Symbolbild: Mädchen mit Portemonnaie und Geldscheinen am 17.08.2010. (Quelle: imago stock&people)

Brandenburg Schuldenfalle für Jugendliche – warum die Schulen helfen können

Stand: 07.06.2025 08:12 Uhr

Immer mehr Jugendliche rutschen durch Online-Shopping und Social Media in die Schuldenfalle. Doch Schulen kümmern sich bislang kaum um echte Finanzbildung – obwohl sie dringend gebraucht wird. Von Anke Hahn

  • Jugendliche sind in der digitalen Welt besonders gefährdet, in die Schuldenfalle zu geraten Finanzbildung an Schulen findet bisher kaum statt, um junge Menschen auf einen verantwortungsvollen Umgang mit Geld vorzubereiten. Statt temporärer Projekte fordern Schuldnerberatungen ein verbindliches Schulfach "Finanzbildung"
Symbolbild:Ein Mann bezahlt mit Bargeld.(Quelle:picture alliance/C.Klose)
"Es sind vor allem mehr junge Menschen in unsere Beratungsstelle gekommen"
In lediglich zwei Brandenburger Regionen ist die Überschuldung im letzten Jahr gestiegen - eine davon ist Cottbus. Im Interview spricht Schuldnerberater Michael Schwarz über mögliche Gründe und gibt Tipps, wie man nicht in die Schuldenfalle tappt.mehr

Achtklässler Friedrich präsentiert seine Business-Idee vor seiner Klasse mit Überzeugung: Er möchte einen Lieferdienst für frische Bäckerbrötchen aufziehen. Per Lastenfahrrad sollen die an Frühstück-Gourmets in Berlin ausgeliefert werden.
 
Der Wirtschaftsunterricht am Immanuel-Kant-Gymnasium in Berlin-Lichtenberg bringt den Schülerinnen und Schülern der 8. Klasse den Umgang mit Geld ganz praktisch bei. Friedrich braucht für seine Firmengründung Startkapital oder muss ein Darlehen aufnehmen, muss dann die laufenden Kosten kalkulieren und den Gewinn berechnen, am besten ist die Firma auch noch gut versichert. Alles Themen, die Friedrich und seine Mitschüler auch außerhalb ihrer Businesspläne für ihr Leben gut gebrauchen können.

Symbolbild:Zwei junge Personen halten ein Handy und einen Leihroller.(Quelle:imago images/M.Gstettenbauer)
Immer weniger Menschen verschulden sich freiwillig
Die Zahl der überschuldeten Menschen sinkt im sechsten Jahr in Folge. Das geht aus dem sogenannten Schuldner-Atlas 2024 hervor. Der Bundestrend gilt auch für Berlin und Brandenburg. Allerdings steigt die Zahl der Dauerüberschuldeten.mehr

Schuldnerberatungen von immer jüngeren Menschen aufgesucht

Doch solch einen gezielten Wirtschaftsunterricht wie das Kant-Gymnasium bieten nur sehr wenige Schulen hierzulande an. Das Thema wird im Unterricht meist nur gestreift. Und das, obwohl jeder Mensch eigentlich grundlegendes Wissen über den Umgang mit Geld, Finanzen und Verträgen brauche, sagen Schuldnerberatungen.
 
Bundesweit sind rund 5,6 Millionen Bundesbürger über 18 Jahren überschuldet, wie aus dem aktuellen Schuldner-Atlas hervorgeht [boniversum.de]. Die Zahl der überschuldeten Menschen in Deutschland sinkt jedoch seit ein paar Jahren. In Brandenburg waren es laut Schuldner-Atlas noch knapp unter 160.000 Menschen, in Berlin nahm die Zahl der Schuldner im Vergleich zum Vorjahr auch ab. Dennoch liegt Berlin mit einer Überschuldungsquote von 10,2 Prozent im bundesweiten Vergleich knapp hinter Bremen (11, 8 Prozent) und Sachsen-Anhalt (10,7 Prozent)

Auch die Caritas hat immer mehr Zulauf von Menschen, die überschuldet sind - und viele davon sind jung. Sie schätzt, dass 20 Prozent der unter 30-Jährigen Schulden haben. Nach dem Schuldneratlas 2024 von Creditreform, der einzigen bundesweiten Statistik, sind 6,76 Prozent sogar überschuldet.
 

"Jetzt kaufen - später zahlen" wird zum Verhängnis

Vielen wird zum Verhängnis, dass sie beim Online-Shopping bei Angeboten von "Buy now, pay later" - "Kauf jetzt, zahle später" den Überblick über ihre Raten und am Ende über ihre Budgets verlieren.
 
Andere erkennen bei Online-Spielen beim sogenannten In-Game-Kauf nicht, dass sie möglicherweise Abos erwerben, deren Preise schwer zu kalkulieren sind. Große Sorgen bereitet Fachleuten auch das vergleichsweise neue Angebot TikTok Shop [tagesschau.de]. Es werden bei der Nutzung der App TikTok innerhalb der Plattform Produkte beworben, die dann sofort gekauft werden können. TikTok kennt über seinen Algorithmus passgenau die Vorlieben und Interessen der jeweiligen Nutzer, die Angebote sind entsprechend zielgenau und sehr verlockend. Zudem kann dann sofort gekauft werden, es muss nicht erst eine andere Website aufgesucht werden. Natürlich gilt auch hier: "Buy now, pay later".

Finfluencer und Social Media als vermeintliche Ratgeber für junge Menschen

Fehlende Finanzbildung macht es jungen Menschen oft schwer, abzuschätzen, wo die Grenze zwischen überschaubarem Risiko und großer Gefahr besteht. Auch wissen viele nicht, woher sie solide Tipps zum Sparen oder für gewinnbringendes Investment bekommen.
 
Immer mehr vertrauen deshalb auf sogenannte Finfluencer (Kofferwort aus englisch finance und influencer, deutsch: Finanz-Influencer), die vorrangig über ihre eigenen Social-Media-Kanäle auftreten. Sie geben vermeintlich gute Ratschläge oder beschreiben, was sie selbst gemacht haben, um viel Geld in kurzer Zeit zu verdienen.
 
Die wenigsten weisen allerdings dabei auf Gefahren hin. Profitabler ist es zudem, wenn sie auch noch die Produkte ihrer Geldgeber durch indirektes oder direktes Marketing bewerben - und damit selbst verschleiern, wie sie ihr Geld verdienen. Die meisten kennzeichnen das nicht einmal und im Zweifel sind diese Tipps eben nicht die besten. Andere geben zwar explizit keine Tipps, erzählen dann aber nur, was erfolgreich war - verschweigen hingegen, wenn sie Verluste gemacht haben. Wenn sie von Jugendlichen unkritisch als Vorbilder betrachtet werden, kann auch das zu Problemen führen

Schule als Lernort für Finanzwissen

Wer kann jungen Menschen also Wissen zum Umgang mit Geld in der digitalen Welt vermitteln? Das Elternhaus kann oft nicht weiterhelfen, weil auch für viele Erwachsene von der Flut neuer Produkte und Kaufmöglichkeiten überfordert sind.
 
Auch Anlagetipps für Altersvorsorge oder Börseninvestment sind den meisten Erwachsenen schwer zu verstehen. Da brauchen sie selbst Unterstützung. Folglich sehen einer Umfrage des Deutschen Bankenverbandes vom November 2024 zufolge mehr als 50 Prozent der dort Befragten die Schule in der Pflicht.

Symbolbild: Eine Frau beim Online-Shopping. (Quelle: dpa/Westend61)
"'Buy now, pay later' sollte immer eine Ausnahme bleiben"
Die Überschuldung von Menschen unter 30 Jahren steigt seit zwei Jahren leicht an. Probleme bereiten unter anderem "Buy now, pay later"-Angebote. Was junge Menschen dabei beachten sollten, erklärt Schuldnerberater Oliver Salmen.mehr

Aber da mangelt es an Bildungsangeboten, obwohl es bereits seit 2013 einen Beschluss der Kultusministerkonferenz der Länder (KMK) gibt, der die "Verbraucherbildung" in den Schulen verankert. In der Praxis wird es dann aber schwierig, denn die KMK hat es den Ländern und die dann auch den Schulen überlassen, wie sie diese Inhalte vermitteln. Wirtschaftsunterricht wie in Berlin-Lichtenberg wäre eine Variante.
 
Doch in vielen Schulen fehlt es an Personal und Ressourcen. Lehrkräfte müssten entsprechend geschult werden, Lehrpläne erarbeitet. Deshalb weichen Schulen auf temporäre Angebote wie Projekttage aus, die von externen Dienstleistern angeboten werden. Schuldnerberatungen übernehmen beispielsweise in Berlin diese Aufgabe. Hier gibt es öffentliche Mittel dafür.

Symbolbild:Menschen mit vollen Einkaufstaschen gehen an den Geschäften in der Tauentzienstraße vorbei.(Quelle:picture alliance/dpa/M.Skolimowska)
"Es ging mir nicht um die Ware, sondern um den Glücksmoment"
Baris aus Berlin-Moabit hat jahrelang online eingekauft, obwohl er kein Geld hatte. Insgesamt hat er über 100.000 Euro Schulden gemacht und musste Insolvenz anmelden. Die Ursache: Kaufsucht - um überhaupt noch Glück zu empfinden. Von Linh Tran und Marie Steffens mehr

Schulfach "Finanzbildung" statt kommerzieller Projekt-Angebote

In anderen Bundesländern sind die Schulen oft auf Eigeninitiative angewiesen. Da kommt es schon mal vor, dass Banken oder Versicherungen Kurse anbieten. Wie objektiv diese sind, muss geprüft werden.
 
Diakonie, Caritas, Arbeiterwohlfahrt und die anderen Träger der Schuldnerberatungen hierzulande fordern deshalb, dass endlich ein Schulfach Finanzbildung eingeführt werden sollte. Die Vorbereitung junger Menschen auf das Leben sei schließlich eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Bleibt die Frage, was wird aus Friedrichs Business-Idee vom Brötchenservice? Da wird jetzt eine Marktanalyse gemacht - und dann mal genau durchgerechnet.

Sendung: rbb24 Abendschau, 03.06.2025, 20:15 Uhr