Blick auf die Babyklappe (Quelle: dpa/Uli Deck)

Berlin Zwei Wege in der Not: Babyklappe oder vertrauliche Geburt?

Stand: 08.04.2025 06:06 Uhr

Seit 25 Jahren retten Babyklappen in Berlin Neugeborenen das Leben. Aber wie sinnvoll ist das Konzept noch? Das Krankenhaus Waldfriede war einst Vorreiter - nun hat es seine Babyklappe abgeschafft. Denn es gibt auch Alternativen. Von Anja Herr und Charlotte Gerling

  • In Berlin können Mütter seit 2000 anonym ihren Säugling in einer Babyklappe abgeben, in Brandenburg seit 2003
  • Parallel gibt es für Frauen in Not seit 2014 die Möglichkeit der vertraulichen Geburt
  • Die vertrauliche Geburt bietet eine sichere, medizinisch begleitete und rechtlich geregelte Alternative zur anonymen Kindesabgabe
  • Viele Mediziner plädieren für ein paralleles Bestehen beider Angebote, um möglichst vielen Frauen in Ausnahmesituationen helfen zu können.
Klemens Raile, Chefarzt der Kinderklinik Neukölln (Quelle: rbb)

Chefarzt Klemens Raile von der Kinderklinik Berlin-Neukölln

"Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht", sagt Bernd Quoß vom Krankenhaus Waldfriede am Telefon. Macht eine lange Pause. Und sagt dann, dass es keineswegs an den Finanzen gelegen habe, dass sie im März die Babyklappe abgeschafft hätten. Aber sie sei nicht mehr zeitgemäß.
 
Am 8. April 2000 hatte der Hamburger Verein Sternipark die erste Babyklappe in Deutschland eröffnet - ein Wärmebettchen, in das Mütter, die verzweifelt sind und anonym bleiben wollen, ihr ungewolltes Baby hineinlegen können. Den Ausschlag gab unter anderem der Fund von drei getöteten Neugeborenen im Hamburg 1999. Einige Monate später war das Krankenhaus Waldfriede ein Berlin-Zehlendorf dann die erste Klinik deutschlandweit, die eine Babyklappe anbot.

Mittlerweile aber gebe es bessere Möglichkeiten, die sicherer seien für Mutter und Kind, sagt Quoß. Und: In den letzten zehn Jahren sei kein einziges Baby im Krankenhaus Waldfriede abgelegt worden. Deshalb habe man – in Abstimmung mit Seelsorgern und Klinikpersonal – entschieden, die Babyklappe nicht mehr anzubieten.

Babyklappe ausgestattet mit Mützchen, Decke und Windel

In Babyklappen anderer Kliniken in Berlin wurden hingegen in den vergangenen Jahren Säuglinge abgelegt. Etwa im Vivantes Klinikum Neukölln. "Nur im Notfall öffnen!", steht auf dem weißen Kasten, der in einer kleinen Mauer im Eingangsbereich des Mutter-Kind-Zentrums im Juchaczweg zu finden ist. Nicht besonders auffällig, aber im Notfall lebensrettend.
 
Ein rosa Mützchen liegt in dem beheizten klitzekleinen Raum, auch eine Decke und eine Windel. Sobald die Klappe geschlossen wird, geht ein lautes Signal an die nicht weit entfernte Rettungsstation, dort sieht das Personal per Video den Säugling und kann ihn sofort in die Klinik holen.

Grafik Babyklappen Berlin und Brandenburg (Quelle: rbb/OpenStreetMap)

Vier Berliner Kliniken bieten Babyklappen an

112 gerettete Babys in Berlin

Klemens Raile, Chefarzt der Kinderklinik Neukölln, bezeichnet die Babyklappe als "letzten Ausweg" für Mütter, die unter Druck in sozialer Not ihr Baby geboren haben, und es sicher ablegen wollen. Es sei die "Ultima Ratio", um das Kindeswohl bestmöglich zu sichern.
 
Auf diese Weise wurden in Berlin seit Einführung der Babyklappe im Jahr 2000 insgesamt 112 Babys gerettet. So oft wurde die Babyklappe nach Auskunft der Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege an den noch fünf Klinik-Standorten in Neukölln, Kaulsdorf, Tempelhof, Spandau und - bis März 2025 - im Waldfriede in Zehlendorf genutzt.

Der Säugling wird zunächst in der Klinik untersucht und versorgt. Meist findet sich nach wenigen Tagen eine Pflegefamilie, in der das Kind bleibt, bis ein Adoptionsplatz gefunden ist. Die leibliche Mutter kann ihre Entscheidung innerhalb von zwei Monaten ändern und das Baby wiederbekommen.

Vertrauliche Geburt als Alternative zur Babyklappe

Chefarzt Raile ist dafür, die Babyklappe beizubehalten – hofft aber, dass sie seltener zum Einsatz kommen muss. Denn seit 2014 gibt es gesetzlich die Möglichkeit einer "vertraulichen Geburt". Das bedeutet: Die Frauen lassen sich von einer Organisation wie pro familia oder dem katholischen Sozialdienst Lydia beraten, hinterlassen dort ihre Kontaktdaten und erhalten ein Pseudonym. Mit diesem Pseudonym wenden sie sich an eine Klinik und gebären dort ihr Baby - in Sicherheit, unter medizinischer Aufsicht.
 
