
Hessen Zehn Jahre Auerrindprojekt: Ausgestorbener Auerochse kehrt nach Lorsch zurück
Lange war der auch in Hessen heimische Auerochse wichtig für Mensch und Natur - bis er ausgerottet wurde. Das Freilichtlabor Lauresham in Lorsch versucht seit zehn Jahren, ein dem Tier nachempfundenes Auerrind zu züchten. Mit Erfolg.
Eine Handvoll Rinder weidet auf den Wiesen inmitten des kleinen, originalgetreu nachgebauten Dorfes aus dem 9. Jahrhundert. Die mächtigen Tiere halten respektvoll Abstand von den Menschen, die das UNESCO Weltkulturerbe im Freilichtlabor Lauresham besuchen.
Doch normale Rinder sind es nicht, die hier in Lorsch (Bergstraße) die warme Frühlingssonne genießen. Bei genauerem Hinsehen fällt nicht nur die überdurchschnittliche Größe der Tiere auf, sondern auch ihre imposanten, dicken Hörner und ihr ungewöhnlicher Strich auf dem Rücken.
Comeback des ausgestorbenen Auerochsen als Ziel
Was hier im Freilichtlabor gezüchtet wird, sind Auerrinder. Denn das Freilichtlabor will den Auerochsen zurückbringen. Das Problem: Der Auerochse ist ausgestorben, das letzte bekannte Exemplar starb 1627 in den Wäldern von Polen.
Für das sogenannte Auerrindprojekt wurden sechs Rinderrassen eingesetzt, die gekreuzt worden sind. "Im Grunde genommen ist es eine klassische Zuchtarbeit, die wir hier betreiben", sagt Projektleiter Claus Kropp. "Wir klonen nicht, sondern versuchen eine Rinderrasse zu erschaffen, die dem Auerochsen gleicht."

Projektleiter Claus Kropp neben einem Auerrind der ersten Generation
Verschiedene Rinderarten gekreuzt
2015 kamen die ersten Tiere zu den Züchtern nach Lorsch. Angefangen wurde mit der Kreuzung des ursprünglich italienischen Chianina-Rindes und des ostafrikanischen Watussi-Rindes, erklärt Lina Trautmann, die das Zuchtbuch des Auerrindprojektes führt. Das Chianina-Rind zählt zu den weltweit größten Rindern, das Watussi-Rind hat besonders ausladende Hörner.
"Dann wurde eine andere Linie gezüchtet, die das Ungarische Steppenrind mit dem spanischen Sayaguesa-Rind gekreuzt hat", so Trautmann. Diese seien unter anderem für ihre großen Schädel und Hörner bekannt. Seither erfolgt eine Weiterzüchtung innerhalb der verschiedenen Linien.
Dem Auerochsen immer ähnlicher
Die schwarzen Auerrinder der dritten Generation kommen einem Auerochsen schon recht nah, sagt Trautmann. "Besonders der Aalstrich auf dem Rücken der Rinder ist typisch gewesen für den historischen Auerochsen. Und auch die Hörner werden immer größer."
Nun gelte es, die richtigen Tiere weiterhin miteinander zu kreuzen, so Projektleiter Kropp. Das Endziel seien Rinder, die bis zu 1.80 Meter Schulterhöhe erreichen, nach vorne und nach innen gerichtete Hörner haben sowie einen Aalstrich und eine weiße Schnauze.
Natur wie vor 1.200 Jahren
Die Rinder sollen sowohl Teil eines wachsenden Projektes zum Naturschutz sein als auch ein Teil lebender Geschichte. "Ziel des Freilichtlabors ist es, Besuchern zu zeigen, wie unsere Vorfahren vor 1.200 Jahren gelebt haben", erzählt Projektleiter Kropp.

Ein fast vollständiges Skelett eines Auerochsen
Das versuche man nicht nur mit den originalgetreuen Nachbildungen der Siedlung zu erzielen, sondern auch, indem man die dazugehörige Wildnis miteinbeziehe. "Was hat die Wildnis vor 1.200 Jahren ausgemacht? Da hat der Auerochse als einer der großen Pflanzenfresser in der Landschaft einfach dazugehört", erklärt Kropp.
Hörner als begehrte Jagdtrophäe
In der Zeit um 800 nach Christus, die in Lauresham abgebildet wird, trieb sich der Auerochse noch zahlreich in Wäldern und auf Wiesen herum. Doch dann wurder er zum Prestige-Jagdobjekt für die Oberschicht. "Den Herrinnen und Herren ging es oft um die großen Hörner, die dann als Trinkhörner genutzt und verziert wurden", erklärt Kropp.
Auch im nachgebildeten Herrenhaus in Lauresham hängt ein solches Trinkhorn.

Lina Trautmann mit einem historischen Trinkhorn von einem Auerochsen
Nach und nach wurde der Lebensraum des Auerochsen zerstört, das Tier gejagt und durch Hausrinder ersetzt, bis die Rasse ausgestorben war.
Das Auerrindprojekt deutschlandweit
In den zehn Jahren Züchtung hat sich das Projekt zum Beweidungs- und Naturschutzprojekt erweitert.
Neben dem Zuchtstandort in Lorsch gibt es mittlerweile auch weitere Standorte im Kreis Bergstraße, wie in Einhausen, Bensheim und Groß-Rohrheim. Auch außerhalb Hessens, im nordrhein-westfälischen Bielefeld oder dem baden-württembergischen Unterschwarzach, werden die Auerrinder gezüchtet und gekreuzt.
Nun will auch Riedstadt (Groß-Gerau) von dem Auerrindprojekt profitieren. Die dortige Umweltplanung führte mit Claus Kropp bereits Gespräche zu der Idee, die Tiere dort in einem Naturschutzgebiet dort weiden zu lassen.

Zwei Auerrinder mit ausgeprägten Merkmalen eines historischen Auerochsen
Das Füllen ökologischer Nischen
Im Naturschutz soll das moderne Auerrind in die Fußstapfen des wilden Auerochsen als großer Pflanzenfresser treten und eine wichtige Rolle für das natürlichen Beweiden und die Artenvielfalt leisten, so die Hoffnung.
Zum Beispiel durch ihre Abdrücke, die die Tiere in feuchten Böden hinterlassen, wie Kropp erläutert. "In denen fühlen sich Amphibien sehr wohl." Durch die von ihnen geschaffenen Pfade enstünden für andere Tiere wichtige Lebensräume. Wichtig sei auch der Kot der Auerrinder. "Das ist ein wichtiger Lebensraum für Käfer und Nahrung für Vögel", sagt Kropp.
Von Cäsar einst gefürchtet
Als Nutztiere werden die gezüchteten Auerrinder nicht gebraucht. "Der Auerochse war so etwas wie der wilde Vorfahre unserer Rinder", erklärt Lina Trautmann. "Und so züchten wir die Tiere auch."
Angst muss man vor den Auerrindern trotz ihrer mächtigen Erscheinung nicht haben. Diese sind laut Kropp eher menschenscheu. Anders als die angriffslustigen Auerochsen, die Julius Caesar vor 2.000 Jahren noch als Sinnbild für die ungezähmte Wildheit Germaniens sah. Er schrieb: "Jeder Mensch, jedes Tier, das sie erblicken, ist verloren."