Hessen Staatstheater Kassel: Atlantis regt zum Nachdenken an
27 Darsteller, fast alle Laien, verhandeln über Demokratie und Gestaltungsmöglichkeiten in der Gesellschaft. Das neue Stück "Atlantis" am Staatstheater Kassel stellt die ganz großen Fragen – und bindet die Schauspieler auf besondere Art ein.
Rosa Trolle mit breiten Schultern und langen, grünen Fingernägeln kommen auf die Bühne und schauen sich um. Da liegen Menschen, die mit einem Flugzeug abgestürzt sind und jetzt in Atlantis festsitzen. Mit dieser Szene zieht das Theaterstück die Zuschauer in die Geschehnisse an dem sagenumwobenen Ort, der das Sinnbild einer perfekten Demokratie ist.
Mischung aus Unterhaltung und Impulsen
Am Samstag feiert das Jugendstück seine Premiere am Staatstheater Kassel. Es thematisiert Fragen, die in einer Gesellschaft aufkommen können, wenn es um die Gestaltung der Zukunft geht. Ein Lehrstück sei "Atlantis" aber nicht, betont Regisseur Florian Hein: "Es gibt keine Verweise auf die Gegenwartspolitik. Wir versuchen, den Umweg über die Abstraktion zu gehen."
Die Arbeit mit den Plus-Darstellern war für Regisseur Florian Hein nicht groß anders als mit Profis.
Das Stück solle unterhalten und gleichzeitig zum Nachdenken anregen. Denn die Demokratie in Atlantis muss durchgehend verhandelt werden. Die Reisegruppe stellt sich Fragen wie: Wie entscheiden wir gemeinsam, wie unsere Zukunft aussieht? Durch verschiedene Meinungen entstehen zahlreiche Diskussionen.
Beeinflusst werden die Diskussionen durch böse Trolle und die Bewohner von Atlantis. Auch das Chaos tritt als Figur auf und möchte geformt werden – zu was, müssen die Gestrandeten sich überlegen.
Atlantis soll Gesellschaft repräsentieren
Als Produktionsleiterin hat Barbara Frazier die Plus-Darsteller mit ausgesucht.
Die diverse Gesellschaft, die in dem Jugendstück dargestellt wird, spiegelt sich auch in der Besetzung wider. 25 der 27 Schauspieler sind sogenannte Plus-Darsteller, Laien aus Kassel. Seit vier Spielzeiten hat das Staatstheater dieses Modell, erklärt Barbara Frazier. Sie ist für das Plus-Ensemble zuständig und hat die Gruppe für Atlantis zusammengestellt.
"Das ist es eine Mischung aus Menschen, die schon im Ensemble waren, die wir auf der Straße, in der Uni oder Schule angesprochen haben", sagt Frazier. Am Ende solle die Gesellschaft möglichst gut repräsentiert werden.
Intensive Betreuung der Laien
Pina Fromm spielt einen der Trolle und steht zum ersten Mal auf der Bühne des Staatstheaters. Die Zusammenarbeit mit den Profis sei unkompliziert gewesen, sie habe einiges gelernt, sagt die Zwölfjährige: "Wenn man sich zum Beispiel verspricht, muss man einfach drüber hinweggehen und weitermachen."
Auf der Bühne trägt Pina ein Trollkostüm und kommt aus einer Klappe im Boden gekrochen.
Sie ist nicht die einzige Schülerin, die an der Produktion beteiligt ist. Aus diesem Grund wurden einige Proben und Treffen in die Weihnachtsferien gelegt.
Auch Giuseppe Pio Ceravolo ist zum ersten Mal Teil des Plus-Ensembles. Den 20 Jahre alten Studenten hat es überrascht, wie viele Menschen an einer Theaterproduktion beteiligt sind. Er hofft, über sein Engagement perspektivisch am Theater Fuß fassen zu können.
Eine Aufwandsentschädigung erhalten die Plus-Darsteller nicht. Dafür eine Art Mini-Ausbildung, während der sie intensiv theaterpädagogisch betreut werden. Dabei sollen, so Frazier, die Personen und ihre Biografien im Mittelpunkt stehen.
Darsteller wirken an Text mit
Das gute Miteinander am Theater hat Giuseppe Pio Ceravolo begeistert.
In der Produktion Atlantis hatten die Darsteller Einfluss auf die Texte. Obwohl das Stück vorab ausgewählt wurde, haben sie alle zusammen über die gestellten Fragen gesprochen, beschreibt Regisseur Florian Hein den Prozess. Szenen wurden umgeschrieben, hinzugefügt oder gestrichen.
"Wenn wir über die Gesellschaft sprechen haben Elfjährige einen anderen Erfahrungshorizont als die 78-Jährigen", schildert Hein. "Wir versuchen, diese Vielfältigkeit auf die Bühne zu bringen."
Seitenwechsel möglich
Die Bewohner von Atlantis möchten die Gestrandeten davon abzuhalten, zu bösen Trollen zu werden. In manchen Fällen klappt das – aber auch andersherum können die Zuschauer einen Wandel erwarten.
Pina und Giuseppe sind jedenfalls bereit, als Trolle auf der Bühne zu stehen und mit ihrem Schleim und ihren Gedanken einige Gestrandete zu infizieren – oder es zumindest zu versuchen.
Die Vorstellung am 26. Januar wird auch in Gebärdensprache übersetzt.