Sobald das Kind 16 Jahre alt ist, hat es die Möglichkeit, seine Herkunft zu erfragen: beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben. Dorthin sendet die Organisation die Infos über die Mutter und Geburtsangaben des Kindes, dort sind sie sicher aufbewahrt. Die Kosten für eine vertrauliche Geburt trägt der Bund. In Berlin haben in den vergangenen zehn Jahren 40 solche Geburten stattgefunden.

Symbolbild: Hebamme versorgen einen Säugling im Kreißsaal(Quelle: dpa/Sina Schuldt)
"Es sind in der Regel Mütter, die aus prekären Lebensverhältnissen stammen"
Seit zehn Jahren ermöglicht die vertrauliche Geburt Müttern, unter Pseudonym zu entbinden und das Kind zur Adoption freizugeben. Mit 16 können diese ihre Herkunft erfahren. Ein Berliner Seelsorger erzählt, warum manche Frauen sich so entscheiden.mehr

Warum geben Frauen ihre Kinder ab?

Auch am Vivantes Klinikum Neukölln kommen vertrauliche Geburten gelegentlich vor, Gynäkologin Babett Ramsauer hat einige davon als Ärztin begleitet. Die Frauen konnten sich um ihre Säuglinge aus den unterschiedlichsten Gründen nicht kümmern: "Manchmal darf es die Familie nicht wissen, da spielen zum Teil auch religiöse Gründe mit rein. Oder es gibt finanzielle Gründe." Sie ist froh, den Frauen und den Kindern Sicherheit bei der Geburt zu bieten, "damit sie nicht zuhause ihr Baby kriegen, ohne medizinische Versorgung für beide". Viele plage ein schlechtes Gewissen, wenn sie nach der Geburt ohne ihr Baby nach Hause gehen. "Mit dem Wissen, was es für eine Frau bedeutet, ihr Kind abzugeben, ist man ganz nah bei ihnen."

Gynäkologin Ramsauer: "Würde Babyklappe immer erhalten"

Aus Sicht von Bernd Quoß, Chef des Krankenhauses Waldfriede, ist die vertrauliche Geburt im Vergleich zur Babyklappe eindeutig die bessere Wahl. "Der Wert der vertraulichen Geburt ist sowohl für das Kind als auch für die Mutter höher anzusiedeln als der Fortbestand einer Babyklappe", sagt Quoß.

Gynäkologin Babett Ramsauer hält die vertrauliche Geburt ebenfalls für die bessere Lösung, glaubt aber, es brauche weiterhin beide Angebote. Natürlich sei es ein gewisser Aufwand, die Babyklappe zu bestücken, dafür zu sorgen, dass es da warm ist, dass sie vor Vandalismus geschützt ist – obwohl sie möglicherweise nur sehr selten genutzt wird. Aber: Sie könne niedrigschwellig verhindern, dass Säuglinge in einen Mülleimer oder auf die Straße gelegt werden. Deshalb sagt sie: "Ich würde die Babyklappe immer erhalten."

Symbolbild: Blick in die Babyklappe eines Gesundheitszentrums. (Quelle: dpa/J. Woitas)
Brandenburg hat wieder eine Babyklappe
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St. Josefs Krankenhaus ist das einzige in Brandenburg mit Babyklappe

Dieser Ansicht ist man auch am St. Josefs Krankenhaus in Potsdam. Hier wurde 2003 die einzige Babyklappe in Brandenburg eröffnet. Zwölf Neugeborene wurden über die Jahre hineingelegt. Zwischenzeitlich war die Klappe etwa fünf Jahre aufgrund von Sanierungsarbeiten geschlossen, vor gut eineinhalb Jahren wurde sie wieder eröffnet. Seitdem wurde sie nicht mehr genutzt. Fortbestehen soll sie trotzdem. "Wir als konfessionelles Haus fühlen uns wie alle Krankenhäuser verpflichtet, Leben zu schützen, und das ist ein weiteres Angebot", sagt Siegfried Schlag, Chefarzt der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe.

"Die Babyklappe kann in emotionalen Notfallsituationen ein Rettungsanker sein"

Zwar gibt es auch am St. Josefs Krankenhaus Möglichkeit der vertraulichen Geburt. Die Anzahl der werdenden Mütter, die sie in Anspruch nehmen, liegt laut Krankenhaus hier jährlich im niedrigen einstelligen Bereich. In ganz Brandenburg gab es laut Ministerium für Gesundheit und Soziales von 2014 bis 2023 35 vertrauliche Geburten.
Doch die Babyklappe bleibt weiterhin wichtig. "Es gibt immer wieder Situationen, wo eine Schwangerschaft verdrängt wird, die Schwangere sich im Vorfeld nicht damit auseinandersetzen kann, ob sie das Baby behalten möchte oder nicht und dann zum Beispiel die vertrauliche Geburt nutzt", sagt Chefarzt Schlag. "Für solche Situationen ist die Babyklappe da - und kann dann in emotionalen Notfallsituationen ein Rettungsanker sein."

Sendung: rbb24 Abendschau, 08.04.2025, 19:30 Uhr