Hessen Staatsanwaltschaft Frankfurt ermittelt wegen Betrugsverdacht bei OB-Wahl
Wahlbetrüger sollen sich bei der Frankfurter OB-Wahl Briefwahlunterlagen besorgt und in fremden Namen ausgefüllt haben. Die Manipulation fiel auf, als einer der vermeintlichen Briefwähler im Wahllokal auftauchte. Er wurde offenbar Opfer eines einfachen Tricks.
Die Staatsanwaltschaft Frankfurt ermittelt wegen des Verdachts des Wahlbetrugs im Zusammenhang mit der Oberbürgermeisterwahl im Jahr 2023. Das hat sie dem hr auf Anfrage bestätigt.
Damals ging es um die Nachfolge des aus dem Amt gewählten Peter Feldmann (SPD). Mehr will die Behörde aus "ermittlungstaktischen Gründen" nicht mitteilen.
Mehrere Dutzend Fälle
Die in Frankfurt für die Organisation von Wahlen zuständige Dezernentin Eileen O’Sullivan (Volt) sagte dem hr, "dass im Rahmen der Direktwahl des Oberbürgermeisters/der Oberbürgermeisterin im Jahr 2023 bei der Antragstellung von Briefwahlunterlagen in wenigen Einzelfällen Verdachtsmomente aufkamen".
Nach hr-Informationen soll es um ein paar Dutzend Stimmen gehen. Diese hatten keine entscheidende Auswirkung auf den Ausgang der Wahl, die Mike Josef (SPD) in der Stichwahl für sich entscheiden konnte. Doch Wahlbetrug ist eine Straftat und wird vom Wahlamt Frankfurt immer zur Anzeige gebracht.
Überraschung für Mann im Wahllokal
Aufmerksam auf den möglichen Wahlbetrug wurden die Mitarbeiter durch einen Vorfall in einem Frankfurter Wahllokal. Nach hr-Informationen wollte dort ein Mann wählen, der laut Wählerverzeichnis bereits per Brief seine Stimme abgeben hatte. Von den Wahlhelfern damit konfrontiert, erklärte der Mann, er habe nicht an der Briefwahl teilgenommen.
Die Wahlhelfer informierten daraufhin das Wahlamt. Anhand ähnlich gelagerter Fälle sollen die Beamten, die die Wahl organisieren und überwachen, ein Muster erkannt haben. Daraufhin wurde die Staatsanwaltschaft eingeschaltet.
Im Rahmen der Ermittlungen soll es im Juni 2024 zu Durchsuchungen bei zwei Personen gekommen sein. Dabei soll es sich allerdings bei diesen Personen nicht um die Drahtzieher handeln, sondern um deren mögliche Helfer. Sie sollen die Daten von Wählern besorgt haben.
Name, Adresse und Geburtsdatum genügen
Die mutmaßlichen Wahlbetrüger bedienten sich demnach eines einfachen Tricks, der in Hessen in den letzten Jahren immer wieder eingesetzt wurde, um Wahlen zu manipulieren.
Um an Wahlunterlagen zu gelangen, genügt es, Name, Anschrift und Geburtsdatum eines Wahlberechtigten zu kennen. Wer diese Daten in den Online-Antrag für die Briefwahl eingibt, kann eine andere Adresse als die, an der der Wahlberechtigte gemeldete ist, angeben.
Mit gefälschter Unterschrift eingeschickt
Dann werden die Briefwahlunterlagen an die andere Adresse geschickt, wo die Täter sie in die Hände bekommen. Versehen mit einer gefälschten Unterschrift auf dem Wahlschein werden die Unterlagen dann gemeinsam mit dem gefälschten Stimmzelt ans Wahlamt zurückgeschickt.
Da äußeres Kuvert und verschlossener Stimmzettelumschlag dort dann getrennt werden, lässt sich kaum nachweisen, zu wessen Gunsten gefälscht wurde.
Brief an Meldeadresse soll vor Missbrauch schützen
Angewandt werden kann der Trick auch bei der anstehenden Bundestagswahl - denn bei jeder Wahl ist das Verfahren gleich.
