
Niedersachsen Rekruten gesucht: Wie die Bundeswehr an Schulen informiert
Martin Wiemann ist Jugendoffizier. Als Öffentlichkeitsarbeiter der Bundeswehr ist er an Schulen in Niedersachsen unterwegs, um über den Dienst an der Waffe, Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu informieren.
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) will die Bundeswehr in den kommenden Jahren um 50.000 bis 60.000 Soldatinnen und Soldaten aufstocken. Aber woher sollen die kommen? Die allgemeine Wehrpflicht ist ausgesetzt, der Minister setzt noch auf Freiwillige. Umso wichtiger ist es, über die Bundeswehr zu informieren. Das tun Jugendoffiziere - auch wenn sie niemanden direkt für die Bundeswehr anwerben dürfen. Sie erklären potenziellen Rekruten, worum es geht. Währenddessen entbrennt im Land die Diskussion um das Wiedereinsetzen der Wehrpflicht.
Jugendoffiziere sind an Schulen gern gesehen
"Moin Wolfgang"
"Hallo, komm rein, willst Du einen Kaffee haben?"
"Gern, wie immer: schwarz."
Der Empfang ist herzlich, fast schon familiär, als Lehrer Wolfgang Drautmann die Tür zum Lehrerzimmer öffnet. Davor steht Martin Wiemann, 44 Jahre alt, seit 24 Jahren bei der Bundeswehr. Er ist Hauptmann bei der Luftwaffe - und war auch schon in Afghanistan im Einsatz. Wiemann weiß also, wovon er spricht, wenn er zur "Truppe" befragt wird.

Jugendoffizier Martin Wiemann spricht mit einer Schulklasse in Emden über die Bundeswehr.
Informieren ja, unterschreiben nein
Bei seiner Arbeit als Jugendoffizier arbeitet Wiemann nicht etwa so wie die Anwerber der US-Army, die in Filmen in den Einkaufszentren gezeigt werden und dort jungen Männer eine Unterschrift für eine Verpflichtung bei den Streitkräften abnötigen. Das ist in Deutschland nicht erlaubt. Martin Wiemann kommt an die Schule, um zu informieren. Sein Dienstort ist Wilhelmshaven, er ist als einer von 90 Jugendoffizieren in Deutschland zuständig für Friesland, Ostfriesland, das Ammerland und die Wesermarsch. Um heute zu den ersten beiden Stunden nach Emden ans Johannes-Althusius-Gymnasium zu kommen, musste Wiemann früh aufstehen.
Ansehen der Bundeswehr ist gestiegen
Das Thema "Bundeswehr" wird in der Öffentlichkeit seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine anders gesehen, das Ansehen der Bundeswehr steigt seitdem: Umfragen zeigen, dass drei Viertel der Bevölkerung den Soldatinnen und Soldaten derzeit vertrauen. Ein wenig missfällt das Lehrer Wolfgang Drautmann, sagt er schmunzelnd, aber nur aus einem harmlosen Grund, der die Diskussionen im Unterricht betrifft: "Die Tendenz ist so, dass es eine Einigkeit gibt, die schwer aufzubrechen ist. Diskussionen, die kontrovers sind, sind schwierig zu führen. Während es früher ja viele Gegner der Bundeswehr gab, Pazifisten, Menschen, die das sehr kritisch gesehen haben, das hat sich ganz stark gewandelt."
Jugendoffizier: "Themen haben sich geändert"
Hauptmann Wiemann ergänzt: "Die Themen haben sich geändert. Während ich zum Anfang meiner Jugendoffizierzeit tatsächlich zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr viel vorgetragen habe, hat sich jetzt die Themenlage zum Thema Ukrainekrieg, Befähigung der Bundeswehr, Zeitenwende einfach gewandelt. Ich finde, die Schüler sind reflektierter geworden. Das Thema betrifft sie und holt sie auch ab."
Tote, Panzer, Stromausfälle
Hauptmann Wiemann macht im Unterricht einen großen Exkurs durch die aktuelle Politik, startet in der Ukraine. Er zeigt die Frontverläufe. Es geht um Tote, Abnutzung von Panzern und Kanonen, zerschossene Häuser und Stromausfälle. Ein schonungsloses Bild des von Russland begonnenen Krieges - auch um zu zeigen, dass man als Nation eine wehrhafte Armee braucht, so wie die Ukraine.
