
Hessen Kaua Santos und Mario Götze von Eintracht Frankfurt: Die Gesichter des Ausscheidens
Die Eintracht vergibt eine Riesenchance in der Europa League, weil sie gegen Tottenham ohne Mario Götze an Struktur verliert und mit Kaua Santos die tragische Figur in ihren Reihen weiß. Irritationen gibt es um eine mögliche Verletzung des Torwarts.
Manch Protagonist von Eintracht Frankfurt hatte eine recht einseitige Sicht auf die entscheidende Szene des Spiels. "Den Elfmeter musst du nicht geben", sagte Sportvorstand Markus Krösche nach dem 0:1 gegen Tottenham Hotspur, das gleichbedeutend war mit dem Viertelfinal-Aus in der Europa League. "Fast gleichzeitig" seien sie an den Ball gekommen, Stürmer und Torwart, es sei daher eher ein unglücklicher Zusammenprall, denn ein wirkliches Foul gewesen, bedeutete Trainer Dino Toppmöller. Und die Spieler auf dem Feld, allen voran Eintracht-Torwart Kaua Santos selbst, verstanden die Welt ohnehin nicht mehr.
Und doch: Es war ein Elfmeter. Santos rannte seinen Gegenspieler James Maddison schlicht über den Haufen, touchierte zwar mit dem Kopf den Ball, allerdings erst nach dem Kontakt des Engländers. Der Spurs-Profi wirkte anschließend benommen, musste ausgewechselt werden. Ein klares Ding also, ebenso klar wie es ein Fehler des Frankfurter Schlussmannes war. Santos, nach dem 1:1 im Hinspiel noch der Held, geriet mit nur einer Aktion zur tragischen Figur des Abends. Und so hart das klingen mag: auch zum Gesicht des Ausscheidens.
Kaua Santos zwischen den Extremen
Die Aufbauarbeit für den jungen Keeper begann, kurz nachdem Dominic Solanke den fälligen Strafstoß für die Spurs verwandelte (43.). Tuta hauchte seinem brasilianischen Landsmann aufbauende Worte ins Ohr, Arthur Theate schrie sie ihm hinein. Und Torwarttrainer Jan Zimmermann legte beim Gang in die Kabine die Hand beruhigend auf die Schulter von Santos. Passiert halt, Fehler gehören dazu. Und doch war die Aktion des Emporkömmlings eine, die ihn im Positiven wie Negativen auszeichnet.
Der gerade 22 Jahre alt gewordene Familienvater ist (noch) ein Torwart, der das Risiko sucht, der lieber nach vorne prescht als zurücksteckt. In guten Moment führt das zu spektakulären Rettungstaten, in schlechten auch mal zu entscheidenden Patzern. Ein junger Mann zwischen den Extremen, erst himmelhochjauchzend, dann zu Tode betrübt. Anmerkung am Rande: Eine solch riskante Szene wie gegen Tottenham gehörte schon in der vergangenen Saison, als Santos hauptsächlich für die U21 in der Regionalliga hielt, regelmäßig zu seinem Torwartspiel.
"Kein Vorwurf" an Kaua Santos
Auch Kevin Trapp, der erfahrene Verletzte, sprach seinem Torwartkollegen direkt nach Spielschluss Mut zu. Der Kapitän wusste wohl am besten, wie sich ein derartiger Moment anfühlt: äußerst bescheiden. Gleichzeitig konnte sich aufgrund der Gesamt-Gemengelage mit Blick auf den Eintracht-Kasten wohl kaum jemand den Gedanken verkneifen, was wohl Trapp an Santos' Stelle gemacht hätte. Er wäre, rein mutmaßlich, eher nicht so ungestüm herausgedonnert aus seinem Kasten. Wäre, wäre, Fahrradkette ..., wie einst der große Lothar Matthäus sagte.
Die Schuld am bitteren Aus schulterten die Teamkollegen ihrem jungen Keeper glücklicherweise nicht auf, im Gegenteil. Auch Toppmöller verwies darauf, dass Santos nur das Ende einer Fehlerkette gewesen sei, zuvor hätte die Lücke in der Abwehrreihe konsequenter geschlossen werden müssen, lautete die Ausführung des Trainers. Rasmus Kristensen und Tuta waren gemeint. "Wenn Kaua nur einen Tick früher rauskommt, gib's keinen Elfmeter", so Toppmöller, der dem Torwart daher "keinen Vorwurf" machen wollte.
