Lio sitzt im Klassenraum an seinem Laptop.

Niedersachsen Sehbehindertentag: Wie der elfjährige Lio seinen Alltag meistert

Stand: 06.06.2025 07:37 Uhr

Der elfjährige Lio aus Lähden (Landkreis Emsland) ist von Geburt an blind. Die Braille-Schrift ist sein täglicher Helfer, damit auch er lesen und schreiben kann. NDR.de hat ihn zum Tag der Sehbehinderten begleitet.

Von Anke Hoffmann

Matheunterricht in der 6a am Kreisgymnasium St. Ursula in Haselünne (Landkreis Emsland). Während die anderen Kinder die Rechenaufgaben im Schulheft lösen, schreibt und liest Lio Krasniqi am Laptop. An dem ist unterhalb der Tastatur eine weitere Tastatur angebracht, und zwar die Braille-Zeile. "Also die Braille-Zeile und den Laptop kann man so sehen, als wenn das mein Schulheft wäre. Ich kann ja nicht sehen, was in dem Heft steht, deswegen habe ich die Braille-Zeile", erklärt der Elfjährige aus Lähden. Die Braille-Zeile übersetzt für ihn das, was an Text auf dem Laptop steht. So kann er genauso wie die anderen Kinder im Unterricht mitmachen. Auf dem Laptop schreibt er dann mit dem Zehn-Finger-System das, was die anderen Kinder mit dem Stift in ihre Hefte schreiben.

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Von Geburt an blind

Lio ist ohne Augen auf die Welt gekommen. Seine gesamte Kindheit musste er regelmäßig zum Arzt, seine Augenhöhlen wurden immer wieder operativ korrigiert. Er trägt Prothesen, etwa jedes halbe bis ganze Jahr müssen auch diese überprüft und angepasst werden. Mittlerweile hat sich die achtköpfige Familie an den Alltag gewöhnt, doch direkt nach der Geburt war ihr Leben erstmal auf den Kopf gestellt. "Das war erstmal ganz schrecklich. Wir haben es bei allen Ärzten und Krankenhäusern versucht, ob es noch irgendeine Möglichkeit gibt", erinnert sich Lios Vater Jeton Krasniqi. Doch für Lio gab es keine Chance, doch noch etwas zu sehen, denn seine Augenkörper sind nicht ausgebildet.

Teure Hilfsmittel und viel Unterstützung

Damit Lio wie seine Geschwister auf eine Regelschule gehen kann, ist Schulbegleiterin Karin Knoll immer bei ihm. Sie begleitet Lio schon seit der ersten Klasse in den Unterricht. Zusammen haben sie die Punktschrift gelernt. "Alles, was wir sehen können und nicht beschrieben ist, muss ich Lio erklären", sagt Karin Knoll. In jeder Unterrichtsstunde sitzt sie neben Lio und unterstützt ihn. Sie arbeitet außerdem eng mit Lios Lehrern zusammen, damit der Elfjährige einen so normalen Unterricht wie möglich hat. Mittlerweile gibt es auch viel fühlbares Material für die Schule, beispielsweise ein Zeichenbrett für den Geometrieunterricht. Aber diese Hilfsmittel sind teuer. "Widersprüche sind an der Tagesordnung, Ablehnungen sind an der Tagesordnung. Da muss man immer dranbleiben", sagt Lios Mutter Julia Krasniqi. "Aber auch da kriegt man irgendwann ein dickes Fell."

Lio sitzt mit seiner Familie im Garten.

Mit sechs Kindern ist bei Familie Krasniqi immer etwas los.

Normalität im Alltag

Mit sechs Kindern ist bei Familie Krasniqi immer etwas los. "Lio bekommt keine Extrabehandlung", sagt Julia Krasniqi. "Ich glaube, das tut ihm aber auch gut." In seiner Freizeit spielt Lio am liebsten Fußball, er ist im Blindenfußballverein von Werder Bremen. Außerdem liest er sehr gerne. Die Bücher mit Braille-Schrift kann er sich bei der Medienzentrale für barrierefreies Lesen ausleihen. Dort ist zwar die Auswahl begrenzter als in einer Bibliothek für Sehende, aber Lio findet trotzdem immer ein neues Buch, das ihn interessiert. "Am liebsten lese ich Abenteuerbücher. Immer mal so zwischendurch. So ein Buch bekomme ich in einer Woche durchgelesen", erzählt Lio. Für ihn ist das Blindsein ganz normaler Alltag.

Die Braille-Schrift
Die Schrift mit den Punkten hat Louis Braille vor genau 200 Jahren erfunden. Auch heute nutzen blinde und sehbehinderte Menschen die Schrift noch unverändert. Sie besteht aus sechs tastbaren Punkten. Die sind in zwei senkrechten Reihen zu je 3 Punkten nebeneinander angeordnet und bilden die Grundform. Jede Punktkombination steht für einen Buchstaben oder eine Zahl. Für spezielle Sonderzeichen oder um beispielsweise mathematische Formeln anzuzeigen, gibt es noch zusätzliche Hilfszeichen.
(Quelle: Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e.V.)

Am Tag der Sehbehinderten am 6.6. wird auf die Bedürfnisse und Herausforderungen von Menschen mit einer Sehbehinderung aufmerksam gemacht.