Timo Boll grinst in die Kamera

Hessen Timo Boll: "Ich kann ohne Totalschaden aus der Karriere rausgehen"

Stand: 06.06.2025 07:17 Uhr

Es gibt kaum ein Attribut, das zu groß wäre, um Timo Bolls Stellenwert im Tischtennis zu beschreiben. Sein Privatleben: bis heute ein maximaler Kontrast. Im Interview erklärt er, warum er roten Teppichen ausweicht, Dirk Nowitzki nicht beneidet und im Wohnmobil schläft.

Irgendwann geht sie dann doch zu Ende, diese fast schon unglaubliche Reise, die den jungen Timo aus dem Odenwald um die ganze Welt geführt hat. All die Abschiede, Blumensträuße und Hymnen, die auf ihn angestimmt werden, berühren Timo Boll natürlich. Aber irgendwie freut er sich auch darauf, wenn wirklich alles vorbei ist und er am Sonntag, 15. Juni, mit 44 Jahren das letzte Spiel seiner glanzvollen Karriere beendet haben wird.

Olympische Spiele, Weltmeisterschaften, seine Duelle mit den Topspielern aus China, wo er selbst ein Superstar ist: Timo Bolls Karriere könnte Bücher füllen. Doch es charakterisiert ihn, dass er auch auf den letzten Metern seines Profidaseins gar nicht so gern über sich sprechen möchte. Im Interview mit dem hr-sport für eine Doku zu seinem Karriereende (ab dem 16.6. in der ARD-Mediathek und um 21 Uhr im hr-fernsehen) hat er es dennoch getan.

hessenschau.de: Timo Boll, was tut einem 44-jährigen Profisportler eigentlich morgens alles weh?

Timo Boll: Ich habe das große Glück, dass mich meine Ärzte gut eingestellt haben. Aktuell geht es echt ganz gut, fast besser als in vielen Phasen meiner Karriere. Das ist ein schmaler Grat. Man hält sich natürlich immer irgendwo am Limit auf und manchmal ist man drüber. Dann war es zu viel und man wird zurückgeworfen und auch bestraft für den Fleiß. Selbst nach so vielen Jahren ist es immer noch schwierig, seinen Körper einschätzen zu können. Aber ich glaube, ich werde aus der Karriere rausgehen ohne einen Totalschaden. Das war mir auch wichtig.

Doku zum Abschied
Timo "Magic" Boll – Abschied einer Tischtennis-Legende

Die ganze Doku gibt's am 16. Juni (21 Uhr) im hr-fernsehen und in der ARD Mediathek

hessenschau.de: Warum ist jetzt der richtige Zeitpunkt fürs Karriereende?

Timo Boll: Ich bin einfach ein Sportfan und schaue nicht nur gern alle möglichen Sportarten, sondern übe die auch gerne aus. Das durfte ich die ganze Zeit nicht. Deshalb freue ich mich auch auf den Tag, wo ich dann mal andere Sportarten wieder betreiben kann. Von daher habe ich da hoffentlich rechtzeitig die Reißleine gezogen, auch wenn ich die Karriere lange hinauszögern konnte. Das war mir immer wichtig und das haben ja auch viele andere Sportler gesagt: Den Zeitpunkt sollte man nicht verpassen, weil das einfach das größte Gut ist.

hessenschau.de: Für die meisten wäre zwangsläuflig schon deutlich früher Schluss gewesen. Wie haben Sie es geschafft, überhaupt so lange auf diesem Niveau zu spielen?

Timo Boll: Ich habe immer auf meinen Körper gehört, immer versucht, kurz unterhalb des Limits zu sein, mich nicht kaputtzumachen. Immer auch im Hinblick darauf, vielleicht eine lange Karriere betreiben zu können. Das hatte ich schon immer im Kopf und das hat mir auch mein Arzt gesagt: Man hat nur eine gewisse Laufleistung, wie ein Auto zum Beispiel. Irgendwann ist der Motor kaputt. Deshalb musste ich immer ein bisschen haushalten. Ich war fast jede Woche beim Arzt, habe mich durchchecken lassen, viel Zeit investiert, auch für die Regeneration, habe mich teilweise bei Turnieren zwei-, dreimal am Tag behandeln lassen, einfach damit da gar nicht irgendwelche Probleme aufkommen. Ich war da immer sehr professionell.

hessenschau.de: Zum Bild eines Profis gehört für Sie unbedingt auch Fairness. Warum hat Fair Play so einen hohen Stellenwert für Sie?

Timo Boll: Die Fairness kam immer nur durch die Selbsterkenntnis. Klar hat mich mein Elternhaus schon dazu erzogen, ein anständiger Mensch zu sein. Als ehrgeiziger, junger Spieler hat man vielleicht doch mal einen Kantenball mitgenommen, den keiner gesehen hat, und das hat sich einfach nicht so gut angefühlt. Ja, man hat dann das Spiel gewonnen oder sogar das Turnier, aber man hatte immer im Hinterkopf: Da war der eine Ball. Das hat sich für mich so falsch angefühlt, dass ich irgendwann für mich gesagt habe, das brauche ich nicht, das fühlt sich irgendwie schäbig an.

hessenschau.de: Hat sich das für Sie ausgezahlt?