Um es Betrügern schwerer zu machen, wird laut Wahlamt Frankfurt in jedem Fall, in dem die Briefwahlunterlagen an eine andere Adresse als die Meldeadresse gehen, ein Informationsbrief an den Briefwähler verschickt.
Politisch Uninteressierte leichte Opfer
"In diesem Anschreiben wird daher mitgeteilt, an welche abweichende Versandanschrift als Zustelladresse die Briefwahlunterlagen verschickt wurden", erklärt ein Sprecher des Wahlamts. Für den Fall, dass keine Briefwahlunterlagen beantragt wurden, werden die Bürger gebeten, sich unverzüglich mit dem Wahlamt in Verbindung zu setzen.
Es ist jedoch davon auszugehen, dass Wahlbetrüger sich gezielt die Daten von Personen besorgen, von denen sie annehmen, dass diese sich nicht für das politische Geschehen interessieren und im Zweifelsfall ein Infoschreiben des Wahlamts unbeachtet in den Papierkorb werfen.
Keine Obergrenze bei Onlineverfahren
Der Trick mit den umgeleiteten Unterlagen wird dadurch begünstigt, dass Briefwahlunterlagen unbegrenzt häufig zu ein und derselben Adressen umgeleitet werden dürfen.
Während eine Person für maximal vier andere Wähler im Wahlamt Briefwahlunterlagen abholen darf, gibt es bei der Versendung an Adressen im Onlineverfahren keine Obergrenze.
Fälle aus der Vergangenheit hatten kaum Konsequenzen
Die Adressen, zu denen die Briefwahlunterlagen umgeleitet werden, können Firmen, Vereine oder auch Religionsgemeinschaften sein. So hatte der hr Ende 2021 über Verdachtsfälle berichtet, wonach in einer Moscheegemeinden in Frankfurt hunderte Wahlscheine zugunsten bestimmter Namen auf der Wahl für das Kommunale Ausländerparlament (KAV) verändert worden sein sollen.
Weibliche Bewerberinnen auf der SPD-Liste wurden durch entsprechende Häufung von Kreuzchen und Streichung (kumulieren und panaschieren) von der Liste verdrängt. Ähnliche Vorfälle mit Briefwahlunterlagen hatte es auch bei vorangegangenen KAV Wahlen gegeben. Ermittlungen wurden damals nicht eingeleitet.
Immer wieder Unregelmäßigkeiten
Wegen zahlreicher festgestellten Unregelmäßigkeiten hatte der Groß-Gerauer Kreistag im Oktober 2021 beschlossen, die Briefwahl in Rüsselsheim zu wiederholen. Vorausgegangen waren Ermittlungsverfahren gegen mehrere Personen, die sich mit gefälschten Unterschriften Briefwahlunterlagen besorgt haben sollen.
In Kelsterbach kam es nach vier Jahren Ermittlungen 2020 zur Anklage gegen drei Verdächtige wegen Wahlbetrugs bei der Kommunalwahl 2016. Sie sollen sich mittels gefälschter Unterschriften Briefwahlunterlagen besorgt haben.
Nach dem Tod des Hauptverdächtigen wurde ein Verfahren gegen einen anderen Beteiligten gegen Geldauflage eingestellt. Der dritte mutmaßlich Tatbeteiligte soll inzwischen Deutschland verlassen haben, weswegen sein Fall laut der Sprecherin des Amtsgerichts Rüsselheim derzeit nicht verhandelt werden kann.
Briefwahl bald für alle Wahlen in Hessen
Trotz der in den vergangenen Jahren bekannt gewordenen Fälle von Missbrauch der Briefwahl, sieht das hessische Innenministerium keinen Handlungsbedarf. Die Vorschriften zur Durchführung der Briefwahl böten "einen ausreichenden Schutz vor Missbrauchsgefahren", erklärt eine Sprecherin.
Die schwarz-rote Koalition plant, durch eine Gesetzesänderung auch für die Wahlen kommunaler Ausländerparlamente die Briefwahl verbindlich für jede Kommune einzuführen. Damit wäre bei jeder Wahl in Hessen die Stimmabgabe per Brief möglich.