
Brandenburg Berlin Interview | Verhaltensökonom über das Auf und Ab an der Börse
Das Hin und Her von Donald Trump bei den Zöllen sorgt auch für ein Hin und Her an den Börsen - und für Schweißperlen auf der Stirn so mancher Anleger. Wozu Verhaltensökonom Hartmut Walz rät.
rbb|24: Wie hat das Auf und Ab der Börse in den vergangenen Tagen auf Sie gewirkt?
Hartmut Walz: Ich bin völlig entspannt - und das vielleicht weniger, weil ich jetzt so super gescheit wäre, sondern einfach, weil ich das schon oft miterlebt habe. Ich habe nach dem Abitur direkt eine Banklehre gemacht und kenne dieses Geschäft, kenne die Finanzmärkte.
Wenn ich vielleicht einen Satz dazu sagen darf, was meine Qualifikation ist: Ich lebe in der Welt zwischen den Finanzmärkten einerseits und der Psychologie andererseits. Solche Leute nennt man Verhaltensökonomen. Das heißt, es gibt die Welt der Zahlen, aber es gibt auch viele Emotionen, und die sind auch sehr wichtig.
Was raten sie ETF-Sparern? Denn diese sind gerade beunruhigt, weil sich die ETFs aktuell im roten Bereich befinden.
Ich würde trotzdem sagen: Ruhe bewahren und wirklich einfach Füße stillhalten. Das ist nicht nur bequem, sondern es ist auch wirklich das Beste. Ausgenommen davon sind Zocker-ETFs wie welche auf Kryptos, oder Hanf-ETFs.
Wenn wir wirklich auf breitgestreute ETFs setzen, dann hat man den Vorteil, dass man für ganz geringe Kosten weltweit diversifizieren kann. Dabei ist Diversifikation etwas Simples. (Anmerkung der Redaktion: In einem ETF-Portfolio bedeutet dies, dass die Investition zur Streuung der einzelnen Risiken jeder Aktie auf sehr viele verschiedene Wertpapiere aufgeteilt wird und das Gesamtrisiko gesenkt werden kann.)
In der der aktuellen Situation hat dies aber nichts gebracht, denn Diversifikation hilft nur gegen die diversifizierbaren, unsystematischen Risiken. Was aber jetzt mit dem Zollkrieg - durch Amerika, durch Donald Trump ausgelöst - passiert, ist, dass es Wirtschaftsunternehmen in allen Ländern und in allen Währungsräumen trifft. Deswegen sind auch alle Märkte runter.
Deswegen ist dieser Diversifikationserfolg in diesem Fall noch nicht eingetreten. Das kann aber in den nächsten Wochen und Monaten besser werden. Einfach Füße stillhalten, einfach normal weitermachen, ist mit Abstand der beste Rat.
Kurze Verständnisfrage: Ist das wirklich etwas Neues, dass alle Märkte eingebrochen sind? Ist das für eine Wirtschaftskrise nicht etwas Gewöhnliches?
Es kommt darauf an: Wenn wir zum Beispiel den Ukraine-Krieg nehmen, da waren die USA weit weg und z. B. der "MSCI World"-ETF mit einem hohen Anteil von US-Aktien kaum betroffen. Im Unterschied dazu hat der Ukraine-Krieg den deutschen Aktien-Index (DAX) getroffen. Wer aber so klug war und weltweit diversifiziert hat, den hat es finanziell gar nicht gestört.
Menschlich betrachtet sind Kriege sehr schlimm. Für global streuende ETFs sind regionale Kriege jedoch gar nicht so ausschlaggebend. Die Märkte sind da einfach amoralisch. Die schauen nur, welchen Anteil hat jetzt zum Beispiel Israel und der Gaza-Streifen oder Russland in den Weltindizes. Die hatten unter zwei Prozent. Da lachen die Weltindizes drüber.
Dagegen hat die Corona-Krise in der ersten Verunsicherung die ganze Welt betroffen, weil wir um den Erdball fliegen und da ist so ein Virus in kürzester Zeit in jedem Land, in jedem Währungsraum, in jeder Wirtschaft. Folge: Da gingen dann zunächst mal alle Indizes runter.

Was halten Sie in diesem Zusammenhang - metaphorisch betrachtet - von Vogel-Strauß-Politik, also den eigenen Kopf in den Sand zu stecken: Ergibt das Sinn, nicht in seine ETFs zu schauen?
Vom Ergebnis her betrachtet, macht es Sinn. Aber ignorieren kann bei manchen Dingen gefährlich sein - zum Beispiel, wenn es körperlich irgendwo zwackt, da nicht zum Arzt zu gehen oder eine Krankheit einfach ignorieren.
Im jetzigen Fall ist der Versuch, es zu verdrängen, nicht hinzuschauen, jedoch genau das Richtige. Das Ergebnis dieser Vermeidungsstrategie ist, dass die Leute nichts tun. Und das ist genau das, was ich als Verhaltensökonom auch wirklich aus wissenschaftlicher Sicht empfehlen kann: Bitte nichts tun, abwarten. Das heilt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit von allein! Die Chance ist nach den bereits eingetretenen Kursverlusten größer als das Risiko.
Ich bin optimistisch, dass wir mit einer sehr, sehr hohen Wahrscheinlichkeit keinen Weltsystem-Crash und keine neue Weltordnung bekommen.
Wer bekommt denn bei solchen Schwankungen, die durch Donald Trumps Zollpolitik ausgelöst wurden, ernsthafte Probleme?
Ernsthafte Probleme bekommen die, die vorausschauende Anlagestrategien und auch gesicherte Erkenntnisse über Finanzmärkte im Vorfeld nicht glauben wollten, die sich vorher handwerklich falsch verhalten haben. Ich nenne Beispiele - die beiden schlimmsten Fehler:
Handwerklich falsch verhalten wäre: Ich investiere Geld, das ich nur kurzfristig entbehren kann, weil ich nächstes Jahr in den Urlaub fahren oder ein neues Auto kaufen will. Solches Geld, welches nur kurzfristig zur Verfügung steht, darf nicht an schwankenden Aktienmärkten angelegt werden.
Was auch nicht geht, ist Aktien auf Kredit zu kaufen. Wir sehen daher jetzt auch wieder Notverkäufe, wo Anleger risikobehaftete Assets - meistens sind es Aktien - auf Kredit gekauft haben. Und dann kommt es zu Margin Calls, wenn beispielsweise die als Sicherheit hinterlegten Aktien im Wert sinken. In diesem Fall ist der Kreditgeber dann berechtigt, eine Nachzahlung zu verlangen und diese kann meist nicht erbracht werden. Dann wird die beliehene Ware verkauft. Deswegen ist am "Panik Monday", Montag letzter Woche, auch der Goldpreis gefallen. Dieser hat sich aber schon wieder erholt. Ausgelöst wurde der Fall des Goldpreises durch solche Notverkäufe.