Gerüchte um Verletzung von Santos
Spät im Spiel krachte Santos erneut schmerzhaft mit einem Gegenspieler zusammen und humpelte anschließend vom Feld. Am Freitag gab es deshalb einige Irritationen um eine angebliche MRT-Untersuchung bei Santos, die auch nach hr-sport-Infos stattgefunden haben soll. Sogar über das Saison-Aus des Torwarts wird spekuliert. Von all dem wollte Toppmöller jedoch am Mittag bei der Pressekonferenz im Vorfeld des Spiels beim FC Augsburg am Sonntag (15.30 Uhr) nichts gewusst haben. Er, der Trainer, habe am Vormittag noch keinen Kontakt zu Santos gehabt und gehe davon aus, dass der Keeper einsatzfähig ist. Ob Kapitän Trapp im Kader stehen wird, oder sogar spielt, ist noch unklar.

Torhüter im Gespräch: der derzeit verletzte Kevin Trapp (links) nach dem Tottenham-Aus mit Kaua Santos.
Die Vorderleute des Brasilianers verpassten es zudem gegen Tottenham, ihrem wilden Auftritt die nötige Struktur zu verleihen. Zu hippelig, zu ungenau, letztlich auch nicht durchschlagskräftig genug. Die besten Chancen hatte, irgendwie bezeichnend, mit Kristensen der Rechtsverteidiger.
Viele Halbfeldflanken verpufften an den Londoner Eisenschädeln, zumal in der Frankfurter Angriffsmitte kaum Kopfballgefahr wartete. Eine Einwechslung von Strafraumstürmer Michy Batshuayi anstelle des erneut enttäuschenden Elye Wahi wäre im Nachhinein wohl die bessere Wahl gewesen. Sei's drum.
Einige Spieler stoßen an Grenzen
Die fehlende Struktur hatte natürlich mit dem Verlust des Strukturgebers zu tun. Als sich Mario Götze nach einer Viertelstunde an den rechten Oberschenkel griff, verlor die Mannschaft ihren fußballerischen Kopf. Gerade in der zweiten Hälfte, als Tottenham tief verteidigte, wäre ein Götze mit seinen Ideen womöglich der Schlüssel zum Ausgleich gewesen. Er fehlte an allen Ecken und Enden, der Qualitätsverlust war offensichtlich.
Vertreter Farès Chaibi machte es zwar ordentlich, bringt aber schlicht nicht die Extraklasse des Ex-Nationalspielers für die kleinen, aber entscheidenden Räume mit. Er stieß wie manch Mitspieler - etwa Jean-Matteo Bahoya, Nathaniel Brown, Wahi oder auch Hugo Ekitiké - an diesem Abend an Grenzen. "Niederlagen gehören dazu und sind auch Teil des Erfolgs", richtete Toppmöller noch am späten Abend aufbauende Worte in Richtung seiner Mannschaft. Gleichwohl wurde eine Riesenchance liegengelassen, hätte die Tür ins Endspiel mit dem Außenseiter-Gegner schlechthin im Halbfinale, FK Bodø/Glimt, sperrangelweit offen gestanden.
Götze-Verletzung schmerzt - nicht nur den Spieler
Götze jedenfalls wird wohl länger ausfallen, mindestens gegen Augsburg, wie Toppmöller bestätigte. In der Woche darauf steht das direkte Duell im Champions-League-Rennen gegen RB Leipzig auf dem Plan. Auch da könnte es eng werden. Ob der Spielmacher überhaupt noch in dieser Runde ins Geschehen eingreifen kann, fünf Spiele sind es noch, ist zudem ungewiss.
Für den noch verbleibenden Traum von der Champions-League-Qualifikation über die Liga wäre eine baldige Rückkehr des Altmeisters jedoch mehr als hilfreich. "Jetzt gilt es, die Wunden zu lecken", sagte Coach Toppmöller nicht umsonst. Seelische wie körperliche.