
Nordrhein-Westfalen Koalitionsvertrag: Nullrunde für den Klimaschutz | MEINUNG
Die künftige Regierung hat den Klimaschutz hintenangestellt. Nur weil gerade andere Krisen drängen, dürfen Union und SPD da keine Abstriche machen, findet unsere Kolumnistin. Gerade die aktuellen schweren Regenfälle in Italien zeigen das nochmal deutlich.
Dänemark droht wegen der Klimakrise überflutet zu werden und wird evakuiert. Die Bewohner bitten in anderen europäischen Staaten um Klimaasyl. Das ist das Ausgangsszenario von "Families like ours".
Ich erinnere mich noch genau, wann die Serie startete. Nämlich an dem Wochenende als auch die Bundestagswahl stattfand. Eine Wahl, die von Themen wie Wirtschaft und Migration bestimmt wurde - aber sicherlich nicht vom Thema Klima.
Europa erwischt es mehr, als ich dachte
Beim Schauen der Serie dachte ich noch: Die Story ist etwas weit hergeholt. Warum sollte ausgerechnet Dänemark zuerst betroffen sein? Jetzt weiß ich: Das ist vielleicht doch realistischer als mir klar war. Der neueste Bericht des EU-Klimadienstes Copernicus ist gerade erschienen.
Er zieht auf Basis von Erdbeobachtungsdaten und Wetteranalysen den Schluss: Europa ist der Kontinent, der sich am schnellsten erwärmt und am stärksten von extremen Wetterereignissen und Klimawandel betroffen ist. Nicht kleine Inselstaaten im Südpazifik, nicht karge Wüstenregionen weit weg - nein, Europa!
Jeder zusätzliche Bruchteil eines Grades beim Temperaturanstieg ist von Bedeutung, da sich dadurch die Risiken für unser Leben, unsere Wirtschaft und unseren Planeten erhöht.
Celeste Saulo, Generalsekretärin der Weltorganisation für Meteorologie
Puh. Heftig. Und noch eine Aussage fand ich in diesen Tagen bemerkenswert. "Es ist erschreckend, wie früh es in diesem Jahr zu Vegetationsbränden kommt." Das hat der Sprecher der Feuerwehr Köln gesagt, deren Einsatzkräfte gerade erst einen Waldbrand zu löschen hatten. Einer von mehreren in NRW innerhalb weniger Tage. Und das Anfang April! Italien überziehen gerade heftigste Unwetter. Es gelten Warnungen, dort besser nicht Urlaub zu machen.
Koalition setzt Priorität bei Aufrüstung und Wirtschaft - nicht beim Klima
Nur mit der Politik scheinen diese (eigentlich längst bekannten) Erkenntnisse wenig zu machen. Der Koalitionsvertrag ist der Beweis. Union und SPD verfahren nach dem Motto: Die Klimakrise hat hintenanzustehen. Erstmal müssten wir aufrüsten und die Wirtschaft wieder ans Laufen bringen. Denn Krieg und Rezession - das seien ja die wirklich greifbaren und drängenden Probleme gerade.
Der Koalitionsvertrag widmet dem Thema Klima nur ein paar Absätze auf wenigen Seiten. Und wirklich bahnbrechend Neues ist nicht dabei. Ich habe das Gefühl, viele geben sich gerade schon damit zufrieden, dass die künftige Koalition das Pariser Klimaabkommen und die angepeilte Klimaneutralität bis 2045 zumindest nicht einkassiert hat. So lobt auch der Chef des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Ottmar Edenhofer: "Es ist zu begrüßen, dass sich die neue Koalition zu den deutschen und europäischen Klimazielen bekennt." Wow. Ist das tatsächlich der Anspruch?
Sind wir durch eine Neuauflage der Trump'schen Klimawandel-Leugnungspolitik schon so abgestumpft, dass wir den Status Quo der deutschen Klimapolitik für ausreichend halten? Trump macht gerade die erwartete Rolle rückwärts beim Klimaschutz: Ausstieg aus dem Paris-Abkommen, Förderung fossiler Energien, US-Behörden sollen nicht mehr mit Unternehmen - auch ausländischen - zusammenarbeiten, die auf Nachhaltigkeit setzen. Umso mehr sind eigentlich die EU und Deutschland gefordert, gegenzusteuern und Flagge zu zeigen für den Klimaschutz.
Denn auch das haben schon unzählige Studien und Berichte offengelegt: Nichts für das Klima zu tun, kommt uns am Ende viel teurer. Laut Berechnungen des Bundesumweltministeriums liegen die Kosten für Klimawandelfolgen bis 2050 zwischen 280 und 900 Milliarden Euro - je nachdem wie heftig es wird. Der Wiederaufbau nach Extremwetterereignissen wie der Flutkatastrophe 2021 kostet immens viel an Steuergeldern. Hitzeperioden und Dürren schaden den Ernten und dementsprechend steigen Lebensmittelpreise. Globale Lieferketten werden gestört, weswegen die Wirtschaft leidet. Wir werden es alle im Portemonnaie merken.
