Hessen CDU-Wahlkampf in Neuhof: Merz spricht mehr über Wirtschaft als über AfD und Migration
Wenige Tage nach dem tödlichen Messerangriff in Aschaffenburg und vier Wochen vor der Bundestagswahl tritt CDU-Chef Merz in Neuhof bei Fulda auf. Dabei gibt er sich staatsmännisch. Ins Zentrum seiner Rede stellt er allerdings nicht die Migrationspolitik.
Eigentlich wäre der Weg auf die Bühne frei, mitten durch die Menge im Gemeindezentrum Neuhof bei Fulda. Dann aber kommt Friedrich Merz aus dem Backstage-Bereich. Er lächelt, er nickt, er deutet auf jemanden im Publikum. Eher Staatsmann als Wahlkämpfer.
Und so soll es auch kommen in gut vier Wochen, das macht Hessens Ministerpräsident Boris Rhein gleich klar. Den nötigen Politikwechsel könne es nur mit seinem Parteifreund, dem CDU-Bundesvorsitzenden und Unions-Kanzlerkandidaten Merz geben. "Es macht einen Unterschied, wer das Land regiert", betont Rhein.
Dass die Union eine andere Politik will als die Ampel und Ampel-Reste aus SPD und Grünen, dürfte klar sein - erst recht den etwa 1.500 Besuchern dieser CDU-Wahlkampfveranstaltung am Samstag im traditionell CDU-treuen Osthessen. Friedrich Merz, der sich als Sauerländer der osthessischen Mentalität verbunden fühlt, wie er sagt - bodenständig, fleißig, anständig, dem Mittelstand und Ehrenamt verbunden - Merz also führt noch einmal aus, was er auf den aus seiner Sicht wichtigsten drei Politikfeldern ändern möchte.
Forderung nach "faktischem Einreiseverbot"
Das beherrschende Thema der vergangenen Tage packt er ganz ans Ende seiner frei und flüssig vorgetragenen Rede: mögliche und aus seiner Sicht nötige Konsequenzen aus dem tödlichen Messerangriff in Aschaffenburg durch einen ausreisepflichtigen Asylbewerber aus Afghanistan. Seine Ankündigung, am ersten Tag seiner Kanzlerschaft werde er qua Richtlinienkompetenz das Innenministerium anweisen, alle Einreisewilligen an den deutschen Grenzen zu kontrollieren und alle ohne gültige Einreisedokumente abzuweisen, schlug hohe Wellen. Kritiker halten sie für europarechtswidrig und nicht umsetzbar. Merz wiederholt sie in Neuhof nichtsdestotrotz.
Er sagt, "ein faktisches Einreiseverbot" sei nötig. Denn: Deutschlands Sicherheit sei durch die wiederholten tödlichen Angriffe durch Zugewanderte oder Asylbewerber gefährdet. Daher könne sich Deutschland darauf berufen, der nationalen Gesetzgebung Vorrang vor dem EU-Recht zu geben. "Dänemark tut es, Schweden, die Niederlande, Italien", sagt Merz in Neuhof: "Wenn die es machen, müssen wir es auch machen!" Die Zuhörer jubeln.
Sie tun das umso mehr, als Merz sagt, die Union werde wie angekündigt in der kommenden Woche im Bundestag Anträge zur sofortigen Verschärfung der Migrationspolitik zur Abstimmung vorlegen. "Und offen gestanden: Ich schaue nicht darauf, ob links oder rechts jemand zustimmt. Ich schaue nur geradeaus, handle nach der eigenen Überzeugung." Die Zeit des Taktierens sei vorbei.
Merz appellierte an SPD, Grüne und FDP den Unions-Anträgen zuzustimmen. "Die Parteien der politischen Mitte müssen jetzt zeigen, dass sie in der Lage sind, die Probleme zu lösen", bekräftigte er. Im Hinblick auf die Brandmauer zur AfD fügte Merz allerdings hinzu: "Ich werde mit dieser Partei weder Koalitionsverhandlungen führen noch eine Regierung bilden."