Timo Boll: Vielleicht kam das am Anfang nicht immer zurück, aber auf Dauer dann schon. Ich bin dadurch, glaube ich, auch mit gutem Beispiel vorangegangen. Es ist wichtig, dass die Topspieler das machen, um das zu etablieren und das Unfairsein in Verruf zu bringen. Ich habe nie irgendeinem Spiel nachgetrauert, in dem ich vielleicht durch die Fairness das Spiel oder den Punkt verloren habe. Auf jeden Fall habe ich mir viele Sympathien damit eingebracht und ein reines Gewissen. Das ist vielleicht das Wichtigste.

hessenschau.de: Bei manchen Turnieren haben Sie im Wohnmobil geschlafen. Die Verbundenheit zu Ihrer Heimat im Odenwald ist hinlänglich bekannt. Woher kommt diese Bodenständigkeit?

Timo Boll: So bodenständig sehe ich mich manchmal gar nicht. Ich habe auch ein schönes Haus und ich lebe ja nicht immer im Wohnmobil. Ich bin sehr heimatverbunden, das stimmt. Mich hat es nie so in diese Glamourwelt gezogen. Wenn ich eine Gala absagen konnte, dann habe ich das getan. Für mich war der rote Teppich eigentlich immer eher anstrengend, die ganzen Smalltalks zu führen. Ich meine, es ist schön, in so eine Welt einzutauchen, aber ich musste da immer schnell wieder raus. Dieses Normale, die Freunde von früher zu treffen und auf hessisch zu babbeln. Das ist schon schön und das fühlt sich gut und normal einfach an.

hessenschau.de: Sie haben eine makellose Karriere hinter sich. Einzel-Gold bei Olympia haben Sie jedoch verpasst. Nagt so etwas an Ihnen?

Timo Boll: Ich habe gefühlt immer mehr erreicht, als ich für möglich gehalten hätte. Und deshalb ja, wäre das vielleicht das i-Tüpfelchen gewesen für viele Außenstehende. Aber ich bin damit absolut d'accord. Ich freue mich über die vielen schönen Momente, die ich hatte. Ein paar traurige, wo man ein bisschen enttäuscht war, die gehören einfach dazu. Ich glaube, es gibt keine Sportlerkarriere, wo alles perfekt gelaufen ist.

hessenschau.de: Tischtennis ist eine Randsportart. Haben Sie sich manchmal gewünscht, vielleicht im Fußball so talentiert zu sein, wenn Sie sehen, was ihre Kollegen dort verdienen?

Timo Boll: Ich bin zum Glück so erzogen worden, dass nicht so wirklich Neid bei mir aufkommt. Natürlich, weil es mir auch von Anfang an immer gut ging und ich sehr früh schon Geld verdient habe. Deshalb habe ich immer eher nach unten geguckt, dass es vielen schlechter geht als mir, auch vielen Sportlern. Wenn du dann das erste Mal bei Olympia bist und siehst, dass die meisten gar nicht von dem Sport leben können oder nur davon leben können, weil sie beim Zoll sind oder nebenbei noch studieren oder sogar einen Beruf haben und gar keine wahren Profis sind, das hat mir aufgezeigt, dass es uns Tischtennisspielern verdammt gut geht.

hessenschau.de: Thomas Müller oder Dirk Nowitzki verdienen in ihren Sportarten dennoch ein Vielfaches.

Timo Boll: Ich habe natürlich auch Menschen aus der Kategorie Thomas Müller oder Dirk Nowitzki kennengelernt. Die verdienen viel Geld, haben auf der anderen Seite aber auch viele Einschränkungen. Die können nicht mehr normal in die Stadt gehen und sich in ein Café setzen. Ich kenne das ja auch aus China, dass es sehr anstrengend ist. Deshalb bin ich einfach happy, dass ich so eine ausgewogene Balance habe. Ich konnte super von meinem Job leben, habe aber auch noch dieses normale Leben. Ich möchte nicht tauschen.

hessenschau.de: Ihre letzte Bundesliga-Saison ist ein großes Schaulaufen. Bei Spielen, zu denen sonst vielleicht 200 Leute kommen, saßen jetzt 5.000 oder mehr. Sie werden von Sprechchören begleitet und gefeiert. Wie nehmen Sie das auf?

Timo Boll: Auf der einen Seite natürlich sehr dankbar, diesen Respekt zu verspüren von den Zuschauern. Manchmal denke ich mir auch: Ach, was hast du dir denn da noch mal aufgehalst, das so öffentlich zu machen. Weil es natürlich auch anstrengend ist. Ich bin nicht der Typ, der so besonders herausgestellt werden möchte. Und dann da noch mal eine Extra-Ehrung. Auf der anderen Seite versuche ich es einfach zu genießen.

Das Gespräch führte Christian Adolph