Symbolbild:Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr treten an zu einem Empfang.(Quelle:picture alliance/Photothek/J.Sonntag)

Brandenburg Berlin Autor Nymoen über Wehrdienst: "Wenn man mich an die Front zwingt, würde ich einfach nichts tun"

Stand: 19.04.2025 13:18 Uhr

In Deutschland wird über die Wiedereinführung der Wehrpflicht diskutiert. Der junge Autor Ole Nymoen schreibt, er würde im Kriegsfall eher fliehen oder sich festnehmen lassen, als sein Land mit der Waffe zu verteidigen. Im Interview erklärt er, warum.

rbb: Herr Nymoen, warum würden Sie niemals für Ihr Land kämpfen?
 
Ole Nymoen: Einerseits geht es darum, dass man nicht sterben oder verwundet werden möchte. Andererseits will ich aber auch nicht auf Leute schießen, die ich nicht kenne und mit denen ich bislang keinerlei Probleme hatte, friedlich nebeneinander zu leben. Der einzige Grund dafür, dass wir aufeinander schießen würden, ist ja, dass unsere Staaten uns dazu zwingen. Und das möchte ich nicht.

Was hat Sie dazu bewogen, über dieses Thema nachzudenken und zu schreiben?
 
Lange Zeit hat man sich als junger Mensch in Deutschland keine Gedanken über Krieg gemacht. Es war klar, dass kein Krieg in Deutschland drohen würde. Und nun, in den letzten Jahren, hat sich das verändert.
 
Ich habe vor allem die Berichterstattung über den Krieg in der Ukraine mitverfolgt. Ich war entsetzt darüber, mit welcher Euphorie Journalisten, die völlig unbeteiligt sind, wie am Spielfeldrand bei einem Fußballspiel standen und der einen Seite zugejubelt haben, obwohl es um etwas Bitterernstes geht, weil da jeden Tag mitunter tausende Menschen sterben und sich gegenseitig umbringen. Und das nicht, weil sie irgendwelche Probleme miteinander haben, sondern weil ihre Staaten verfeindet sind. Ich bin irgendwann zu dem Entschluss gekommen: Ich persönlich würde das nicht machen.

Spüren Sie persönlich eine Kriegsgefahr für Ihr Leben in Deutschland?
 
Nein, ich sehe gerade keine Kriegsgefahr, die sonderlich akut ist. Donald Trump kündigt ja heute dieses an und macht morgen jenes. Dass er wirklich demnächst alle seine Truppen aus Europa abzieht und ein über 80 Jahre gewachsenes Netzwerk amerikanischer Hegemonie auflöst, halte ich nicht für super realistisch. Aber wer weiß, was in zehn oder 20 Jahren ist.

Würden Sie als Bundeskanzler vor die deutsche Bevölkerung treten und sagen "Der Frieden in Deutschland ist sicher"?
 
Da ich nicht der Staat bin, sondern der, dessen Leben da notfalls auch geopfert wird, muss ich ganz ehrlich sagen, habe ich keine Lust, mir die Frage zu stellen. Denn ich weiß ja: Ich bin nicht der Kanzler. Ich bin der, der am Ende in den Schützengräben liegt.

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Sind Sie dafür, dass Deutschland eine Armee hat?
 
Ich bin klassischer Sozialist und Internationalist, der gern eine Welt ohne Staaten und ohne feindliche Armeen hätte. Aber es ist mir vollkommen klar, dass, solange es diese konkurrierenden Staaten gibt, all diese Staaten ihre jeweilige Armee brauchen, um das durchzusetzen, was sie als ihre Sicherheit definieren. Das ist nur oftmals auch eine ziemlich offensive Sache. Amerika hat seinen Way of Life in Vietnam und im Irak verteidigt. Deutschland hat die Freiheit am Hindukusch verteidigt. Putin behauptet, die Freiheit der russischsprachigen Ukrainer zu verteidigen. Alle sagen immer: 'Wir verteidigen uns nur, das ist alles nur defensiv.' Komischerweise sieht das ganz oft sehr offensiv aus.

Sie sagen, dass in Deutschland die Schere zwischen Arm und Reich immer größer wird und dass Sie für so ein unsolidarisches Land nicht in den Krieg ziehen wollen. Kann man Deutschland deswegen wirklich einem militärischen Angreifer überlassen?
 
Ich möchte nur darauf hinweisen, dass es komisch ist, dass dieselben Leute, die permanent gegen Flüchtlinge oder Bürgergeldempfänger und die Ärmsten der Gesellschaft hetzen, diejenigen sind, die im Kriegszustand vom Volk Geschlossenheit und Solidarität einfordern. Da stimmt offenkundig irgendwas an der Argumentation nicht.