Alte Gesetze mit neuen Namen - das ist kein Fortschritt!
Was aber die künftige Koalition vorhat, ist allenfalls halbherzig. Umweltverbände fürchten "vier verlorene Jahre für den Klimaschutz". Ganz so krass sehe ich das nicht. Immerhin gibt es einige Klimaschutzmaßnahmen, die fortgesetzt werden sollen: Der Kohleausstieg bis 2038 ist weiterhin gesetzt. Das Deutschlandticket soll bleiben, damit mehr Menschen die Bahn nutzen. Kontinuität ist gut und wichtig. Keiner - nicht die Bürger, nicht die Wirtschaft - hat Lust, sich alle paar Jahre auf neue Regeln einzustellen. Darunter leidet sonst auch die Akzeptanz von Klimaschutzmaßnahmen.
Umso ärgerlicher finde ich, dass sich die Koalition das Heizungsgesetz jetzt wieder vornehmen will. Ja, ich weiß, die Genese des Gesetzes und die Kommunikation der Ampel-Regierung darüber, wie genau der Heizungstausch ablaufen soll, waren damals katastrophal. Aber das Heizungen in unseren Häusern auch irgendwann klimaneutral laufen müssen, ist Fakt. Darum kommt auch die neue Koalition nicht herum, auch wenn vor allem die Union gern behauptet, sie würde das Gesetz abschaffen. Tatsächlich werden sie es nur reformieren. Details bleiben sie zudem schuldig. Am Ende werden wir wohl ein fast identisches Gesetz mit neuem Namen haben, nur damit die Union sagen kann: "Wir haben unser Wahlversprechen gehalten." Was für ein unnötiger Blödsinn!
Deutschland kauft sich eine gute CO2-Bilanz
Und noch ein Punkt im Koalitionsvertrag ärgert mich: Um das Klimaziel der EU von 90 Prozent weniger CO2-Ausstoß gegenüber 1990 einzuhalten, will die künftige Bundesregierung einen Teil ihrer CO2-Einsparungen outsourcen. Also in anderen Ländern - vor allem im globalen Süden - sollen zum Beispiel Wiederaufforstungsprojekte finanziert werden. Und das soll sich Deutschland dann auf die eigene CO2-Bilanz anrechnen lassen können. Das gleiche Prinzip kennen viele von CO2-Kompensationen bei der Flugbuchung: Den CO2-Fußabdruck für einen Langstreckenflug durch zwei Bäume im Amazonas ausgleichen.
Nicht nur die Tatsache, dass solche Projekte immer wieder in der Kritik stehen, weil ihr tatsächlicher Nutzen nicht nachweisbar ist. Auch die Haltung dahinter finde ich fragwürdig. Deutschland müsste CO2-Vermeidung im eigenen Land stärker in den Fokus nehmen statt sich aus der Verantwortung freizukaufen.
Und obendrein ist die künftige Koalition nicht konsequent, in einigen Punkten gar widersprüchlich. Sie will klimaneutrale Mobilität nach vorne bringen. Gleichzeitig erhöht sie die Pendlerpauschale, die auch für diejenigen finanzielle Anreize setzt, die einen Verbrenner fahren. Der Agrardiesel wird wieder gefördert und die Luftfahrtsteuer geht runter.
Der Ausbau der Erneuerbaren Energien soll vorangetrieben werden. Gleichzeitig wird massiv in fossile Energien investiert. Es sollen neue Gaskraftwerke entstehen und Gas soll vermehrt auch in Deutschland gefördert werden. Gas bleibt dann keine Übergangslösung, sondern wird noch lange als Brennstoff bleiben.
Es bräuchte eine Klimaschutz-Maxime
Der Klimaschutz scheint mir bei den Koalitionären ein notwendiges Übel zu sein. Aber er steht nicht auf ihrer Prioritätenliste. Nun ist ein Koalitionsvertrag nur eine Absichtserklärung, die Regierungsrealität kann anders aussehen. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass unter einem Kanzler Merz, der Schluss machen will mit "ideologiegetriebener Politik", jedes Gesetzesvorhaben in den nächsten vier Jahren auf den Klimaschutzprüfstand gestellt wird. Aber genau so etwas bräuchte es. Eine Klima-Maxime bei allen Vorhaben. Ansonsten kommen wir nicht voran.
Was denkt ihr, wird genug gemacht oder werden uns die nächsten vier Jahre beim Klimaschutz zurückwerfen? Lasst uns darüber diskutieren! In den Kommentaren auf WDR.de oder auf Social Media.