Merz will mehr in Verteidigung investieren
Dass Merz damit eine Zustimmung der AfD in Kauf nimmt, die sich seit Jahren geschlossene Grenzen wünscht, sehen Kritiker dennoch als Bruch in der Brandmauer zu der in Teilen rechtsextremen Partei. Ohne die Stimme zu erheben, sagt Merz: "Wir lassen uns von SPD und Grünen diese Diskussion nicht aufdrängen. Eine richtige Entscheidung wird nicht dadurch falsch, indem die Falschen zustimmen."
Dazu gehört nach Überzeugung des Kanzlerkandidaten von CDU und CSU auch, dass Deutschland und Europa mehr in ihre Verteidigungssysteme investieren. Mit Trumps USA, Xis China und Putins Russland gerate die EU sicherheitspolitisch unter Druck. Auch europäische Populisten führten Krieg gegen die demokratischen, offenen und liberalen Gesellschaften. "Wir müssen widerstandsfähig werden gegen diese neue Wirklichkeit", fordert Merz. Anders als bei der Migrationspolitik spricht er sich hier für gemeinsame europäische Lösungen aus.
In der Sicherheits- und Handelspolitik setzt Merz auf die EU
Um die EU geht es dem CDU-Bundesvorsitzenden auch, als er über die Wirtschaftspolitik spricht, der er den größten Teil seiner Rede widmet. Aus seiner Sicht setzt die EU zu sehr auf Bürokratie, worunter deutsche Mittelständler, Unternehmer oder Landwirte litten: "Die EU macht im Kleinen viel zu viel, aber im Großen wie in der Sicherheits- oder Handelspolitik viel zu wenig", sagt Merz. Dabei müsse sich die Europäische Union auch wirtschaftspolitisch gegen die großen Player USA und China wehren.
Deutschland weist Merz dabei eine führende Rolle zu: "Das Vakuum in der Führung der EU, das die Ampel-Regierung ließ, wollen wir wieder füllen." Freilich müsse dazu erst einmal die volkswirtschaftliche Leistung deutlich besser werden. Seit zehn Jahren verliere Deutschland an Wettbewerbsfähigkeit. Und während Merz eingangs noch behauptete, das deutsche Geschäftsmodell mit billigen Vorprodukten aus China und billigem Gas aus Russland für lukrative Exporte in die USA sei gescheitert, nennt er nun einen anderen Grund dafür.
Absage ans Bürgergeld
Die Deutschen, findet Merz, arbeiteten zu wenig. Damit ist der CDU-Chef beim Bürgergeld, das eine unionsgeführte Regierung umgehend umgestalten und umbenennen möchte, dessen Höhe allerdings vom Verfassungsgericht mehr oder minder vorgegeben wurde.
Unter den 5,6 Millionen Bürgergeldempfängern, behauptet Merz, gebe es 1,7 Millionen arbeitsfähige Menschen (eine Einschätzung der Gewerkschaft Verdi zu dieser Frage ist hier, Anm. d. Red.). In Berlin lebe jede oder jeder fünfte vom Bürgergeld, die Agentur für Arbeit verbreite Anleitungen zum Bestreiten des Lebensunterhalts damit. "Sind wir verrückt geworden?", poltert Merz unter Jubel. Mit ihm als Bundeskanzler gehe es "mindestens dorthin zurück, wo Hartz IV war", kündigt er an: "Wir wollen wieder fördern und fordern."
"Die Deutschen müssen wieder etwas leisten wollen!"
Schließlich wird Merz noch einmal persönlich. Er selbst habe "Freude an der Arbeit". Dazu trägt sicher bei, dass die Union in Umfragen seit Jahren vor den anderen Parteien liegt. Diese erlauben ihm, in diesen Wochen weniger kämpferisch als staatstragend aufzutreten.
Diese Freude an der Arbeit, die müsse sich auch in der Bevölkerung wieder verbreiten, sagt er: "Entscheidend ist, dass wir die Mentalität wieder ändern, dass für uns Arbeit nicht länger die Unterbrechung unserer Freizeit ist." Rentner, die weiterarbeiten möchten, sollen unter seiner Regierung bis zu 2.000 Euro steuerfrei pro Monat hinzuverdienen können. "Die Deutschen müssen wieder etwas leisten wollen!", ruft Friedrich Merz. Er scheint bereit dazu.