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Ein zweites Argument, das Sie bringen: Sie möchten nicht für Ihr Land kämpfen, weil Ihnen Ihr eigenes Leben wichtiger ist als das Überleben der Nation der sie angehören. Wie ist das zu verstehen?
 
Mit einer anderen Staatsmacht kann man sich gegebenenfalls noch arrangieren, mit dem Tod nicht. Der verhandelt nicht.

Verstehen Sie, dass Leute Ihnen Zynismus oder Egoismus vorwerfen?
 
Egoismus finde ich als Vorwurf lustig, weil Egoismus das Prinzip ist, auf dem diese Gesellschaft sonst in ihrem zivilen Alltag basiert. Abgesehen davon: Ja klar, ich profitiere von der Freiheit, die es gibt. Wäre mir diese Freiheit mein Leben wert? Nein.

Was würden Sie tun, wenn Sie als 27 Jahre alter Ukrainer dazu aufgerufen wären, Ihr Land zu verteidigen?
 
Ich würde versuchen zu fliehen. Und wenn der Staat mich nicht lässt, würde ich mich vor den Einberufungsbehörden verstecken. Es passiert ja hunderttausendfach, dass sich die Männer in ihren Wohnungen verschanzen, sich gegenseitig in Chatgruppen warnen, wenn irgendwo die Einberufungsbehörden auftauchen, weil die sonst auf offener Straße die Leute entführen. Ich würde einfach schauen, ob ich es irgendwie schaffe, diesen Krieg zu überstehen, bis er vorbei ist.

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Wenn man Sie nun aber schnappt und an die Front schickt, würden Sie desertieren oder überlaufen?
 
Wenn man mich an die Front zwingt und bis in den Schützengraben schleift, würde ich einfach nichts tun. Das würde wahrscheinlich dazu führen, dass man mich verprügelt und wenn sie dann merken, der will immer noch nicht, dann würde ich wahrscheinlich ein paar Jahre in den Knast wandern. Das wäre mir immer noch lieber, als im Schützengraben zu sein.

Sie würden sich also den Grundsatz zu eigen machen, dass es keine Pflicht zum Widerstand gibt?
 
In dem Moment, in dem der eigene Staat angegriffen wird, ist dieser für einen genauso gefährlich wie der feindliche. Ob ich sage, ich würde lieber kapitulieren oder nicht, interessiert meinen Staat herzlich wenig. Der zwingt mich in den Krieg. Und wenn er mich nicht in den Krieg zwingt, zwingt er mich immer noch dazu, in einem Land zu bleiben, wo man permanentem Bombenhagel und sonstigem Beschuss ausgesetzt ist.

Bei Hitlers Krieg im Osten, Polen und Sowjetunion, ging es nicht nur um die Eroberung fremder Staaten, es ging um einen Vernichtungskrieg. Die "slawischen Untermenschen" sollten ausgerottet werden. Würden Sie gegen einen solchen Angreifer kämpfen?
 
Meine Argumentation gilt natürlich nur für konventionelle Eroberungskriege. Im Falle eines Vernichtungskrieges fällt das Überleben des Individuums mit dem Überleben der Staatsmacht in eins. In einem solchen Fall ist es alternativlos, sich dagegen zu wehren.
 
Im zivilen Leben würde ich mich gegen jede Gewalt zur Wehr setzen, die sich gegen mich oder meine Nächsten richtet. Nur bin ich nicht bereit, für das Überleben eines Staates zu kämpfen, sollte dieser angegriffen werden und mich dazu zwingen, ihn zu verteidigen.

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Ist da auch eine gewisse Hilflosigkeit, die aus Ihren Antworten spricht?
 
Auf jeden Fall. Als normaler Bürger ist man den ganzen Staaten, die auf dieser Welt konkurrieren und sich bekriegen, hilflos ausgeliefert, den feindlichen wie den eigenen. Und dementsprechend habe ich auch keinen Lösungsansatz, außer vielleicht die Vision einer staatenfreien Welt, in der die Leute aufhören, sich mit Begriffen wie Nation, Staat oder Volk zu identifizieren.

Vielen Dank für das Gespräch.
 
Das Interview mit Ole Nymoen führte Ulf Kalkreuth für rbbKultur - das Magazin. Hier handelt es sich um eine redaktionell bearbeitete Version des Gesprächs.
 
Sendung: rbbKultur – das Magazin, 12.04.2025, 18:30 Uhr
 
 
 
Anmerkung der Redaktion: Durch einen redaktionellen Fehler war das Interview zeitweise in einer nicht finalen Fassung online; wir haben den Beitrag inzwischen aktualisiert.