Wie kann man in solchen Situationen ruhig bleiben?
Das Allerwichtigste ist, dass man versucht, finanzielle und wirtschaftliche Risiken mit den allgemeinen Lebensrisiken zu vergleichen. Da bin ich jeden Morgen froh, wenn ich aus dem Bett steigen kann und mich gesund fühle. In Deutschland haben wir auch nicht das Risiko, morgen zu verhungern. Selbst wenn wir unseren Job verlieren, fallen wir in ein soziales Netz. Und dann frage ich mich: Was bedroht mein Leben wirklich? Da versuche ich, mir keine Sorgen zu machen. Wir haben doch genug. Was mich aber besorgt, sind die menschlichen Schicksale, sind unnötige Tote, Kriegsopfer (…). Ob wir jetzt auf dem Depot tausend Euro mehr oder weniger haben, das sollte uns nicht so wichtig sein.
Das Zweite ist, dass die Risiken, die spektakulär sind, uns meistens nicht umbringen. In diesen Tagen sage ich immer lächelnd: Aktienkurse nehmen die Treppe nach oben - Stufe um Stufe. Nach unten nehmen diese aber immer den Schnellaufzug. Und das steht dann in der Presse und bekommt jeder mit. Wir haben eine Asymmetrie, ein Ungleichgewicht zwischen guten Nachrichten, die wir nicht wahrnehmen, die nicht in der Zeitung stehen, weil nicht spektakulär - und den spektakulären Rücksetzern.
Damit komme ich zum dritten Vorschlag, den Zeithorizont zu vergrößern, den wir uns anschauen. Zu Beginn des Ukraine-Kriegs haben die Aktienmärkte zumindest in Europa so getan, als ob die Welt untergeht. Ist sie aber nicht. Davor hatten wir die Corona-Krise, das war dieses sogenannte "Corona-V". Das war nach ein paar Monaten schon wieder völlig verdaut. Und es kann gut sein, dass wir am Jahresende diese ganze Geschichte mit dem Zollkrieg als kleinen "Aufreger" betrachten, der schon wieder fast vergessen ist.

Die Launen eines US-Präsidenten Donald Trump und die Auswirkungen auf die Märkte machen vielen Menschen Angst. Wie soll man persönlich damit umgehen?
Was im Augenblick läuft, ist ein Verliererspiel. Das schädigt auch Amerika. Trump wird von den amerikanischen Investmentbanken und Hightech-Konzernen, die seinen Wahlkampf finanziert haben, bereits auf die Füße getreten.
Ich bin optimistisch, dass wir mit einer sehr, sehr hohen Wahrscheinlichkeit keinen Weltsystem-Crash und keine neue Weltordnung bekommen. In wenigen Monaten werden wir wohl neue Verhandlungen und neue Ergebnisse haben. Es wird wahrscheinlich nicht nur bilaterale, sondern multilaterale Abkommen geben, die gar nicht so weit weg von den alten Spielregeln sind, auch weil die anderen sich das alle nicht gefallen lassen werden. Also Amerika gegen den Rest der Welt geht nicht. Amerika gegen Asien oder Amerika gegen die Ukraine - das ist, glaube ich, ziemlich eindeutig. Sich gleichzeitig mit China/Asien anzulegen und mit Europa, da wäre, glaube ich, Amerika auch überfordert.
Kommen wir zur aktuellen Situation zurück. Im Zusammenhang mit den Zöllen sind Vorwürfe aufgekommen, dass Trump Insider-Trading betrieben haben soll. Was bedeutet das beispielsweise für ETF-Sparer?
Die Geschichte mit dem Insider-Trading nehme ich sehr ernst. Das traue ich ihm zu.
Jetzt die Frage: Was bedeutet es für mich, was bedeutet es für uns? Meine Empfehlung ist, auf mögliche Insidergeschäfte überhaupt nicht zu reagieren, da es mit größter Wahrscheinlichkeit trotz hohem Zeitaufwand und Frust nichts bringt, gegen Insider zu "wetten". Da Marktmanipulationen jedoch meist nur kurzfristige Schwankungen auslösen, die sich bald wieder aufheben, können diese langfristigen Anlegern ziemlich egal sein. Die ganzen Marktmanipulationen dauern oft nur Minuten, wenn es schlimm ist Stunden oder vielleicht mal ein paar Tage. Das sitzen wir einfach aus, denn niemand kann die Märkte wirklich auf Dauer manipulieren.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Alva Janek Kronsteiner, rbb24.