürgermeister Michael Müller unterzeichnet haben.
 
In der als "Weckruf" bezeichneten Erklärung bescheinigen sie ihrer Partei einen "strukturellen Vertrauensverlust". Die Berliner SPD setze zu häufig auf Themen, die an der "Lebenswirklichkeit und den Alltagserfahrungen der Berlinerinnen und Berliner vorbeigehen". Die SPD habe sich dabei zu sehr von der "arbeitenden Mitte entfernt", so der Kernvorwurf.
 
Zu den Unterzeichnern zählen auch der langjährige Präsident der Handwerkskammer und ehemalige Wirtschaftssenator Stephan Schwarz, der frühere Landesvorsitzende und Stadtentwicklungssenator Peter Strieder sowie Ex-Bausenator Wolfgang Nagel und Ex-Bildungssenatorin Astrid Sabine Busse. Ebenfalls unterschrieben haben mehrere pensionierte Staatssekretäre, der ehemalige Wehrbeauftragte Reinhold Robbe und der frühere SPD-Generalsekretär Klaus-Uwe Benneter.

Neubauten, Lauterplatz, Neubaugebiet Friedenauer Höhe, Friedenau (Quelle: dpa/Joko)
SPD will mehr Sozialwohnungen und weniger möbliertes Wohnen
mehr

Kritik an Begrifflichkeiten und "Tabuisierung"

Ex-Justizsenatorin Gisela von der Aue kritisiert, dass in der SPD viele Themen "tabuisiert" würden. Jürgen Zöllner, der von 2006 bis 2011 für Bildung und Wissenschaft im Senat zuständig war, fordert, Clan-Kriminalität als solche zu benennen und anstatt über Begrifflichkeiten zu streiten, nach Lösungen zu suchen.
 
Hart ins Gericht geht Zöller auch mit den Auswahlkriterien für Spitzenpersonal in der Berliner SPD. Wenn nur einer von vier Bundestagskandidaten vor seinem Einstieg in die Politik länger in einem Beruf gearbeitet habe, müssen man sich nicht wundern, wenn die Glaubwürdigkeit bei der arbeitenden Bevölkerung auf der Strecke bleibe. Gisela von der Aue sieht auch den Umgang miteinander als Problem. Als Beispiel führt sie an, wie der langjährige Landesvorsitzende und ehemalige Regierende Bürgermeister Michael Müller bei der jüngsten Listenaufstellung für die Bundestagswahl von einer linken Parteitagsmehrheit ausgebootet wurde.

Martin Hikel, SPD Berlin Vorsitzender, und Nicola Böcker-Giannini, SPD Berlin Vorsitzende, sprechen auf dem Parteitag der SPD Berlin in Berlin-Mitte (Quelle: dpa/Fabian Sommer).
Berliner und Brandenburger SPD begrüßen Zustimmung zum Koalitionsvertrag
Die Berliner und Brandenburger SPD-Spitzen begrüßen das klare Ja der Parteibasis zur schwarz-roten Koalition. Die Berliner Parteispitze mahnt Reformen an, Brandenburg Ministerpräsident Woidke fordert eine schnelle Regierungsbildung.mehr

Unzufriedenheit mit Vorsitzenden Böcker-Giannini und Hikel

Von einer "impliziten Unzufriedenheit" spricht Zöllner mit Blick auf die Landesvorsitzenden Nicola Böcker-Giannini und Martin Hikel. "Sonst müsste man einen solchen Aufruf ja nicht machen", so der ehemalige Senator. Damit werfen die Unterzeichner anderthalb Jahre vor der nächsten Abgeordnetenhauswahl auch die Frage auf, wer die SPD als Spitzenkandidat anführen soll, auch wenn Tempelhof-Schönebergs Gesundheitsstadtrat Oliver Schworck einschränkt, man sehe sich nicht in der "Rolle der Königsmacher".
 
Zuletzt hatten weder Hikel und Böcker-Giannini Ambitionen auf eine Spitzenkandidatur erkennen lassen, obwohl sie als Landesvorsitzende quasi ein Zugriffsrecht hätten. Dafür läuft sich erkennbar SPD-Fraktionschef Raed Saleh warm. Auch Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey hält sich alle Optionen offen. Gegen beide gibt es aber auch große Vorbehalte in der Partei. Noch unklar ist, ob die SPD in dieser Frage erneut ihre Mitglieder befragen wird oder die Entscheidung im Landesvorstand fällt.

Illustration: Geplante Hochhäuser im Gleisdreck Park. ( Quelle: O&O Baukunst)
Senat zieht Hochhausprojekt am Gleisdreieckpark an sich
Seit Jahren plant ein Investor den Bau von sieben Hochhäusern mit Büros am Berliner Gleisdreieckpark. Anwohner und der Bezirk kitisieren, dass darin keine Wohnungen enthalten sind.mehr

Schulterschluss mit privaten Investoren beim Wohnungsbau

Mit ihrem Aufruf zur Erneuerung der SPD wollen die Unterzeichner nach eigener Aussage in zahlreichen Politikfeldern neue Debatten anstoßen beziehungsweise Positionen der Partei verändern. Deutlich auf Distanz gehen sie zu Forderungen nach der Enteignung großer Wohnungskonzerne. Dafür hatte sich in einem Volksentscheid die Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner ausgesprochen. Um mehr günstigen Wohnraum zu schaffen, fordern die früheren Senatoren und Senatorinnen stattdessen den Schulterschluss mit privaten Unternehmen.
 
Als weitere Probleme, die die SPD ernster nehmen müssen, sehen die Initiatoren die Zunahme von Drogen- und Gewaltkriminalität, die wirtschaftliche Lage und die Sorge und Arbeitsplätze. Nicht "kleinreden" dürfe die SPD Themen wie irreguläre Migration und die Verwahrlosung des öffentlichen Raums, heißt es auch.

Landesvorsitzende mit Entwicklung zufrieden

"Wir freuen uns, dass es in der SPD Berlin den vielfältigen Wunsch nach Erneuerung gibt", teilte Nicola Böcker-Giannini am Dienstag in einer ersten Reaktion mit - und verwies auf ihrer Ansicht nach bereits laufende Veränderungen. "Als Landesvorsitzende erneuern wird die SPD Berlin seit 2024 kontiniuierlich", so Böcker-Giannini. "Mit unserer Parteireform haben wir organisatorisch neue Strukturen geschaffen, mit unserem Zukunftsprozess Berlin 2035 stellen uns inhaltlich unter breiter Einbindung von Partei und Zivilgesellschaft neu auf."

Auch Co-Parteichef Martin Hikel verwies auf die Zukunft: "Als Ergebnis stellen wir im September 2025 unser Zukunftsprogramm mit Zielbildern für Berlin 2035 vor. Wir laden alle dabei ein, sich aktiv zu engagieren. Damit erneuern wir die Berliner Sozialdemokratie gemeinsam, um 2026 wieder erfolgreich bei der AGH-Wahl zu sein."

Sendung: