Hamburgs Polizeipräsident Falk Schnabel (2.v.l.) bei einer Pressekonferenz.

Verdacht auf Mord im Internet: 20-jähriger Hamburger festgenommen

Stand: 18.06.2025 15:52 Uhr

Hamburgs Polizeipräsident Falk Schnabel hat bei einer Pressekonferenz am Mittwoch die Festnahme eines 20-jährigen Hamburgers bekanntgegeben. Vorgeworfen werden ihm unter anderem Mord, versuchter Mord und sexueller Missbrauch von Kindern.

Inhaltswarnung
Der folgende Artikel enthält detaillierte Schilderungen von sexualisierter Gewalt, Suizid und einem Tötungsdelikt. Die Inhalte können besonders für empfindsame oder traumatisierte Personen belastend sein. Vom Weiterlesen raten wir in diesem Fall ab.

Der Mann, der im Netz unter dem Namen "White Tiger" agiert haben soll, ist offenbar führendes Mitglied einer extremistischen, international vernetzten Online-Community. Die Gruppe tritt in Erscheinung mit satanistischen, sadistischen und pädokriminellen Inhalten. Zentrales Motiv sei die gezielte Suche nach psychisch labilen Kindern in Chatforen oder Online-Games, um sie systematisch zu manipulieren, teilten Polizei, LKA und Generalstaatsanwaltschaft am Mittwoch auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit.

Laut Generalstaatsanwalt Jörg Fröhlich umfasst der Haftbefehl 123 Straftaten zwischen 2021 und 2023. Dem 20-jährigen deutsch-iranischen Staatsbürger werden besonders schwere Gewalttaten vorgeworfen - darunter Mord in mittelbarer Täterschaft, sexueller Missbrauch von Kindern, Cybervergewaltigungen und die Anstiftung zu Suizidhandlungen Minderjähriger.

Elias Bartl, 18.06.2025 18:00 Uhr

Offenbar Kinder gezielt in Foren angesprochen

Der Beschuldigte soll gezielt psychisch labile Kinder in Foren angesprochen, sie zu schweren Selbstverletzungen und sexuellen Handlungen in Live-Chats gebracht und die Aufnahmen als Druckmittel verwendet haben. Besonders perfide: Die Taten wurden dokumentiert, in sogenannten "Lawbooks" archiviert und als Trophäen geteilt.

"Nur schwer auszuhaltende Abgründe"

Der Hinweis auf den Beschuldigten kam 2023 vom FBI, nachdem ein 13-jähriges Kind in den USA Suizid begangen hatte - offenbar wurde der Junge durch psychische Manipulation und Drohungen von dem Hamburger in den Selbstmord getrieben. Dabei habe er sich sogar eines weiteren, schuldunfähigen Kindes als "Werkzeug" bedient, teilte die Polizei mit. Das LKA Hamburg richtete daraufhin die Sonderkommission "Manticore" ein.

"Das sind Abgründe, die nur schwer auszuhalten sind", sagte Polizeipräsident Schnabel. Die Taten zeigten ein unvorstellbares Maß an Verrohung und Unmenschlichkeit. Die Beamtinnen und Beamten hätten unzählige Videos mit Folterungen von Kleinkindern und getöteten Tieren gesichtet. "Wir hoffen, dass sich die Festnahme in der Szene herumsprechen und es dann eine interne Abschreckung geben wird", sagte Generalstaatsanwalt Fröhlich.

In den USA als terroristische Vereinigung eingestuft

Bei der Gruppierung handelt es sich laut LKA um ein extrem abgeschottetes Online-Netzwerk mit sadistischen, satanistischen, menschenverachtenden und pädosexuellen Inhalten. Sie war international aktiv und nutzte besonders Discord, Telegram und auch bekannte Dienste wie Instagram und Facebook. Darüber tauschten sich die Täter über Strategien, Drohkulissen und technische Tools aus. In den USA ist die Gruppierung bereits als terroristische Vereinigung eingestuft. Der 15 Jahre alte Gründer wurde laut Staatsanwaltschaft in den USA zu 80 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.

Kontaktaufnahme über Online-Games

Die Kontaktaufnahme erfolgte gezielt zu psychisch labilen Kindern, oft über Foren zum Thema Suizid, über soziale Medien oder Online-Games. Später wechselten Täter und Opfer dann zu Discord oder Telegram. Den Opfern wurde zunächst Zuneigung oder Freundschaft vorgetäuscht. Nachdem sie emotional abhängig waren, wurden kompromittierende Bilder und Daten gesammelt und die Kinder und Jugendlichen damit erpresst. Schließlich wurden die Opfer zu Selbstverletzungen und sexuellen Handlungen gezwungen oder gar in den Suizid getrieben. In einem Fall soll ein Kind live beim Selbstmord in einem Instagram-Gruppenchat zu sehen gewesen sein.

Insgesamt haben Polizei und Staatsanwaltschaft acht geschädigte Kinder im Alter von 11 bis 15 Jahren ermittelt. Sie stammen aus Deutschland, England, Kanada, USA, zwei aus Hamburg und eines aus Niedersachsen.

Ermittelnde psychologisch betreut

Die Ermittlungen stützen sich auf über 120 Stunden gesichertes Bild- und Videomaterial. Insgesamt 22 Ermittler und Ermittlerinnen sowie vier Staatsanwälte sind an der Aufklärung beteiligt. Allein die Analyse eines einzelnen 75-Minuten-Chats mit einer Suizidhandlung dauerte laut Generalstaatsanwaltschaft 17 volle Arbeitstage. Die Beteiligten mussten psychologisch betreut werden.

Bei der Festnahme des 20-Jährigen in der elterlichen Wohnung am Dienstag (17. Juni) wurden zahlreiche IT-Geräte und Waffen sichergestellt. Der Beschuldigte sitzt in Untersuchungshaft. Den Angaben zufolge ist eine psychiatrische Begutachtung des 20-Jährigen geplant. Er bestreitet die Vorwürfe pauschal.  

Appell an Umfeld von Kindern

Ermittler und Ermittlerinnen warnen eindringlich vor der Gefährlichkeit solcher Netzwerke - und appellieren an Eltern, Lehrkräfte und Bezugspersonen, mit Kindern im Gespräch zu bleiben. Die Polizei rät: Eltern sollten immer ansprechbar für die Kinder sein und aktiv nachfragen beziehungsweise ein Interesse für die Online-Aktivitäten der Kinder zeigen. Außerdem sollten sie sich die genutzten Apps der Kinder zeigen und erklären lassen und gegebenenfalls altersgerecht kontrollieren. Empfehlenswerte Hinweise hierzu finden sich auf der Seite von klicksafe.de. Bei Verdachtsfällen sollten Eltern die Polizei informieren.

Hilfe bei Suizid-Gedanken
Sollten Sie selbst von Selbsttötungsgedanken betroffen sein, suchen Sie sich bitte umgehend Hilfe. Bei der anonymen Telefonseelsorge finden Sie rund um die Uhr Ansprechpartner.

Telefonnummern der Telefonseelsorge: 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222 www.telefonseelsorge.de

Telefonberatung für Kinder und Jugendliche: 116 111 - www.nummergegenkummer.de

Dieses Thema im Programm: NDR 90,3 | NDR 90,3 Aktuell | 18.06.2025 | 11:00 Uhr