Grundgesetz immer in Griffweite
"Es ist wichtig, dass wir den Schülern die Realität zeigen. Ich bin nicht hier, um einen Friede-Freude-Eierkuchen-Film zu zeigen. Sondern die Schüler sollen ja sehen, dass das, was täglich in den Medien und in der Politik debattiert wird, auch einen Grund hat. Darum zeige ich die Konsequenzen auf und die Ursachen dafür", erklärt Wiemann. Dabei immer in Griffweite des Hauptmanns: Ein Grundgesetz, denn da stehe die Legitimation für die Bundeswehr und auch für die Wehrpflicht drin, sagt Wiemann.
Bundeswehr hat ein Personalproblem
In dieser Doppelstunde geht es auch um die Wehrhaftigkeit der NATO, um die so genannte "Ostflanke" und die Gefahr, die von Russland für den Rest Europas ausgeht. Es geht aber auch um neue Bündnisse und um die Aufrüstung in Deutschland. Wiemann referiert über das von Bundesverteidigungsminister Pistorius ausgegebene Ziel, die Bundeswehr in den kommenden Jahren um 50.000 bis 60.000 Soldatinnen und Soldaten aufzustocken, um kriegsfähig zu werden. "Man hat halt gesehen, die Anforderungen sind so enorm gestiegen, das ist nicht mit Geld allein zu machen", sagt Wiemann in Richtung Klasse. "Die Bundeswehr hat tatsächlich ein Personalproblem. Es sind nicht genug Kräfte da."
Ehrliche Antworten auf kritische Frage
Die Schüler merken, wohin die Reise in dieser Doppelstunde geht, es geht auch um ihre Bereitschaft, bei der Bundeswehr mitzumachen - ob nun freiwillig oder nach einer vielleicht wieder in Kraft gesetzten Wehrpflicht. Sie beteiligen sich lebhaft. "Ich habe gelesen, dass 27 Prozent aller Rekruten im Moment den Dienst quittieren", meldet sich ein Schüler zu Wort. "Die ehemalige Wehrbeauftragte nannte als Grund dafür Langweile, weil es nicht genug Ausbildungsstrukturen gibt. Woher wollen sie denn die Ausbilder nehmen?" Die Schüler sind sehr gut vorbereitet auf den Unterricht. Der Jugendoffizier kann die Frage parieren - mit Ehrlichkeit: "Das ist tatsächlich die große Herausforderung, deswegen sagt der Minister ja auch erstmal nur: 5.000 zusätzlich, um genau diese Kapazitäten auffahren zu können. Man kann sich Ausbilder nicht einfach aus den Rippen schneiden." Er macht den Jugendlichen auch an dieser Stelle nichts vor.
Fazit der Schüler überwiegend positiv
Bei den Schülern kommt die Doppelstunde gut an. "Ich glaube, dass Transparenz wichtig ist in diesem Kontext, um die meisten Mensch zu erreichen. Besonders, um die zu erreichen, die da gewollt sind", fasst eine junge Frau den Unterricht beim Hauptmann zusammen. Ein Mitschüler ergänzt: "Die Informationen sind richtig und wichtig, um auch die ganzen Vorurteile wegzuräumen, um so die Leute zu motivieren, und um vielleicht den Wehrdienst anzutreten." Sie loben auch den Dialog-Charakter, der durch die vielen Fragen der Teenager zustande gekommen ist.
"Sie haben mich auch herausgefordert"
Der Bundeswehr stehen sie in dieser zwölften Klasse überwiegend positiv gegenüber, auch die Schülerinnen. Einige von ihnen würden im Fall der Fälle Ersatzdienst machen, die sind aber in der Minderheit. Auch Jugendoffizier Martin Wiemann fand die Doppelstunde gelungen: "Das war wirklich ein klasse Unterricht. Sie haben mich auch herausgefordert mit der ein oder anderen Frage, das war eine runde Sache."
Dieses Thema im Programm:
NDR Fernsehen | Hallo Niedersachsen | 13.06.2025 | 19:30 Uhr