Aussichtsturm Liepgarten

Mecklenburg-Vorpommern Wackelnder Aussichtsturm in Liepgarten sorgt für Streit

Stand: 16.04.2025 13:17 Uhr

Der Aussichtsturm in Liepgarten am Stettiner Haff wackelt stärker als erwartet. Die Gemeinde sieht ein Sicherheitsrisiko, der Konstrukteur nicht. Jetzt soll ein Gericht den Fall klären.

Von Frank Schwarz

Für Liepgarten am Stettiner Haff im Landkreis Vorpommern-Greifswald ist der Turm auf dem Apothekerberg eine Attraktion. "Wir haben ein neues Wahrzeichen", sagt Bürgermeister Falk Becker (CDU), blickt aber mit eher sorgenvoller Miene auf die Spitze des Aussichtsturmes. Die Gemeinde hatte mit Fördergeldern die Attraktion des Ortes für 560.000 Euro bauen lassen. Vor gut 18 Monaten wurde der Turm noch umjubelt eingeweiht. Von hier aus kann man bei gutem Wetter bis nach Stettin schauen.

Frühzeitige Sorgen um Stabilität

Die Freude über den Turm währte nach seiner Einweihung nur ein halbes Jahr. Der 17 Meter hohe Aussichtsturm wackelte zu stark. Die Schwingungen von mehreren Zentimetern, die von Gästen auf der Plattform schnell durch Schritte oder dem Ziehen an der Brüstungsstange erzeugt werden konnten, waren und bleiben bis heute für den Fachmann Thomas Stampa gefährlich. Er ist Bauingenieur für Stahlbau und Tragwerksdynamik und bezeichnet die wacklige Angelegenheit als schwingfähiges System, dass bei der Planung nicht genügend auf die Auswirkungen dynamischer Bewegungen geachtet wurde.

Gefährliche Resonanz durch Schwingungen

"Es gibt kein Bauwerk, das nicht schwingt. Ob der Eiffelturm oder dieser Aussichtsturm. Das ist erst mal unproblematisch. Ob das Bauwerk schwingungsanfällig ist, hängt von der Art der dynamischen Belastung ab", sagt Stampa. Wenn das Feder-Masse-System aber in seiner Eigenfrequenz zu schwingen beginne, werde es problematisch. "Da kann es zum Kollaps kommen." Die Physiker nennen das Resonanz, die zerstörerisch werden kann, wenn sich Frequenzen überlagern. Aus der Schulzeit kennen viele dieses Beispiel: Wenn man im Gleichschritt über eine labile Brücke geht, beginnt sie zu schwingen und kann dabei zerstört werden.

Turmsperrung und Sicherheitsbedenken

Der Bürgermeister musste reagieren und ließ den Turm sperren. Seit einem Jahr darf niemand mehr hinauf. Der Blick bis nach Stettin bleibt den Liepgartenern und Gästen verwehrt. "Wir müssen das prüfen lassen. Diese starken Schwankungen sind ein Risiko, das sieht man", sagt Becker. "Was ist, wenn als Beispiel, wenn ein älteres Ehepaar hier auf dem Turm ist, möchte runtergehen und zwei Jugendliche oder zwei Erwachsene schaukeln den Turm auf. Die alten Leute würden vielleicht stürzen." Becker sieht dann die Gemeinde Liepgarten in der Haftung und möchte eine schnelle Klärung.

Aussichtsturm in Liepgarten

Seit einem Jahr darf niemand mehr auf den Turm.

Konstrukteur sieht kein Problem

Das sieht der Konstrukteur des Turmes anders. Siegfried Raub ist Bauingenieur und meint, dass es sich hierbei um ein Bauwerk für touristische Zwecke handele. Da würden nicht so hohe Maßstäbe für die Gebrauchstauglichkeit gelten. „Das Problem ist aus meiner Sicht gar nicht existent. Der Turm wurde ordnungsgemäß berechnet. Die statischen Berechnungen wurden ordnungsgemäß geprüft und es hat auch eine renommierte Baufirma diesen Turm errichtet.“

Vor-Ort-Termin zeigt das Ausmaß

Bei einem Ortstermin mit Ausnahmegenehmigung und auf eigene Gefahr zeigen Bürgermeister Falk Becker und Bauingenieur Thomas Stampa auf dem Turm das Problem. Mit wenig Aufwand kann der 17 Meter hohe Turm ins Wanken gebracht werden. Er reagiert wie ein Wackelpudding. "Wenn das, was wir hier zu zweit zeigen, von vielleicht fünf oder noch mehr Leuten gemacht werden würde, möchte ich die Schwingungen nicht erleben", meint der Bürgermeister. Man muss schwindelfrei sein und oder sich festhalten. Bei diesen Schwankungen könnte vielen schon beim Hinsehen schlecht werden. Bleibt die Frage, ob das alle Bauteile über längere Zeit aushalten. Auch bei vier Jahren Garantie.

Streit um Mängel und Verantwortung

Aus der wackligen Angelegenheit ist ein Streitfall geworden. Die Gemeinde befürchtet Mängel am neuen Wahrzeichen des Dorfes. Ein Rechtsanwalt wurde beauftragt, am Landgericht Neubrandenburg ein selbständiges Beweisverfahren anzustrengen. Das entsprechende Schreiben sei zum Gericht unterwegs. Ein Sachverständiger soll sich den wackelnden Turm ansehen. Der Bauingenieur Siegfried Raub aus Ferdinandshof versichert, dass die Schwingungen normal seien und es an anderen Bauwerken größere Schwankungen gebe. "Wir haben bei der statischen Berechnung nicht nur die Stützen und Träger berechnet und nachgewiesen, sondern auch jede Schweißverbindung und jede Schraubverbindung. Bei keiner der Verbindungen gab es irgendein Problem."

Zukunft des Turms ungewiss

Ein Prüfingenieur aus Pasewalk habe den Bau abgenommen, fügt Raub hinzu. Ein Gespräch bei der Amtsverwaltung in Eggesin mit allen Beteiligten verlief erfolglos. Konstrukteur Raub bleibe dabei, dass alles in Ordnung sei, erklärt Becker. Bauingenieur Stampa sieht das Risiko unverändert und regt bauliche Korrekturen an. Gibt es in dem Streitfall keine außergerichtliche Einigung, wer gegebenenfalls Korrekturen bezahlt, droht ein Gerichtsverfahren am Landgericht Neubrandenburg. Noch bleibt die Zukunft des wackelnden Turms von Liepgarten ungewiss. "Ich hoffe, dass wir bis zum Jahresende eine Entscheidung haben und vielleicht im nächsten Jahr der Turm wieder begehbar ist", hofft Bürgermeister Becker.

Dieses Thema im Programm:
NDR Fernsehen | Nordmagazin | 16.04.2025 | 19:30 Uhr